LG Hannover, Az.: 30 Qs 34/14
Beschluss vom 28.10.2014
Der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 04.09.2014 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Hannover zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 17.04.2013 in der Fassung des Urteils des Landgerichts Hannover vom 22.08.2013 wegen Erschleichens von Leistungen zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Dem Verurteilten wurde aufgegeben, einen Geldbetrag von 1.000 Euro in monatlichen Raten von 100 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen. Er wurde für die Dauer der dreijährigen Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin unterstellt.
Zahlungen erbrachte er – entgegen seinen Angaben gegenüber der Bewährungshelferin – trotz mehrfacher Ermahnung bis zuletzt nicht. Seit April 2014 hält er keinen Kontakt mehr zur Bewährungshilfe.
Die Staatsanwaltschaft Hannover hat am 28.07.2014 den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung beantragt. Zum Anhörungstermin am 04.09.2014, zu dem der Verurteilte ausweislich der Zustellungsurkunde am 23.08.2014 ordnungsgemäß geladen worden war, erschien er ohne Angabe von Gründen nicht. Daraufhin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom gleichen Tage die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen.
Erst am 08.09.2014 meldete der Verurteilte sich telefonisch bei der Geschäftsstelle. Er habe den Termin nicht wahrnehmen können, weil er sich bereits seit zwei Wochen als Fernfahrer in Paris aufhalte.
Der Beschluss ist dem Verurteilten am 30.09.2014 förmlich zugestellt worden. Gegen diesen richtet sich seine „Beschwerde“ vom 07.10.2014, die noch am gleichen Tage beim Amtsgericht Hannover eingegangen ist.
II.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 453 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m. 56 f StGB statthaft und fristgerecht gemäß § 311 Abs. 2 StPO eingelegt worden. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Amtsgericht, denn der angefochtene Beschluss ist unter Verstoß gegen das Anhörungsgebot aus § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO ergangen und leidet damit unter einem Verfahrensfehler.
Nach § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO soll das Gericht dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben, wenn es über den Widerruf einer Strafaussetzung wegen eines Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden hat. Dabei soll die Anhörung nicht nur dem Verurteilten die Gelegenheit geben, sich vor der Entscheidung mündlich zu äußern, weil es dem Verurteilten in der Regel schwerer fallen wird, sich schriftlich in adäquater Form zu äußern. Vielmehr ist wesentlicher Grund für die Anhörung, dass sich das erkennende Gericht den unmittelbaren persönlichen Eindruck von dem Verurteilten verschaffen soll, den es für die zu treffende Entscheidung benötigt (vgl. OLG Celle Beschl. v. 14.12.1987, 3 Ws 563/87, StV 1988, 2599).
Die Ausgestaltung als Sollvorschrift eröffnet dem Gericht allerdings nur dann die Möglichkeit, von der grundsätzlich zwingend gebotenen mündlichen Anhörung abzusehen, wenn schwerwiegende Gründe für ein solches Verfahren sprechen. Die gesetzliche Regelung ist deshalb so zu verstehen, dass das für die Entscheidung über die Strafaussetzung berufene Gericht regelmäßig eine Pflicht zur mündlichen Anhörung trifft und vom Mündlichkeitsprinzip nur im Ausnahmefall bei Vorliegen besonderer Umstände abgesehen werden darf (vgl. OLG Düsseldorf Beschl. v. 05.04.1993, 2 Ws 96/93, juris).
Dabei rechtfertigen vorangegangene vergebliche Versuche, den Verurteilten zu etwaigen Auflagen- oder Weisungsverstößen mündlich anzuhören, einen Verzicht auf die mündliche Anhörung des Verurteilten im Hinblick auf einen anstehenden Bewährungswiderruf nicht (vgl. OLG Jena, Beschl. v. 03.05.2006, 1 Ws 87/06, juris Rdnr. 21), wenn der Verurteilte nicht gerade die Gewährung rechtlichen Gehörs dadurch vereitelt, dass er sich ohne Angabe einer ladungsfähigen Anschrift absetzt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14.07.2009, 3 Ws 9/08). Das ist vorliegend nicht der Fall; der Verurteilte kann unter der von ihm angegebenen Anschrift geladen werden.
Dass der Verurteilte zu dem Anhörungstermin am 04.09.2014 nicht erschienen war, ist deshalb unerheblich. Denn in seinem Ausbleiben im Anhörungstermin kann nicht etwa ein Verzicht auf die durch die Sollvorschrift des § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO gebotene Anhörung zu dem beabsichtigten Bewährungswiderruf gesehen werden (vgl. OLG Jena a. a. O. Rdnr. 22).
Der Verfahrensmangel der unterbliebenen Anhörung führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (vgl. Meyer-Goßner, § 453 StPO Rdnr. 15 m. w. N.).
In einem neuen Termin zur Anhörung des Verurteilten wird zu klären sein, ob dieser angesichts seiner durch ihn zu belegenden Einkommensverhältnisse in der Lage ist, die Geldauflage in dem ihm auferlegten Umfang zu erfüllen. Ferner sollte in Erwägung gezogen werden, ob angesichts der besonderen beruflichen Bedürfnisse des Verurteilten und der Kürze der verhängten Freiheitsstrafe die weitere Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung der Bewährungshilfe überhaupt sinnvoll ist.