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Schülern am Verlassen des Klassenraums gehindert – Freiheitsberaubung

AG Neuss – Az.: 12 Ds 333/16 – Urteil vom 24.08.2016

Der Angeklagte ist der Freiheitsberaubung schuldig; im Übrigen wird er freigesprochen.

Er wird verwarnt.

Die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 100,- EUR, also zu 1.000,- EUR, bleibt vorbehalten.

Er trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zur Hälfte; im Übrigen trägt die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten und die weiteren Kosten des Verfahrens.

Angewendete Vorschriften: §§ 239, 59 StGB.

Gründe

A. Persönliche Verhältnisse

Der Inhalt des aktuellen Bundeszentralregisterauszuges lautet:

– keine Eintragung –

B. Tatgeschehen

I.

Am 28. April 2015 unterrichtete der Angeklagte in den beiden letzten Stunden des Tagesstundenplanes die Klasse 6 b im Fach „Musik“. Regulärer Unterrichtsschluss und Ende des Schultages für diese Klasse war 13.20 Uhr. Als Unterrichtsthema vermerkte er im Klassenbuch für beide Unterrichtsstunden „Einf. Streicher“.

Unter Bemerkungen trug er ein: „L. verlässt unabgesprochen den Klassenraum, 12.53 Uhr“, und „H. WC-Gang 12.37“.

Am Ende der Wocheneintragungen findet sich in dem Klassenbuch der Eintrag: „Ordnungsdienst: W. & L“.

Den in der Doppelstunde vorgesehenen Unterrichtsabschnitt „Was ist ein Virtuose?“ wollte der Angeklagte den 26 anwesenden Schülerinnen und Schülern durch Vorführung eines Hörspiels und eines Filmausschnittes über „Paganini“ vermitteln. Mit seinem Vorhaben stieß er durch Unruhe und Undiszipliniertheit (Lachen, Schreien) von mindestens einem Drittel der Schüler auf nachhaltige Ablehnung. Wer im Einzelnen die Unruhestifter waren, ließ sich nicht feststellen. Nach Angaben des Angeklagten gab es auch ruhige, lernwillige Schüler.

Zur Disziplinierung und Herstellung der Ordnung verlangte er nach dem dritten vergeblichen Versuch des geplanten Medienunterrichts von allen 26 Schülern das Abschreiben des Wikipedia-Textes „Warum wird Paganini Der Teufelsgeiger genannt ?“. Der Text wurde über ein Smartboard an die Wand projiziert und das Abschreiben begann (Phase 1).

Nach ca. 15 Minuten – es war Ruhe eingekehrt – erklärte der Angeklagte das „Abschreiben“ für beendet und ließ die Schriftstücke auf dem Pult ablegen – unabhängig davon, ob die Arbeiten vollständig waren. Er ging davon aus, mit der jetzt eingetretenen Ruhe und Ordnung die ursprünglich geplante Unterrichtung fortsetzen zu können. Das erklärte er den Schülern auch so. Allerdings hatte er bemerkt, dass einige Schüler der Anordnung des Abschreibens nicht gefolgt waren. Zuhause wollte er die eingesammelten und namentlich gekennzeichneten Arbeiten auf Ordnungsgemäßheit überprüfen.

Schülern am Verlassen des Klassenraums gehindert - Freiheitsberaubung
(Symbolfoto: smolaw/Shutterstock.com)

Etwa 15 Minuten nach Wiederaufnahme des Unterrichts brach er den begonnenen Audiovortrag ab, weil einige Schüler Unruhe von solchem Ausmaß erzeugten, dass eine Vermittlung des Unterrichtsstoffes durch Zuhören unmöglich (geworden) war. Nun verlangte der Angeklagte das Abschreiben eines weiteren Textes, der durch Verschieben des bisherigen Textes (Weiter-Scrollen) an der Wand sichtbar wurde. Die eingesammelten „Werke“ ließ er dazu an die Schüler wieder austeilen; darin sollte das Abschreiben des weiteren Textes fortgesetzt werden (Phase 2). Er war sich bewusst, dass einige Schüler den bisherigen Text entweder nicht oder nicht vollständig zu Papier gebracht hatten – sei es aus Unwillen oder bewusster Verzögerung. Er erwartete, dass sich diese Schüler das Fehlende anderweitig, etwa durch Abschreiben beim Nachbarn, noch verschaffen würden.

Während des neuerlichen Abschreibens bemerkte er, dass ein Schüler einer Schülerin, die er als fleißig einschätzte, deren Abschrift durch „Zerknautschen des Papiers“ in eine unansehnliche Form brachte. Diese Beobachtung veranlasste ihn zu der Aufforderung an alle Schüler, ihm nacheinander die jeweilige Arbeit persönlich am Ende der Doppelstunde auszuhändigen. Niemand, so seine Anordnung, dürfe trotz der endenden Doppelstunde die Klasse verlassen, bevor er nicht seine Abschrift bei ihm abgegeben und er diese überprüft habe.

Dazu mussten sich die Schüler in einer Reihe vor ihm aufstellen. Er wusste, dass einige Schüler weiterhin nichts abgeschrieben hatten. Nach eigenen Angaben errichtete er zur Durchsetzung der erwähnten Anordnung eine Art „Schleuse“, indem er sich im Türrahmen des Klassenraumes auf einen Stuhl setzte und seine mitgebrachte Konzertgitarre quer über den Schoß legte. So war es den Kindern nicht möglich, ohne Einwilligung des Angeklagten den Klassenraum zu verlassen. Diejenigen, die die Abschrift vollständig gefertigt hatten und die der Angeklagte für in Ordnung befunden hatte, durften nacheinander gehen. Mit der Abgabe der Arbeiten hatte der Angeklagte gegen 13.15 Uhr begonnen; ihm war klar, dass nicht alle 26 Schüler diese bis zum Stundenende erledigen konnten. Um 13.35 Uhr, 15 Minuten nach dem Ende des Schultages, befanden sich im Klassenraum noch die Schüler und Zeugen H. (11 Jahre), W. (12 Jahre) und L. (12 Jahre) sowie mindestens drei weitere namentlich nicht bekannte Schüler der 6 b. Ein Einsatzfahrzeug der Polizeiwache K. war um 13.31 Uhr beauftragt worden, zur städtischen Realschule zu fahren. Der Zeuge C., von der Leitstelle der Polizei telefonisch verständigt, traf am Klassenraum der 6 b um 13.35 Uhr ein und sah die im Klassenraum noch anwesenden Schüler. Immer noch versperrte der Angeklagte den Türausgang in der geschilderten Weise, obwohl er wusste, dass die Unterrichtszeit zu Ende war. Er war entschlossen, die Verbliebenen erst zu entlassen, wenn er deren Arbeiten überprüft und für „in Ordnung befunden hatte“. Hierzu war es bis dahin nicht gekommen, wobei der Angeklagte sich nicht durch den Hinweis des Zeugen I. hatte erweichen lassen, er müsse dringend nach Hause, weil er um 14 Uhr eine Nachhilfestunde habe. Der Zeuge war mit dem Abschreiben nicht fertig geworden und der Angeklagte hatte ihm mitgeteilt, die Abschrift sei nicht vollständig und er müsse noch „dableiben“. Die von dem Angeklagten errichtete Sperre hatte den Zeugen daran gehindert, den Unterrichtsraum zu verlassen. Der Zeuge hatte dem Angeklagten deshalb angekündigt, die Polizei anzurufen. Der Angeklagte hatte ihm erwidert, dass er, der Zeuge, damit nur die Polizei belästigen und Ärger bekommen würde.

Daraufhin hatte der Zeuge telefonisch die Polizei verständigt. Auch der Zeuge N., der seine Arbeit schon abgegeben hatte, hatte den Klassenraum auf Weisung des Angeklagten nicht verlassen dürfen. Eine Begründung hierfür war nicht zu erfahren.

Der Zeuge I. hatte den Angeklagten darauf hingewiesen, dass er wegen eines Termins (Lesepartnerin) dringend nach Hause müsse und seine Arbeit sofort abgeben wolle. Der Angeklagte hatte ihn aufgefordert, zu warten, bis er an der Reihe sei. Erst die unmittelbar nach dem Erscheinen des Schulleiters C. eingetroffenen Polizeibeamten sorgten dafür, dass die im Klassenraum noch anwesenden sechs oder mehr Schüler diesen verlassen konnten.

II.Während der „Schleusen-Kontrolle“ des Angeklagten erschien bei ihm der Zeuge N. und legte ihm die Arbeit eines befreundeten Mitschülers auf den Schoß. Der Angeklagte ergriff das Papier und gab es dem Zeugen mit einer heftigen Armbewegung zurück; dabei geriet er zumindest aus Unachtsamkeit gegen den Bauchbereich des Zeugen. Dem tat der Treffer in der Magengegend kurz und ein wenig weh. Minuten später war der Schmerz vorbei und der Angeklagte trat nach dem Eintreffen der Polizei beschwerdefrei den Heimweg an. Eine medizinische Behandlung war nicht erforderlich und wurde deshalb von ihm auch nicht in Anspruch genommen.

III. Der von der eingesetzten Polizeibeamtin C. gefertigte Einsatz-/Sachverhaltsbericht hat diesen Inhalt:

Am Dienstag, den 28.04.2015 gegen 13.31 Uhr erhielten wir (T.; POK; G., PK; C. , PK“in und ich) den Einsatz zur Städtischen Realschule zu fahren.

Dort soll der Musiklehrer Q. (BES) einen Schüler geschlagen haben und die Schulklasse 6b im Musikraum festhalten.

Bei unserem Eintreffen stand der BES Q.l im Türrahmen und die Schüler befanden sich im Musikraum.

Auf unsere Anweisung entließ der BES Q. die Schüler auf den Schulhof. Der BES Q. gab nach erfolgter Belehrung an, dass er Musiklehrer an der Städtischen Realschule sei.

Er habe heute eine Doppelstunde Musikunterricht gegeben. Die Schüler hätten zur Aufgabe gehabt, einen Text über einen Musiker aus Wikipedia abzuschreiben. Nur wer diese Aufgabe ordentlich erledigt hat, hätte den Klassenraum verlassen dürfen.

Weiterhin gab er an, dass er die Abschriften kontrolliert habe und viele nicht ordentlich gewesen seien. Diesen Schülern habe er Nachsitzen angedroht. Das sei auf dieser Schule so üblich. Unter anderem hätte der GES H. seine Aufgabe nicht ordentlich gemacht, worauf er ihm die Arbeit mit ausgestrecktem Arm gegeben habe. Dabei habe er ihn am Bauch getroffen.

Desweiteren hätten Schüler zu Schulschluss den Klassenraum verlassen wollen, obwohl er noch nicht die Freigabe dafür erteilt habe, da er noch nicht mit der Durchsicht der Arbeiten fertig gewesen sei. Schließlich entscheide er, wann der Unterricht beendet sei.

Auf dem Schulhof kristallisierten sich die betroffenen Schüler heraus. Dabei handelt es sich um den GES H., den ZEG W. und den ZEG L. . Die drei gaben an, Schüler der Klasse 6b zu sein und am Musikunterricht von dem BES Q. l teilgenommen zu haben.

Der GES H. gab nach kindgerechter Belehrung an, dass der BES Q. heute schlechte Laune gehabt habe. Der BES Q. habe herumgeschrien, seine Schlagzeug Sticks mehrfach auf den Lehrertisch geschlagen habe und ihnen als Aufgabe erteilt habe, einen Bericht aus Wikipedia abzuschreiben.

Während des Unterrichts habe der L. mehrfach den BES Q. gefragt, ob er die Toilette aufsuchen könnte. Darauf habe der BES Q. mit Nein geantwortet. nachdem der L. den Drang nicht mehr hätte aushalten können, sei er einfach aufgestanden und habe die Toilette aufgesucht. Dies habe der BES Q. so hingenommen.

Nachdem der GES H. mit seiner Abschrift fertig gewesen sei, habe er diese auf den Stapel der anderen Abschriften gelegt und habe den Musikraum verlassen wollen. Dieses habe der BES Q. l unterbunden, indem er sich in den Türrahmen gestellt habe. Nachdem Unterrichtsende gewesen sei, habe er die Schüler weiterhin nicht nach Hause entlassen, wobei bekannt gewesen sei, dass der ZEG W. pünktlich zum Nachhilfeunterricht erscheinen müsse.

Der BES Q. habe erst alle Abschriften kontrollieren wollen. Die Abschrift des GES H. habe nicht dem Standard des BES Q. entsprochen, so dass er diese dem GES H. mit Wucht in den Bauch gedrückt habe. Der GES H. habe danach über Bauchschmerzen geklagt. Eine ärztliche Versorgung vor Ort sei nicht notwendig gewesen.

Auch nach diesem Vorfall habe der BES Q. die Schüler nicht nach Hause entlassen wollen, so dass der ZEG W. Panik bekommen habe und sich nicht mehr zu helfen wusste und die Polizei verständigt habe.

Es wurde Rücksprache mit dem Schulleiter, Herrn C., genommen, der sich den Vorfall nicht erklären könne und der Ansicht sei, dass es sich hierbei um die Auslegung des Sachverhalts ginge.

Die Mutter der GES H. und ZEH L erschienen vor Ort und stellten Strafantrag wegen Körperverletzung und Nötigung (Anzeige L., Nötigung 513000-023424.15/4).

Beide Mütter gaben an, dass sie seit längerem Probleme mit dem BES Q. und dem Schulleiter hätten. Frau L. habe auch schon einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Im Sommer wechsle ihr Sohn die Schule.

Frau G. sei ebenfalls auf der Suche nach einer anderen Schule.

Mit der Mutter des L. wurde telefonisch Rücksprache genommen. Diese gab an, dass sie erst Rücksprache mit dem BES Q. nehmen möchte, bevor sie rechtliche Schritte einleite.

Der von der eingesetzten Polizeibeamtin C. gefertigte Sachverhaltsbericht hat diesen Inhalt:

Nötigung

Am 28.04.2015 gegen 13.31 Uhr erhielten die eingesetzten Beamten C., PK“in und Unterzeichnerin die Einsatzanweisung durch die Leitstelle Neuss zur Einsatzörtlichkeit L zu fahren.

Weitere eingesetzte Beamte waren S., POK sowie G., PK.

Einsatzgrund: ein Schüler habe die Polizei angerufen und mitgeteilt, dass er von seinem Lehrer im Klassenraum festgehalten werde und ein weiterer Schüler geschlagen wurde.

Bei Eintreffen wurde der Beschuldigte Q. (im Weiteren BES) im Musikraum der Schule angetroffen. Dieser befand sich weiterhin in der Tür des Klassenraumes. Die Schüler der Klasse 6b befanden sich im Klassenraum.

Die Schüler wurden erst auf Anweisung der eingesetzten Beamten hin aus dem Klassenraum entlassen.

Der BES wurde gemäß der geltenden Rechtsvorschriften als Beschuldigter belehrt und gab an, dass er alle Schüler hat „Strafarbeit“ leisten lassen. Da die Schüler am heutigen Tage alle unruhig gewesen seien, habe er die Schüler einen Text von Wikipedia abschreiben lassen. Den gefertigten Text haben die Schüler am Ende der Stunde alle nacheinander abgeben sollen. Er selbst habe auf einem Stuhl mit einer Gitarre in der Hand im Türrahmen der Klassentür gesessen, damit die Schüler nicht eigenständig ohne seine Kontrolle den Klassenraum verlassen konnten. Er habe quasi eine kleine „Schleuse“ bilden wollen, um den Durchfluss und die Wahl des Schülers bestimmen zu können.

Der Geschädigte L. (im Weiteren GES) habe den Klassenraum verlassen wollen. Dies habe der BES aber nicht zulassen wollen und ihm den Austritt aus dem Raum verwehrt.

Der GES L. wurde kindgerecht belehrt. Er war sehr aufgeregt und zitterte am Körper. Er gab an, dass alle Schüler Strafarbeit leisten mussten, indem sie einen Text abschreiben mussten. Nachdem die Stunde beendet war, wollte auch der GES L. seine Unterlagen bei dem BES abgeben. Dieser wollte ihn jedoch nicht aus dem Klassenraum heraus lassen. Der GES L. habe dem BES auch mitgeteilt, dass er einen Nachhilfetermin um 14.00 Uhr habe und er nun gehen müsse. Dies sei dem BES jedoch egal gewesen.

Da der BES ihn nicht aus dem Klassenraum heraus ließ und es zu einem weiteren Vorfall mit dem Zeugen H. (gesonderte Strafanzeige wurde gefertigt unter dem Aktenzeichen 513000-023448-15/) gekommen sei, habe der GES L. nur noch einen Ausweg aus dieser Situation gesehen, indem er die Polizei verständigte.

Der GES L. habe dem BES mitgeteilt, dass er nun die Polizei verständigt habe. Der BES habe daraufhin gelacht und gesagt: „Mach doch, ruf doch die Polizei.“

Die Mutter des GES L. erschien in der Schule. Ihr Sohn wurde an sie übergeben. Sie stellte Strafantrag gegen den BES wegen Nötigung.

Ein persönliches Gespräch mit dem Schulleiter C. und dem BES wollte die Mutter nicht mehr führen. Sie gab an, einen Rechtsanwalt eingeschaltet zu haben.

Der Zeuge W. wurde am 03.09.2015 von der Kriminalpolizei L. zum Tatgeschehen angehört.

Die Niederschrift hat diesen Inhalt:

Ich habe die Belehrung verstanden und möchte den Vorfall noch so sagen wie ich ihn in Erinnerung habe.

Zuerst ganz normal Musik 5. und 6. Stunde.

Erst haben wir ganz normal Unterricht gemacht und haben uns dabei Instrumente angeguckt.

Dann wurde es zu laut in der Klasse.

Ich war nicht laut und ich kann mich nicht mehr daran erinnern, dass ich den Unterricht gestört hätte.

Viele haben in der Klasse rumgeschrien und rumgesungen.

Dann sollten wir einen Text über einen Musiker vom Smartboard abschreiben.

Ich habe den Text abgeschrieben, bin aber nicht fertig geworden.

Der Text war einfach zu lang und ich hatte ja noch Nachhilfe und musste nach Hause.

Das habe ich dem Musiklehrer auch mehrfach so gesagt.

Ich habe dem Musiklehrer dann mein Schreiben vorgehalten und ihn gefragt, ob er es eben kontrollieren würde, weil ich dringend nach Hause müsste.

Er hat zur mir gesagt, dass mein Schreiben nicht in Ordnung sei und ich noch dableiben müsste.

Aber er hat mich nicht raus gelassen.

Er hat sich mit einem Stuhl in die Tür gestellt.

Dann habe ich ihm gesagt, dass ich jetzt keine Zeit mehr hätte und ich deshalb die Polizei rufen würde.

Er meinte dann zu mir: „Du willst jetzt die Polizei rufen?“ Wenn ich das machen würde, dann würde ich damit nur die Polizei belästigen und ich würde den Ärger dafür bekommen!

Ich habe dann die Polizei gerufen, weil er mich immer noch nicht gehen lassen wollte.

Doch bevor die Streife da war kam der Schulleiter, Herr C., in die Klasse und hat mir gesagt, dass ich die Polizei nochmal anrufen solle und ihnen mitteilen solle, dass sich alles geklärt hätte. Ich habe dann auch nochmal bei der Polizei angerufen und die sind dann trotzdem noch gekommen.

Ich habe jetzt die Schule gewechselt und bin in Kerpen auf der Realschule. Da wohne ich ab Oktober dann auch. Die Anschrift lautet: …

Zum H. möchte ich sagen, dass ich noch in Erinnerung habe, dass der Musiklehrer den Zettel vom H. in der Hand zerknittert hat und dann diesen mit der Hand gegen den Bauch von H. geschlagen hat.

Man hat gesehen, dass das richtig mit Wucht war.

Der Musiklehrer war sehr hysterisch und hat rumgeschrien und mit den Sticks auf Tische herum getrommelt.

Das mit mir hat er alles schreiend gemacht.

Mit der Polizei sind wir dann ins Sekretariat gegangen und da haben wir meine Mutter angerufen.

Die hat mich dann auch abgeholt.

Der Zeuge H. wurde am 15.10.2015 von der Kriminalpolizei Neuss zum Tatgeschehen angehört.

Die Niederschrift hat diesen Inhalt:

Ich bin ein durchschnittlicher Schüler. Im Moment ist es auf der Schule auch okay. Ich hatte einige Zeit keinen Unterricht mehr bei dem BES. Seit diesem Schuljahr ist er aber wieder mein Musiklehrer. Aber es ist in Ordnung, er lässt mich jetzt eigentlich in Ruhe. Ich wollte die Schule zuerst wechseln, aber es ist nicht leicht einen Platz an einer anderen Schule zu bekommen. Die sind alle ziemlich voll.

Am Tattag hatten wir Musik beim BES. Wir waren im Klassenraum und ziemlich laut.

Zur Strafe sollten wir einen Text aus Wikipedia abschrieben. Nur diejenigen, die diesen Text schön und fertig abgeschrieben haben, durften den Klassenraum verlassen. Damit kein Schüler einfach hinausgehen konnte, hat sich der BES mit einem Stuhl in den Türrahmen gesetzt und so den Weg versperrt.

Ich hatte meinen Text schon abgegeben. Die Schüler, die fertig waren und hinaus wollten, haben einen Kreis um den BES gebildet.

Ein Freund von mir war dann auch fertig und hat mir seinen Text gegeben weil ich näher an dem BES stand.

Ich habe diesen Text dann dem BES in den Schoß gelegt.

Der war so schlecht gelaunt, dass er das Blatt genommen hat und mit Wucht mit ausgestrecktem Arm in meine Richtung gestoßen hat.

Er hat mich dabei in den Bauch getroffen. Angesehen hat er mich dabei nicht. Daher kann ich nicht genau sagen, ob er mir wirklich weh tun wollte. Vielleicht war er auch nur sauer.

Mein Bauch hat kurz ein bisschen weh getan. Das ging aber schnell wieder vorbei.

Ich habe den BES dann gefragt was das soll aber der hat mich gar nicht beachtet.

Außerdem war da noch eine Sache mit W..

Der W. musste an dem Tag pünktlich nach Hause, da er Nachhilfeunterricht hatte. Als der BES uns nicht raus gelassen hat, hat er dem das auch gesagt.

Als der BES ihn trotzdem nicht gehenlassen wollte, ist der W. in Panik geraten und hat die Polizei gerufen.

Insgesamt schätze ich, dass der BES uns etwa eine Viertelstunde über das Unterrichtsende hinaus festgehalten hat.

Wir waren noch in der Klasse als die Polizei kam.

Insgesamt ist der BES ein seltsamer Typ. Der glaubt zum Beispiel an Kobolde und erzählt uns immer davon.

Der wollte auch an dem Tag einen Schüler nicht auf die Toilette lassen.

Die Mutter des GES gab darüber hinaus an, dass der BES sie am Tattag noch telefonisch kontaktiert habe. Er habe sinngemäß gefragt, was ihr denn einfiele direkt Anzeige erstatten zu wollen, habe er nur gemeint, man müsse den Kindern eben Grenzen setzen und den Rest würden die Anwälte dann klären.

Die dem Angeklagten von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren angebotenen Einstellung des Strafverfahrens gegen Zahlung von 350 Euro (§ 153 a StPO) lehnte er ab.

C. Beweislage

Dieser Sachverhalt beruht auf der Einlassung des Angeklagten, soweit ihr gefolgt werden konnte, den uneidlichen Bekundungen des Zeugen C., den Bekundungen der Zeugen H., L. und W. sowie dem Akteninhalt, soweit er ausweislich des Sitzungsprotokolls zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden ist.

Die Feststellungen über die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten beruhen auf seinen Angaben; ihnen zuwiderlaufende Erkenntnisse hat das Gericht nicht gewonnen.

Zur Sache hat er sich wie folgt geäußert:

Er sehe nicht, sich strafbar gemacht zu haben. Sein Handeln habe sich im Rahmen des ihm übertragenen pädagogischen Gewaltverhältnisses und den ihm insoweit gewährten Befugnissen bewegt. Die hier einschlägigen Schulbestimmungen des Landes Nordrhein-Westfalen seien ihm zur Tatzeit bekannt gewesen. Er habe keine „Strafarbeit“ angeordnet.

Er sei freizusprechen.

Zugetragen habe sich dies:

Den in der Doppelstunde vorgesehenen Unterrichtsabschnitt „Was ist ein Virtuose?“ habe er den 26 anwesenden Schülerinnen und Schülern durch Vorführung eines Hörspiels und eines Filmausschnittes über „Paganini“ vermitteln wollen. Mit seinem Vorhaben sei er durch Unruhe und Undiszipliniertheit (Lachen, Schreien) von mindestens einem Drittel der Schüler auf nachhaltige Ablehnung gestoßen. Zur Disziplinierung und Herstellung der Ordnung habe er nach dem dritten vergeblichen Versuch des geplanten Medienunterrichts von allen 26 Schülern das Abschreiben des Wikipedia-Textes „Warum wird Paganini Der Teufelsgeiger genannt? “ verlangt. Der Text sei über ein Smartboard an die Wand projiziert worden und das Abschreiben habe begonnen.

Nach ca. 15 Minuten – es sei Ruhe eingekehrt – habe er das „Abschreiben“ für beendet erklärt und die Schriftstücke auf dem Pult ablegen lassen, unabhängig davon, ob die Arbeiten vollständig gewesen seien. Er sei davon ausgegangen, mit der eingetretenen Ordnung die ursprünglich geplante Unterrichtung nunmehr fortsetzen zu können. Das habe er der Klasse auch so erklärt. Allerdings habe er bemerkt, dass einige Schüler seiner Anordnung des Abschreibens nicht gefolgt seien. Zuhause habe er alle Arbeiten auf Ordnungsgemäßheit überprüfen wollen. Sie seien namentlich gekennzeichnet gewesen. Im Falle des Fehlens von Namen hätte sich herausgestellt, wer dies unterlassen habe.

Etwa 15 Minuten nach Wiederaufnahme des Unterrichts habe er den begonnenen Audiovortrag abgebrochen, weil einige Schüler Unruhe von solchem Ausmaß erzeugt hätten, dass eine Vermittlung des Unterrichtsstoffes durch Zuhören unmöglich geworden sei. Jetzt habe er das Abschreiben eines weiteren Textes, der durch Verschieben des bisherigen Textes (Weiter-Scrollen) an der Wand sichtbar gemacht worden sei, angeordnet.

Die zuvor eingesammelten und bei ihm auf dem Pult liegenden „Werke“ habe er dazu an die Schüler wieder austeilen lassen; in ihnen habe das Abschreiben des weiteren Textes fortgesetzt werden sollen.

Er sei sich bewusst gewesen, dass einige Schüler den bisherigen Text entweder nicht oder nicht vollständig zu Papier gebracht hätten – sei es aus Unwillen oder bewusster Verzögerung.

Er sei der Meinung gewesen, dass sich diese Schüler das Fehlende anderweitig, etwa durch Abschreiben beim Nachbarn, noch hätten verschaffen können. Während des neuerlichen Abschreibens habe er bemerkt, dass ein Schüler einer Schülerin, die er als fleißig eingeschätzt habe, deren Abschrift durch „Zerknautschen des Papiers“ in eine unansehnliche Form gebracht habe. Diese Beobachtung habe ihn zu der Aufforderung an die Klasse veranlasst, ihm nacheinander die jeweilige Arbeit am Ende der Doppelstunde persönlich auszuhändigen. Niemand, so seine Anordnung, habe trotz der endenden Doppelstunde die Klasse verlassen dürfen, bevor nicht persönlich die Abschrift bei ihm abgegeben und diese von ihm kontrolliert worden sei. Dazu hätten sich die Schüler in einer Reihe vor ihm aufstellen müssen. Er habe gewusst, dass einige Schüler weiterhin nichts abgeschrieben hätten. Es sei zutreffend, dass er zur Durchsetzung seiner Anordnung eine Art „Schleuse“ errichtet habe, indem er sich im Türrahmen des Klassenraumes auf einen Stuhl gesetzt und seine mitgebrachte Konzertgitarre quer über den Schoß gelegt habe. So hätten die Schüler ohne seine Einwilligung den Klassenraum nicht verlassen können. Diejenigen, die die Abschrift vollständig gefertigt hätten und die er für in Ordnung befunden habe, hätten nacheinander gehen dürfen. Er habe gegen 13.15 Uhr mit der Abgabe begonnen; es sei klar gewesen, dass nicht alle Schüler dies bis zum Ende der Stunde hätten schaffen können. Am Ende der letzten Schulstunde hätten sich im Klassenraum noch die Schüler und Zeugen H. (11 Jahre), L. (12 Jahre) und W. (12 Jahre) sowie mindestens zwei weitere Schüler der 6 b befunden. Dies sei auch noch so gewesen, als der Schulleiter und Zeuge C. am Klassenraum der 6 b eingetroffen sei. Die Schüler H. und L. hätten Ordnungsdienst versehen müssen; das sei so im Klassenbuch vermerkt gewesen. .L habe ihm die Verständigung der Polizei angedroht, weil er ihn nicht habe gehen lassen. Das habe er aber nicht ernst genommen. Zuvor sei dieser Schüler auf ihn zugelaufen und habe ihm seine Aufgabe vor das Gesicht mit dem Bemerken gehalten, er müsse zum Bus. Er habe ihn mit einem Arm weggeschoben und aufgefordert, sich wie einzureihen. Es habe ihm ferngelegen, den Zeugen zu verletzen.

Der Angeklagte ist des festgestellten Sachverhalts durch die Hauptverhandlung überführt.

I. Der Angeklagte hat nach Belehrung als Beschuldigter der am Tatort eingesetzten Polizeibeamtin C. u.a. erklärt, viele der angeordneten Abschriften seien nicht ordentlich gewesen; diesen Schülern habe er Nachsitzen angedroht. Unter anderen habe der Schüler „H“ seine Aufgabe nicht ordentlich gemacht, worauf er ihm die Arbeit mit ausgestrecktem Arm gegeben habe. Er habe ihn dabei am Bauch getroffen. Schüler hätten zu Schulschluss den Klassenraum verlassen wollen, obwohl er noch nicht die Freigabe dafür erteilt habe, da er noch nicht mit der Durchsicht der Arbeiten fertig gewesen sei. Er entscheide schließlich, wann der Unterricht beendet sei.

Der Angeklagte hat auf Vorhalt dieses Berichtes diesen als zutreffend bezeichnet. Weder der Angeklagte noch die betroffenen Zeugen L. und H. haben bei der Befragung angegeben, diese beiden Zeugen hätten den Klassenraum wegen „Ordnungsdienst“ nicht verlassen dürfen.

II. Der Angeklagte hat am Tatort nach Belehrung als Beschuldigter der eingesetzten Polizeibeamtin C. u.a. angegeben, er habe alle Schüler Strafarbeit leisten lassen, da die Schüler heute alle unruhig gewesen seien. Den fertigen Text hätten die Schüler am Ende der Stunde alle nacheinander abgeben sollen. Er selbst habe auf einem Stuhl mit einer Gitarre im Türrahmen der Klassentür gesessen, damit die Schüler nicht eigenständig ohne seine Kontrolle den Klassenraum hätten verlassen können. Er habe quasi eine kleine Schleuse bilden wollen, um den Durchfluss und die Wahl der Schüler bestimmen zu können. Der Zeuge W. habe den Klassenraum verlassen wollen. Das habe er nicht zugelassen und ihm den Austritt aus dem Raum verwehrt. Der Zeuge W. war nach diesem Bericht bei seiner Befragung durch die Polizei sehr aufgeregt und zitterte am Körper. Er gab an, dass alle Schüler hätten Strafarbeit leisten müssen. Er habe seine Arbeit am Ende der Stunde abgeben wollen, sei aber von dem Angeklagten nicht entlassen worden – trotz des Hinweises, er habe um 14 Uhr einen Nachhilfetermin. Als der Zeuge W. dem Angeklagten die Verständigung der Polizei angekündigt habe, habe der lachend erwidert: „Mach doch, ruf die Polizei!“

Auf Vorhalt dieses Berichtes und auf ausdrückliches Befragen seines Verteidigers hat der Angeklagte ihn als zutreffend bezeichnet.

Auch in diesem Bericht findet sich kein Hinweis auf den Ordnungsdienst der Schüler H. i und W..

III. Im Laufe der Hauptverhandlung -nämlich als er mit der mitgebrachten Konzertgitarre seine Sitzposition zur Tatzeit am Tatort demonstrierte- bezeichnete er selbst das Abschreiben der Schüler als „Strafarbeit“.

IV. Der Zeuge C. , Schulleiter, hat ausgesagt, die letzte Stunde ende um 13.20 Uhr. Er sei von der Polizei in seinem Büro sitzend über deren Erscheinen in der Klasse 6 b informiert worden. Die Meldung habe gelautet, Schüler seien eingeschlossen und geschlagen worden. Er habe sich zu der Klasse 6 b begeben und dort noch 4 oder 5 Schüler angetroffen. Er habe keine Gitarre bei dem Angeklagten gesehen und ein Stuhl habe neben der Tür gestanden. Der Angeklagte habe ihm gesagt, er habe einen Schüler zurückgehalten, weil der an der falschen Seite habe gehen wollen. Zwei der Schüler hätten Klassendienst gehabt. Anzumerken ist, dass der Zeuge C. dem Gericht keinen Grund hat nennen können, warum die von ihm angetroffenen Schüler sich ca. eine viertel Stunde nach Unterrichtsschluss noch im Klassenraum befanden. Soweit er in seiner Aussage auf den Ordnungsdienst zweier Zeugen hingewiesen hat, dürfte es sich eher um eine nachträgliche Argumentationshilfe für die Verteidigung des Angeklagten handeln.

Wie bereits erwähnt hatte niemand der Befragten, vor allem nicht der Angeklagte, den Polizeibeamten gegenüber vom Ordnungsdienst gesprochen. Auch die in den Feststellungen wiedergegebenen polizeilichen Zeugenaussagen erwähnen einen solchen Ordnungsdienst nicht.

Von daher scheidet die Annahme aus, die Schüler W. und G. hätten sich zum Zwecke des Ordnungsdienstes im Klassenraum aufgehalten. Insbesondere hat der Angeklagte selbst nicht behauptet, er habe die Zeugen G. und H. am Fortgehen gehindert, weil die noch hätten Ordnungsdienst leisten müssen. Was sie insoweit konkret getan oder unterlassen haben, hat er nicht mitgeteilt. Er hat sich insoweit lediglich und erstmals in der Hauptverhandlung auf den erwähnten Vermerk im Klassenbuch bezogen. Dieser ist indes ohne konkrete situationsbezogene Erläuterung nichtssagend. Hiermit im Nachhinein die Anwesenheit der Zeugen W. und G. nach Unterrichtsschluss begründen zu wollen, geht ersichtlich fehl.

V. Der Zeuge g: hat ausgesagt, am Ende der letzten Stunde habe er dem im Türrahmen sitzenden Angeklagten seine Abschrift übergeben. Der habe sie nicht für in Ordnung befunden, weil sie unvollständig gewesen sei. Er habe ihm geboten, „dazubleiben“ und die Abschrift vollständig zu fertigen. So sei er auch mit den Gebrüdern G. und dem Zeugen H. verfahren. H. habe er die von ihm übergebene Arbeit mit einem Stoß gegen den Bauch und zerknüllt zurückgegeben. Er habe dem Angeklagten die Verständigung der Polizei angedroht, da er nach Hause zu der um 14 Uhr beginnenden Nachhilfestunde gemusst habe. Das habe den Angeklagten indes nicht interessiert. Beim Eintreffen der Polizei sei er noch im Klassenraum gewesen.

Gegen die Glaubwürdigkeit der Person des Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen sind Zweifel nicht aufgekommen; es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, er wolle den Angeklagten zu Unrecht belasten. Seine Bekundungen stimmen in allen wesentlichen Punkten mit seinen gegenüber der Polizei gemachten Angaben überein.

VI. Der Zeuge W. hat ausgesagt, die Klasse haben wegen ihrer Unruhe eine Strafarbeit fertigen müssen. Er habe noch nach Unterrichtsschluss zunächst in der Reihe der Schüler gestanden, um sein Werk abzugeben. Dann sei er zu dem Angeklagten gegangen und habe ihm seine Arbeit mit dem Hinweis auf einen wahrzunehmenden Termin mit einer Lesepartnerin übergeben wollen. Der habe ihn aufgefordert, sich wieder hinten anzustellen. Er sei noch im Klassenraum gewesen, als der Zeuge C. erschienen sei.

Während er in der Reihe gestanden habe, habe er beobachtet, wie der Angeklagte dem Zeugen H. ein zerknautschtes Blatt gegen den Bauch gedrückt habe. Das sei nicht heftig sondern eher normal gewesen.

Gegen die Glaubwürdigkeit der Person des Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen sind Zweifel nicht aufgekommen; es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, er wolle den Angeklagten zu Unrecht belasten.

VII. Der Zeuge H. hat bekundet, der Angeklagte habe sich am Ende der letzten Unterrichtssunde mit seiner Gitarre so in den Türrahmen des Klassenraumes gesetzt, dass niemand ihn habe gegen seinen Willen passieren können. Der Ausgang sei so versperrt gewesen. Gehen dürfen habe der, der seine Arbeit abgegeben habe. Er selbst habe seine Arbeit bereits übergeben gehabt, jetzt aber dem Angeklagten die Arbeit eines Freundes auf die Gitarre gelegt. Der habe das Blatt ergriffen und ihm mit dem ausgestreckten Arm gegen die Bauchgegend gestoßen. Für kurze Zeit habe er ein wenig Schmerzen gehabt, die seien aber schnell wieder weggegangen. Es habe dann nichts mehr weh getan und er sei auch nicht zum Arzt gegangen. Ein anderer Schüler habe die Polizei verständigt. Bis zu deren Eintreffen hätten sich er und die anderen noch im Klassenraum befunden, weil sie nicht hätten gehen dürfen. Der Angeklagte habe im Türrahmen erst einmal Platz machen müssen, damit die Polizei habe den Klassenraum betreten können. Als er den Klassenraum verlassen habe, habe er sich sofort auf den Heimweg gemacht. Er sei dann aber zurückgerufen worden.

Gegen die Glaubwürdigkeit der Person des Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen sind Zweifel nicht aufgekommen; es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, wolle zu Unrecht belasten.

Auf Vorhalt ist festgestellt worden, dass die Aussage des Zeugen in allen wesentlichen Punkten mit seinen Angaben vor der Polizei übereinstimmen.

D. Rechtslage

I. Eine Freiheitsberaubung gemäß § 239 Absatz 1 StGB begeht der, der einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt. Schon der Versuch ist strafbar (§ 239 Absatz 2 StGB).

Abzustellen ist vorliegend nicht darauf, ob eine Ahndung den Berufsstand des Lehrers bzw. die den Lehrern staatlich verliehene Autorität schwächen und Schüler in Rechten stärken könnte, sondern, ob der Angeklagte den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt hat und sein Handeln rechtswidrig und schuldhaft erfolgte. Nach den Feststellungen sind diese drei Voraussetzungen vorliegend erfüllt.

1. Tatbestand

Dieser besteht darin, dass ein Mensch ohne seinen Willen der Freiheit beraubt wird. Dazu ist erforderlich, dass ihm, wenn auch nur vorübergehend, unmöglich gemacht wird, nach seinem freien Willen seinen Aufenthalt zu verändern. Eine bestimmte Dauer der Freiheitsberaubung ist nicht erforderlich. Es reicht schon der Eingriff in den potentiellen und den natürlichen, selbstbestimmten Willen des Opfers, eine Ortsveränderung vorzunehmen (zuletzt: BGH 3 StR 410/14 – Urteil vom 22. Januar 2015), aus.

Der Angeklagte hat durch die Errichtung der „Schleuse“ -Sitzen im Türrahmen mit quer auf dem Schoß liegender Konzertgitarre- und verbale Aufforderungen, da zu bleiben, verhindert, dass die bis zum Eintreffen der Polizei im Klassenraum verblieben Schüler diesen trotz ihres entgegenstehenden und auch zum Ausdruck gebrachten Willen verlassen konnten. Der Angeklagte beherrschte physisch („Schleuse“) und psychisch (Anordnung des Verbleibens als Inhaber staatlicher Gewalt) den Aufenthalt der betroffenen Schüler, die den Klassenraum verlassen wollten.

Die Dauer von mindestens fünfzehn Minuten ab Unterrichtsschluss war auch nicht geringfügig.

2. Rechtswidrigkeit

Der Unterrichtstag war beendet und die Kinder hatten einen Anspruch darauf, die Schule verlassen zu dürfen. Es ist anzunehmen, dass die jeweiligen Erziehungsberechtigten von regulärem Unterrichtsende ausgingen und ausgehen durften. Weder die betroffenen Schüler noch deren Erziehungsberechtigte hatten in den verwirklichten Tatbestand eingewilligt.

Die Erfüllung des Tatbestandes war auch nicht durch das Schulrecht des Landes Nordrhein Westfalen gedeckt und gerechtfertigt:

Gemäß § 53 des Schulgesetztes dienen erzieherische Einwirkungen und Ordnungsmaßnahmen der geordneten Unterrichts – und Erziehungsarbeit der Schule. Sie können angewendet werden, wenn eine Schülerin oder ein Schüler Pflichten verletzt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten. Ordnungsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn erzieherische Einwirkungen nicht ausreichen. Einwirkungen gegen mehrere Schülerinnen und Schüler sind nur zulässig, wenn das Fehlverhalten jeder oder jedem Einzelnen zuzurechnen ist. Zu den erzieherischen Einwirkungen gehören die Nacharbeit unter Aufsicht und nach vorheriger Benachrichtigung der Eltern.

Gemäß §§ 13, 15 ASchO sind Kollektivmaßnahmen nicht zulässig, es sei denn, dass das Fehlverhalten jeder einzelnen Schülerin oder jedem einzelnen Schüler zuzurechnen ist.

Zu den erzieherischen Einwirkungen gehören die Nacharbeit unter Aufsicht und nach vorheriger Benachrichtigung der Eltern.

Gemäß § 26a Schulverwaltungsgesetz kommt die Anwendung von Ordnungsmaßnahmen erst in Betracht, wenn andere erzieherische Einwirkungen nicht ausreichen.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten. Kollektivmaßnahmen sind nicht zulässig, es sei denn, dass das Fehlverhalten jedem einzelnen Schüler zuzurechnen ist.

In beiden verfahrensgegenständlichen Unterrichtsphasen nahm der Angeklagte die entstandene Unruhe und Unordnung zum Anlass, das Abschreiben der Texte anzuordnen. Dabei kann unentschieden bleiben, ob es sich hierbei um erzieherische Einwirkungen oder Ordnungsmaßnahmen handelte. Denn das verlangte Abschreiben diente ersichtlich nicht der Vermittlung von Lernstoff und Gestaltung des Musikunterrichtes. Der Angeklagte selbst hat gegenüber der Polizei diese Anordnung als „Strafarbeit“ bezeichnet und diesen Begriff auch einmal vor Gericht wiederholt. Die ordentliche Vermittlung von Lehrstoff kann schlechterdings auch nicht darin bestehen, den Abbruch des Abschreibens (Phase 1) nach 15 Minuten anzuordnen, unabhängig davon, wieweit der jeweilige Schüler gekommen ist. Die Vorgehensweise belegt allein zweifelsfrei, dass der Angeklagte hiermit die Klasse disziplinieren wollte, um gegebenenfalls zu der ursprünglichen Unterrichtung zurückzukehren. Auch das Festhalten nach Ende (Phase 2) der letzten Unterrichtsstunde kann nicht mit pädagogischer Sinnhaftigkeit erklärt werden. Vielmehr hatte sich der Angeklagte nachvollziehbar von Teilen der Klasse geärgert gefühlt und ärgerte jetzt auf seine Weise zurück … .

Die von dem Angeklagten ergriffenen erzieherischen Einwirkungen oder Ordnungsmaßnahmen waren nicht zulässig, weil es sich um eine Kollektivmaßnahme handelte. Schon nach der Darstellung des Angeklagten hatten nicht alle Schüler den Unterricht gestört.

War aber die Kollektivmaßnahme nicht zulässig, so durfte sie keinesfalls über das Unterrichtsende fortgesetzt werden und damit in den Tatbestand der Freiheitsberaubung münden. Das „Nachsitzen“ für die, die nicht fertig geworden waren, geschah auch nicht unter Benachrichtigung der Eltern. Schließlich: Nichts hätte den Angeklagten gehindert, die Arbeiten zum Unterrichtsende einzusammeln und zuhause auf Vollständigkeit und Ordnungsgemäßheit zu überprüfen.

Dies war in Phase 1 seiner Vorgehensweise seine erklärte Absicht gewesen. Insoweit war sein Vorgehen ab Unterrichtsschluss nicht verhältnismäßig. Ordnungsdienst der Zeugen W. und L. war nicht der Grund des erzwungenen Verbleibes in der Klasse; dieser stand allenfalls auf dem Papier, wurde aber zur Tatzeit am Tatort von niemandem herangezogen oder eingefordert.

3. Schuld

Der Angeklagte handelte vorsätzlich, weil er den Tatbestand, so wie er erfüllt wurde, verwirklichen wollte.

Er ist keinem Irrtum unterlegen. Nach seiner Auskunft waren ihm die einschlägigen Regeln des nordrhein-westfälischen Schulrechts bekannt.

II. Vom Vorwurf der vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung ist der Angeklagte hingegen freizusprechen.

Eine Körperverletzung nach §§ 223, 229 StGB hätte er begangen, wenn er eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt hätte. Die körperliche Misshandlung wird als eine üble, unangemessene Behandlung, durch die das Opfer in seinem körperlichen Wohlbefinden, wenn auch nicht unbedingt durch Zufügung von Schmerzen (BGH NJW 95, 2643), so doch in mehr als nur unerheblichem Grade beeinträchtigt wird (BGH 25 277, NStZ-RR 10, 374, Hamm VRS 8 133,Joecks MK 4), definiert. Die Gesundheitsschädigung entsteht mit dem Hervorrufen oder Steigern eines (auch nur vorübergehenden) pathologischen Zustandes (BGH NJW 1960, 2253 f.; OLG Düsseldorf MedR 84, 29). Zugunsten des Angeklagten ist davon auszugehen, dass er mit der aus Erregung erfolgten heftigen Armbewegung gegen den Oberbauch des Zeugen H. weder eine körperliche Misshandlung noch eine Gesundheitsschädigung wollte oder billigend in Kauf nahm. Auszugehen ist von einer körperlichen Überreaktion, die bei dem Zeugen aus reiner Unachtsamkeit die Magengegend getroffen hat. Durch die Fahrlässigkeit des Angeklagten hat er indes keine üble, also sittlich missbilligenswerte bzw. verwerfliche Vorgehensweise gewählt.

Der Grad von Erheblichkeit wäre nach den Feststellungen auch nicht erreicht. Ein Zustand von Krankheitswert, sei er auch nur vorübergehend, ist nicht eingetreten. Die „kurzen“ Oberbauchschmerzen waren Minuten später verschwunden, das „bisschen“ Schmerzen machten nach den Bekundungen des Zeugen keine medizinischen Maßnahmen erforderlich und er trat zeitnah beschwerdefrei seinen Heimweg an.

Für die Straftat der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) fehlt es an Anhaltspunkten.

E. Ahndung

Das Gericht hielt es vorliegend für ausreichend, andererseits noch vertretbar, den Angeklagten zu verwarnen und die Verhängung von Geldstrafe vorzubehalten. Gemäß § 59 StGB kann das Gericht jemanden, der Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen verwirkt hat, neben dem Schuldspruch verwarnen, die Strafe bestimmen und die Verurteilung zu dieser Strafe vorbehalten, wenn

1. zu erwarten ist, dass der Täter künftig auch ohne Verurteilung zu Strafe keine Straftaten mehr begehen wird,

2. nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Täters besondere Umstände vorliegen, die eine Verhängung von Strafe entbehrlich machen, und

3. die Verteidigung der Rechtsordnung die Verurteilung zu Strafe nicht gebietet.

Die Verhängung von Freiheitsstrafe oder Geldstrafe von mehr als einhundertachtzig Tagessätzen scheidet vorliegend ersichtlich aus.

Es besteht begründeter Anlass zu der Erwartung, dass der Angeklagte künftig auch ohne Verurteilung zu Strafe keine Straftaten mehr begehen wird. Diese Erwartung gründet auf der Überzeugung des Gerichtes, dass der Angeklagte unter dem Eindruck der zweitägigen Verhandlung mit umfangreicher Beweisaufnahme, im Lichte seiner Erklärung, er stehe einer gerichtlichen Anweisung, eine Fortbildungsmaßnahme zum richtigen Umgang mit undisziplinierten Schülern positiv gegenüber, des belastenden hohen Medieninteresses und der Aufmerksamkeit des Dienstherrn und eines weiten -möglicherweise auch kritischen- Kollegenkreises an seiner Tat keine Wiederholung mehr begehen wird. Die von dem bislang unbestraften Angeklagten nicht zu vertretende lange Verfahrensdauer, sein nachvollziehbares Geraten an pädagogische Grenzen durch die wiederholten und massiven Unterrichtsstörungen, die von der Freiheitsberaubung betroffene deutliche Minderheit der Schüler und deren nur geringe Dauer sind besondere Umstände, die eine Verhängung von Strafe entbehrlich machen. Eine Verurteilung zu Strafe wäre zur Verteidigung der Rechtsordnung notwendig, wenn sonst das Vertrauen auf wirksamen Rechtsgüterschutz erschüttert und die Rechtstreue der Bevölkerung ernstlich beeinträchtigt würde. Davon ist vorliegend nicht auszugehen.

Unter Berücksichtigung der in § 46 StGB normierten Strafzumessungsgründe, die das Gericht gegeneinander abgewogen hat, und der wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten hielt das Gericht eine vorzubehaltende Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 100 Euro (= 1000 Euro) für ausreichend, andererseits geboten.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 467 StPO.

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