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Strafbefehl abweichende Kostenentscheidung durch Gericht

Kostentragung im Strafbefehlsverfahren: Ein Dilemma zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht

In einem bemerkenswerten Fall hat das Amtsgericht Kehl entschieden, dass die Kostenentscheidung nicht zwingend Teil des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls ist. Der Fall drehte sich um einen Angeklagten, der wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, Widerstand und weiteren Delikten angeklagt war. Das Hauptproblem in diesem Fall lag nicht nur in der rechtlichen Bewertung der Tat, sondern auch in der Frage, wer die Kosten für ein rechtsmedizinisches Gutachten tragen sollte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Cs 308 Js 17340/22 (2) >>>

Die Rolle der Staatsanwaltschaft Offenburg

Strafbefehl abweichende Kostenentscheidung durch Gericht
Kostentragung im Strafbefehlsverfahren: Gerichtsautonomie betont und das Dilemma von Staatsanwaltschaft und Gericht beleuchtet. Ein Präzedenzfall, der zukünftige Kostenentscheidungen beeinflussen könnte. (Symbolfoto: Sai Thaw Kyar /Shutterstock.com)

Die Staatsanwaltschaft Offenburg hatte ursprünglich einen Strafbefehl gegen den Angeklagten beantragt, der sich in einem betrunkenen Zustand der Festnahme durch die Polizei widersetzt hatte. Ein Gutachten des Universitätsklinikums Freiburg deutete jedoch darauf hin, dass der Angeklagte möglicherweise nicht voll schuldfähig war. Das Gericht schlug vor, den Vorwurf auf Vollrausch umzustellen, was die Staatsanwaltschaft schließlich akzeptierte. Allerdings bestand Uneinigkeit über die Kostentragung für das Gutachten.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht entschied, dass es nicht an den Antrag der Staatsanwaltschaft gebunden ist, wenn es um die Kostenentscheidung geht. Nach § 408 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozessordnung (StPO) kann das Gericht den Strafbefehl mit einer abweichenden Kostenentscheidung erlassen. Das Gericht argumentierte, dass die Kostenentscheidung nicht Teil der Rechtsfolgen der Tat im Sinne des Strafgesetzbuchs ist.

Historische und rechtliche Kontextualisierung

Es ist wichtig zu verstehen, dass die ursprüngliche Fassung des § 408 StPO aus dem Jahr 1877 stammt und seitdem mehrfach geändert wurde. Die aktuelle Fassung erlaubt dem Gericht, eine abweichende Kostenentscheidung zu treffen, ohne eine Hauptverhandlung anberaumen zu müssen. Dies steht im Einklang mit der Trennung zwischen Strafbefehlsantrag und Kostenentscheidung, die seit der Einführung der Strafprozessordnung besteht.

Unanfechtbarkeit der Entscheidung

Die Entscheidung des Gerichts ist für die Staatsanwaltschaft unanfechtbar. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft keine Rechtsmittel gegen die Hauptentscheidung einlegen kann, insbesondere wenn der Strafbefehl antragsgemäß erlassen wurde. Dies unterstreicht die Autonomie des Gerichts in Fragen der Kostenentscheidung, selbst wenn ein Strafbefehl auf Antrag der Staatsanwaltschaft erlassen wird.

Diese Entscheidung könnte weitreichende Implikationen für zukünftige Fälle haben, in denen die Kostenentscheidung eine Rolle spielt. Sie betont die Unabhängigkeit des Gerichts und stellt klar, dass die Staatsanwaltschaft nicht die alleinige Kontrolle über alle Aspekte eines Strafbefehls hat.

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Das vorliegende Urteil

AG Kehl – Az.: 2 Cs 308 Js 17340/22 (2) – Beschluss vom 18.07.2023

Leitsatz

Die Kostenentscheidung ist – selbst wenn sie bereits in dem von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten Entscheidungsentwurf enthalten ist – nicht Teil des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls im Sinne der §§ 407 ff. StPO; vielmehr umfasst der eigentliche Strafbefehlsantrag neben der zu ahndenden Tat und ihrer rechtlichen Bewertung nur die Rechtsfolgen der Tat im Sinne des Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs. Das Gericht ist deshalb nicht gezwungen, nach § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen, wenn es eine andere als die von der Staatsanwaltschaft beantragte Kostenentscheidung treffen will, sondern kann den Strafbefehl mit einer abweichenden Kostenentscheidung erlassen.

1. Der beantragte Strafbefehl wird gemäß dem von der Staatsanwaltschaft Offenburg eingereichten Entwurf vom 06.06.2023 mit Ausnahme der Kostenentscheidung erlassen.

2. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Auslagen für das rechtsmedizinische Gutachten des Universitätsklinikums Freiburg vom 22.05.2023, die der Staatskasse zur Last fallen, sowie seine notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Am 23.03.2023 beantragte die Staatsanwaltschaft Offenburg gegen den Angeklagten einen Strafbefehl mit dem Vorwurf des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit versuchter Körperverletzung und mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen und mit Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 114 Abs. 1, 113 Abs. 1, 223 Abs. 1 und 2, 241 Abs. 2, 185, 194, 230, 22, 23, 52 StGB zu erlassen, weil er sich am 03.07.2022 gegen 0:55 Uhr tätlich der Ingewahrsamnahme durch die Polizei wegen Trunkenheit widersetzt und die Polizeibeamten dabei beleidigt habe.

Da der Angeklagte nach den Feststellungen der Polizei „volltrunken“ auf dem Gehweg gelegen sei und sich in „einem, die freie Willensausübung ausschließenden Zustand“ befunden habe, gab das Gericht die Sache wegen Bedenken hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten an die Staatsanwaltschaft zurück und regte an, den Vorwurf auf (fahrlässigen) Vollrausch umzustellen, was die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die Blutalkoholkonzentration, die für die um 3:48 Uhr entnommene Blutprobe 1,77 ‰ betrug, ablehnte.

Das daraufhin vom Gericht eingeholte Gutachten des Universitätsklinikums Freiburg kam zum Ergebnis, dass – nach Aktenlage – von einer maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,54 ‰ und einer erheblichen Minderung des Steuerungsvermögens auszugehen sei, wobei ihre vollständige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden könne.

Der erneuten, nunmehr zusätzlich auf das Gutachten gestützten Anregung des Gerichts, den Vorwurf auf Vollrausch umzustellen, kam die Staatsanwaltschaft zwar mit dem Antrag vom 06.06.2023 unter Vorlage eines entsprechend neu gefassten Entwurfs des Strafbefehls nach. Der Auffassung des Gerichts, dass es hinsichtlich der Kostenentscheidung im Strafbefehl angezeigt erscheine, die Auslagen für das Gutachten gemäß § 465 Abs. 2 StPO der Staatskasse aufzuerlegen, verschloss sie sich indes, sodass der von der ihr vorbereitete Strafbefehlsentwurf hinsichtlich der Kosten vorsieht, dass der Angeklagte „die Kosten des Verfahrens und [seine] notwendigen Auslagen zu tragen“ habe; eine Kostentragungspflicht des Angeschuldigten einschließlich der Kosten für das rechtsmedizinische Gutachten sei nicht zu beanstanden, weil vorliegend keine abweichende Entscheidung aus Gründen der Billigkeit geboten sei, wie es bei einem sogenannten fiktiven Freispruch oder bei Reduzierung des Tatvorwurfs auf ein minder schweres Delikt der Fall sei.

II.

1. Dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls war zu entsprechen, weil keine Bedenken entgegenstehen, insbesondere hinreichender Tatverdacht besteht, wobei das Gericht eine vom Entscheidungsentwurf abweichende Kostenentscheidung treffen durfte.

Zwar bestimmt § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO, dass der Richter nicht eigenmächtig einen Strafbefehl mit einem vom Antrag abweichenden Inhalt erlassen darf, sondern Hauptverhandlung anberaumt, wenn er eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag beharrt. Die Kostenentscheidung ist aber nicht Rechtsfolge in diesem Sinne, selbst wenn sie – wie hier – bereits in dem von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten Entscheidungsentwurf enthalten ist. Vielmehr umfasst der eigentliche Strafbefehlsantrag neben der zu ahndenden Tat und ihrer rechtlichen Bewertung nur die Rechtsfolgen der Tat im Sinne des Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs.

Ursprünglich bestimmte § 408 StPO in der § 448 der Strafprozessordnung vom 01.07.1877 (RGBl. S. 253) entsprechenden Fassung (RGBl. I 1924 S. 322), dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine bestimmte Strafe zu richten (Abs. 1 Satz 1) und die Sache zur Hauptverhandlung zu bringen ist, wenn der Amtsrichter eine andere als die beantragte Strafe festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrage beharrt (Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1); zugleich bestimmte § 464 Abs. 1 Satz 1 StPO, wie immer noch, dass jeder Strafbefehl darüber Bestimmung treffen muss, von wem die Kosten des Verfahrens tragen sind. An dieser inhaltlichen Trennung zwischen Strafbefehlsantrag und – im Übrigen auch ohne Antrag der Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu treffenden (vgl. KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, StPO § 464 Rn. 1) – Kostenentscheidung hat sich seitdem nichts geändert. Lediglich der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens wurde durch das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) um die Festsetzung bestimmter Nebenfolgen sowie Maßregeln der Sicherung und Besserung neben der Strafe erweitert, wobei diese Aufzählung später zur sprachlichen Anpassung unter Übernahme des Begriffes aus dem Strafgesetzbuch (BTDrs. 7/550, S. 300, 306) mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 02.03.1974 (BGBl. I S. 469) durch „Rechtsfolge“ ersetzt wurde.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO. Wegen seiner Verurteilung hat der Angeklagte grundsätzlich die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen zu tragen. Ihn mit den Auslagen für das Gutachten zu belasten wäre jedoch – jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand – unbillig, weil diese Auslagen nur entstanden sind, um die Staatsanwaltschaft, die trotz gewichtiger Anhaltspunkte für die rauschbedingte Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit zunächst bei ihrem Strafbefehlsantrag beharrte, davon zu überzeugen, dass lediglich hinreichender Tatverdacht wegen Vollrauschs besteht.

IV.

Die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen ist für die Staatsanwaltschaft gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 StPO unanfechtbar, weil ihr – jedenfalls bei antragsgemäßem Erlass des Strafbefehls wie hier – kein eigenes Rechtsmittel gegen die Hauptentscheidung zusteht (MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 410 Rn. 41; Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2022, § 408, Rn. 40; KK-StPO/Maur, 9. Aufl. 2023, StPO § 408 Rn. 16).

 

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