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Politische Kritik als strafbare Beleidigung: Warum der Kontext zählt

Ein Demonstrant in Ingolstadt bezeichnete Bundeskanzler Olaf Scholz auf einem Plakat als „Volksschädling“ und löste damit die Frage aus, wann politische Kritik als strafbare Beleidigung gilt. Das bayerische Gericht musste entscheiden, ob die Schwere der Beleidigung oder vielmehr die geringe Reichweite der Äußerung über die endgültige Strafbarkeit entscheidet.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 206 StRR 433/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
  • Datum: 06. März 2025
  • Aktenzeichen: 206 StRR 433/24
  • Verfahren: Revision im Strafverfahren (Verwerfung des Antrags der Staatsanwaltschaft)
  • Rechtsbereiche: Strafrecht, Meinungsfreiheit

  • Das Problem: Ein Teilnehmer einer lokalen Demonstration zeigte ein Plakat mit polemischen Bezeichnungen wie „Volksschädling“ gegen den Bundeskanzler. Die Staatsanwaltschaft wollte den Demonstranten wegen Beleidigung und der qualifizierten Form verurteilen lassen.
  • Die Rechtsfrage: Gilt die Meinungsfreiheit auch für extrem zugespitzte politische Kritik, die mehrdeutig ist? Muss das Gericht bei der Beurteilung, ob eine Beleidigung das öffentliche Wirken eines Politikers erschwert, auch die äußeren Umstände und die Reichweite der Äußerung prüfen?
  • Die Antwort: Die Revision wurde verworfen und der Freispruch bestätigt. Mehrdeutige, polemische Äußerungen müssen grundsätzlich zugunsten der Meinungsfreiheit ausgelegt werden. Das Gericht bestätigte, dass die äußeren Umstände (lokale Demo, geringe Teilnehmerzahl) zwingend zu berücksichtigen sind.
  • Die Bedeutung: Überspitzte, aber inhaltliche politische Kritik an Regierungsmitgliedern bleibt stark durch die Meinungsfreiheit geschützt. Eine Behinderung des öffentlichen Wirkens eines Politikers wird nur angenommen, wenn die Verbreitung relevant ist und nicht nur eine lokale Wirkung entfaltet.

Der Fall vor Gericht


Wann wird politische Kritik zur strafbaren Beleidigung von Politikern?

Die Meinungsfreiheit in Deutschland ist ein scharfes Schwert. Doch wo verläuft die Grenze, wenn dieses Schwert auf die höchsten Repräsentanten des Staates zielt?

Ein Bürger verteidigt sein Recht auf Meinungsfreiheit: Seine überspitzte Kritik als "Volksschädlinge" sei keine strafbare Beleidigung.
Gericht bestätigt: Kontext und Reichweite entscheiden über Beleidigung von Politikern. | Symbolbild: KI

Ein Mann in Ingolstadt testete diese Grenze mit einem Plakat, das Bundeskanzler Olaf Scholz als „Volksschädling“ diffamierte. Für die Anklage war der Fall klar: eine strafbare Beleidigung, die das Wirken des Kanzlers gefährdet. Doch die Justiz musste eine viel grundsätzlichere Frage klären: Kommt es bei einer solchen Attacke nur darauf an, was gesagt wird – oder auch darauf, wie und wo?

Was genau warf die Staatsanwaltschaft dem Demonstranten vor?

Auf einer Demonstration mit etwa 100 Teilnehmern zeigte ein Mann ein Plakat. Darauf standen zugespitzte Parolen wie „Amtseid von Volksverbrechern!“ und „Totengräber der Demokratie“. Drei Bundespolitiker waren hinter Gittern abgebildet: Innenministerin Nancy Faeser mit der Unterzeile „10-Punkte-Plan zur Volksvernichtung“, Wirtschaftsminister Robert Habeck mit einem ihm zugeschriebenen Zitat und Bundeskanzler Olaf Scholz, bezeichnet als „Volksschädling“.

Die Staatsanwaltschaft wertete dies als Angriff auf die Ehre der Politiker. Sie klagte den Mann wegen Beleidigung an. Im Zentrum stand dabei eine besondere Vorschrift: die gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung nach § 188 Absatz 1 des Strafgesetzbuches (StGB). Diese Norm schützt Politiker nicht nur vor persönlicher Kränkung. Sie schützt auch ihre Fähigkeit, ihre öffentlichen Aufgaben ungestört auszuüben. Die Anklage argumentierte, die Bezeichnung „Volksschädling“ sei NS-Vokabular. Eine solche Äußerung sei allein durch ihren Inhalt geeignet, das öffentliche Wirken des Bundeskanzlers zu erschweren. Andere Menschen könnten zu Angriffen motiviert werden. Das Vertrauen in den Staat werde untergraben.

Warum sprachen die ersten beiden Gerichte den Mann frei?

Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Ingolstadt sahen die Sache anders. Sie sprachen den Angeklagten frei. Ihre Begründung stützte sich auf zwei Pfeiler.

Der erste Pfeiler war das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Artikel 5 des Grundgesetzes (GG). Dieses Recht schützt auch scharfe, polemische und überspitzte Kritik. Die Richter sahen in den Plakat-Parolen keine reinen Schmähungen, deren einziges Ziel die persönliche Herabwürdigung war. Stattdessen ordneten sie die Äußerungen als politische Werturteile ein. Die Formulierung zum „10-Punkte-Plan“ von Nancy Faeser sahen sie als satirische Verzerrung ihres real existierenden „10-Punkte-Plans gegen Rechtsextremismus“. Die Bezeichnung „Volksschädling“ für den Kanzler wertete das Landgericht zwar als Beleidigung im Sinne des § 185 StGB. Da der Bundeskanzler aber keinen Strafantrag gestellt hatte, war eine Verfolgung dieser einfachen Beleidigung ausgeschlossen.

Der zweite Pfeiler war die entscheidende Frage der Wirkung. Für eine Verurteilung nach dem verschärften Paragraphen 188 StGB musste die Tat „geeignet“ sein, das öffentliche Wirken des Politikers zu erschweren. Das Landgericht verneinte dies. Es schaute nicht nur auf die Worte, sondern auf die gesamte Tat. Das Plakat wurde auf einer kleinen, lokalen Versammlung gezeigt. Seine Reichweite war minimal. Es war für jeden Betrachter als pauschale, polemische Kritik erkennbar. Die Richter sahen keine Anzeichen, dass ein vernünftiger Beobachter deswegen ernsthaft an der Integrität oder Arbeitsfähigkeit des Bundeskanzlers zweifeln würde. Die Tat hatte schlicht nicht das Potenzial, seine Amtsführung zu beeinträchtigen.

Wie begründete das Bayerische Oberste Landesgericht den endgültigen Freispruch?

Die Staatsanwaltschaft akzeptierte den Freispruch nicht und zog vor das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG). Sie beharrte auf ihrer Position: Für die Strafbarkeit nach § 188 StGB zähle allein der Inhalt der Worte, nicht die Umstände der Tat. Der Senat des BayObLG widersprach dieser Auffassung und bestätigte den Freispruch. Seine Argumentation zerlegte den Fall in zwei klare Schritte.

Zuerst prüfte das Gericht, ob die Bezeichnung „Volksschädling“ überhaupt eine strafbare Beleidigung darstellt. Es stellte klar: Das Grundgesetz schützt politische Kritik weitreichend. Gerichte müssen bei mehrdeutigen Äußerungen immer diejenige Deutung zugrunde legen, die nicht strafbar ist – es sei denn, eine strafbare Interpretation ist zweifelsfrei. Im Gesamtkontext des Plakats mit Parolen wie „Totengräber der Demokratie“ sei die Bezeichnung „Volksschädling“ als harsche, aber inhaltliche Kritik an der Politik des Kanzlers verstehbar. Sie sei ein Werturteil, kein reiner Angriff auf die Person. Eine strafbare Schmähkritik lag für das Gericht nicht eindeutig vor.

Im zweiten, noch wichtigeren Schritt pulverisierte das Gericht die Kern-These der Staatsanwaltschaft. Die Frage der „Eignung“ einer Tat nach § 188 StGB dürfe sich nicht allein am Wortlaut einer Äußerung festmachen. Der Gesetzestext spricht von der „Tat“, nicht nur von der „Äußerung“. Zur Tat gehören alle Umstände: die Form der Verbreitung, die Größe des Publikums, der Kontext der Situation und die Person des Handelnden. Die alte Rechtsprechung, auf die sich die Staatsanwaltschaft berief, passte nicht mehr auf die neue Gesetzeslage. Das Gericht argumentierte, dass gerade bei Werturteilen der Kontext alles entscheidet. Die kleine Reichweite des Plakats in Ingolstadt, der erkennbar polemische Charakter und das Fehlen konkreter, glaubhafter Vorwürfe führten zu einem klaren Ergebnis: Die Tat war nicht geeignet, das öffentliche Wirken des Bundeskanzlers auch nur ansatzweise zu erschweren. Der Freispruch war rechtens.

Die Urteilslogik

Die Meinungsfreiheit schützt auch harsche politische Äußerungen und setzt der strafrechtlichen Verfolgung von Amtsträgerbeleidigungen hohe Hürden entgegen.

  • Die Reichweite der Äußerung bestimmt ihre Gefährlichkeit: Eine Beleidigung von Amtsträgern erfüllt nur dann den verschärften Straftatbestand, wenn die konkrete Tat – inklusive ihrer Verbreitungsform, der Größe des Publikums und des situativen Kontextes – tatsächlich geeignet ist, das öffentliche Wirken des Politikers zu erschweren.
  • Der Wertungscharakter schlägt die bloße Ehrverletzung: Gerichte müssen bei mehrdeutigen Äußerungen stets die Deutung wählen, die nicht zur Strafbarkeit führt, da Politiker auch extreme und polemische Werturteile hinnehmen müssen, solange die Kritik an ihre Amtsführung anknüpft und nicht primär die Diffamierung der Person bezweckt.

Die Justiz schützt die freie politische Auseinandersetzung und verhindert, dass scharfe Kritik vorschnell als Angriff auf die Staatsgewalt gewertet wird.


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Experten Kommentar

Viele dachten, bei der verschärften Beleidigung von Politikern zähle nur die Härte der Worte, etwa das herabwürdigende NS-Vokabular. Das Bayerische Oberste Landesgericht zieht hier eine klare rote Linie: Für den scharfen § 188 StGB reicht die verbale Attacke nicht, wenn die Tat keine echte Gefahr für das öffentliche Wirken des Amtsträgers darstellt. Ein polemisches Plakat auf einer kleinen lokalen Demo besitzt schlicht nicht die Reichweite oder das Potenzial, die Amtsführung des Bundeskanzlers ernsthaft zu behindern. Das Urteil bestätigt, dass Gerichte den Kontext und die tatsächliche Wirkung bewerten müssen; der Staat darf nicht jeden wüsten Protest mit maximaler Härte verfolgen.


Symbolische Grafik zu FAQ - Häufig gestellte Fragen aus dem Strafrecht" mit Waage der Gerechtigkeit und Gesetzbüchern im Hintergrund

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wie weit geht die Meinungsfreiheit bei scharfer Kritik an Politikern?

Die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) schützt auch sehr scharfe, polemische und überspitzte Kritik an Amtsträgern weitreichend. Gerichte werten solche Äußerungen als legitime politische Werturteile, die für die öffentliche Debatte notwendig sind. Erst wenn Ihre Kritik ausschließlich darauf abzielt, einen Politiker persönlich herabzuwürdigen, riskieren Sie eine strafrechtliche Verfolgung wegen Beleidigung.

Der Schutz politischer Äußerungen ist in einer Demokratie essenziell, weshalb Richter grundsätzlich die Freiheit der Rede favorisieren. Gerichte müssen bei mehrdeutigen Formulierungen, wie beispielsweise dem Begriff „Totengräber der Demokratie“, stets diejenige Deutung zugrunde legen, die nicht strafbar ist. Dieser starke juristische Schutzmechanismus stellt sicher, dass harsche Kritik toleriert wird, solange sie inhaltlich auf die Sachpolitik bezogen bleibt.

Die Grenze der Zulässigkeit ist erst bei der sogenannten Schmähkritik überschritten. Diese liegt nur dann eindeutig vor, wenn die Äußerung keinen erkennbaren sachlichen Bezug zur politischen Arbeit des Amtsträgers mehr aufweist. Ein reiner Angriff auf den privaten Charakter der Person, ohne jegliche Verknüpfung zu politischen Entscheidungen oder Vorgängen, kann dagegen strafbar sein.

Halten Sie fest, welche konkrete politische Entscheidung oder welchen Vorgang Sie kritisieren, um Ihre scharfe Formulierung als geschütztes Werturteil zu verankern.


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Wann gilt meine überspitzte Äußerung noch als geschütztes Werturteil?

Selbst wenn Sie drastische Vokabeln benutzen, bleibt Ihre Kritik geschützt, sofern sie noch als politisches Werturteil gilt. Die Grenze ist erst überschritten, wenn der Beleidigungscharakter die sachliche Auseinandersetzung vollständig überwiegt. Juristisch hängt die Beurteilung stets vom Kontext des Gesamtstatements ab. Gerichte müssen genau prüfen, ob es sich um eine reine Schmähkritik handelt.

Der Schutz der Meinungsfreiheit erfordert, dass Richter die gesamte Äußerung betrachten, nicht nur einzelne Worte. Ein Gericht interpretiert extreme Formulierungen noch als geschütztes politisches Statement, wenn diese im Zusammenhang mit weiteren Parolen oder konkreten politischen Vorwürfen stehen. Das Bayerische Oberste Landesgericht betonte, dass harsche Kritik an Amtsträgern grundsätzlich zum Wesen einer freiheitlichen Demokratie gehört. Eine strafbare Auslegung der Äußerung scheidet in der Regel aus, solange der politische Bezug erkennbar bleibt.

Nehmen wir an, jemand verwendet die Bezeichnung „Volksschädling“ für einen Bundeskanzler. Im isolierten Zustand wäre diese Vokabel juristisch extrem gefährlich. Das BayObLG sah jedoch den Gesamtkontext des Plakats, auf dem auch Parolen wie „Totengräber der Demokratie“ standen. Die Richter werteten die Wortwahl daher als harsche, aber inhaltliche Auseinandersetzung mit der Politik des Kanzlers. Nur wenn die Herabwürdigung der Person im Vordergrund steht und die sachliche Auseinandersetzung völlig in den Hintergrund tritt, liegt eine strafbare Beleidigung vor.

Nutzen Sie sehr harte Formulierungen, stellen Sie immer sicher, dass auf demselben Medium eine klare Verknüpfung zu einer konkreten politischen Maßnahme des Amtsträgers hergestellt wird.


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Welche Rolle spielt der Ort oder die Reichweite bei einer Anzeige wegen Politikerbeleidigung?

Die Reichweite und der Ort einer Äußerung sind bei der strafrechtlichen Verfolgung nach dem verschärften § 188 StGB (Beleidigung von Politikern) entscheidend. Eine Verurteilung setzt voraus, dass die Tat objektiv geeignet ist, das öffentliche Wirken des Amtsträgers zu erschweren. Bei minimaler Verbreitung, etwa im lokalen oder begrenzten digitalen Rahmen, ist dieser Beweis nur schwer zu führen. Die Gerichte betrachten daher stets die gesamten Umstände der Tat und nicht nur den reinen Wortlaut der Beleidigung.

Der Gesetzestext des § 188 StGB schützt primär das ungestörte Funktionieren des Amtes. Deswegen müssen Gerichte die gesamte Tat bewerten, wozu die konkrete Form der Verbreitung und die Größe des erreichten Publikums gehören. Eine Beschränkung der Äußerung auf einen kleinen, lokalen Rahmen schwächt die potenzielle Eignung einer Störung der Amtsführung massiv ab. Die geringe Reichweite negiert das Potenzial, Vertrauen in die Amtsführung ernsthaft zu untergraben.

Nehmen wir an: Das Bayerische Oberste Landesgericht bestätigte in einem Urteil, dass ein Plakat auf einer kleinen, lokalen Versammlung mit nur 100 Teilnehmern nicht die nötige Reichweite entfalten konnte. Der polemische Charakter des Protests war für jeden Betrachter sofort erkennbar. Das Gericht sah keine Anhaltspunkte dafür, dass ein vernünftiger Beobachter deswegen ernsthaft an der Integrität des Bundeskanzlers zweifeln würde.

Dokumentieren Sie stets genau die Größe des Publikums und die Reichweite Ihrer Äußerung, um die Geringfügigkeit der Störung im Zweifelsfall belegen zu können.


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Was passiert, wenn ich wegen Beleidigung von Amtsträgern nach § 188 StGB angeklagt werde?

Die Anklage nach § 188 StGB zielt auf einen schwerwiegenderen Tatbestand als die einfache Beleidigung. Hier schützt das Gesetz nicht nur die persönliche Ehre des Amtsträgers, sondern primär dessen Fähigkeit zur ungestörten Amtsausübung. Die Staatsanwaltschaft muss beweisen, dass Ihre Äußerung objektiv geeignet war, das öffentliche Wirken des Politikers ernsthaft zu erschweren oder das Vertrauen in seine Amtsführung zu untergraben. Die reine Existenz einer beleidigenden Formulierung reicht für eine Verurteilung nicht aus.

Der juristische Fokus liegt somit auf der Bedingung der Eignung zur Störung. Fehlt der persönliche Strafantrag des beleidigten Politikers, scheidet eine Verfolgung wegen einfacher Beleidigung (§ 185 StGB) oft aus. Das Verfahren konzentriert sich dann vollständig auf den verschärften Paragraphen, dessen Beweisanforderungen für die Anklage deutlich höher sind. Gerichte müssen nicht nur den Wortlaut prüfen, sondern die gesamte „Tat“ inklusive aller Umstände betrachten.

Konkret hängt die Eignung stark vom Kontext und der Reichweite ab. Nehmen wir an, ein Plakat mit einer harten, polemischen Beleidigung wird nur auf einer kleinen, lokalen Demonstration gezeigt. In solchen Fällen argumentierten Gerichte bereits, dass die minimale Verbreitung schlicht nicht das Potenzial hatte, die Amtsführung ernsthaft zu beeinträchtigen. Damit fehlt die kritische Voraussetzung für eine Verurteilung nach § 188 StGB.

Kontaktieren Sie unverzüglich einen Fachanwalt für Strafrecht, um die Verteidigungsstrategie sofort auf die Beweisführung gegen die Eignung der Tat zur Amtsstörung zu fokussieren.


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Müssen sich Politiker mehr Beleidigungen gefallen lassen als normale Privatpersonen?

Ja, das ist notwendig, weil der Schutz von Amtsträgern anders ausgerichtet ist. Gerichte gestehen Politikern im politischen Streit eine deutlich höhere Toleranzschwelle zu. Die Meinungsfreiheit erfordert eine besonders weite Auslegung, wenn es um die Kritik an staatlicher Gewalt geht. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem ungestörten Funktionieren der Amtsausübung.

Bei einfachen Privatpersonen schützt das Gesetz primär die persönliche Ehre nach § 185 StGB. Schon die Feststellung einer formalen Beleidigung kann hier zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Im Gegensatz dazu dient der strafrechtliche Schutz von Politikern vor allem ihrer Fähigkeit, öffentliche Aufgaben ungestört zu erfüllen. Diese Norm schützt die Funktion, nicht bloß die persönliche Empfindlichkeit des Amtsträgers, wie die Staatsanwaltschaft im Fall des Demonstranten betonte. Die Demokratie lebt von einer freien und manchmal polemischen Debatte über die Regierungsarbeit.

Selbst harsche Äußerungen gegen Amtsträger gelten deshalb oft noch als geschütztes politisches Werturteil. Gerichte müssen prüfen, ob die Kritik (auch wenn überspitzt) einen sachlichen Bezug zur politischen Funktion der Person hat. Nehmen wir an: Die Äußerung „Totengräber der Demokratie“ bezog sich auf konkrete politische Maßnahmen und wurde als zulässige Kritik eingestuft. Fehlt dieser politische Kontext und dient die Äußerung einzig der reinen Herabwürdigung des Menschen, bleibt die Verfolgung als Schmähkritik möglich.

Prüfen Sie bei sehr scharfer Kritik immer, ob Sie einen klaren, wenn auch überspitzten, Bezug zur politischen Funktion der Person herstellen können.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Beleidigung politischer Personen (§ 188 StGB)

Die Beleidigung politischer Personen, geregelt in § 188 StGB, ist ein verschärfter Straftatbestand, der Amtsträger vor Angriffen schützt, die geeignet sind, ihr öffentliches Wirken zu gefährden. Diese spezielle Norm schützt nicht nur die persönliche Ehre der Politiker, sondern primär die ungestörte Funktionsfähigkeit des Staates und demokratischer Ämter. Das Gesetz sieht hierfür eine höhere Strafandrohung vor, wenn die Tat öffentlich geschieht und das Vertrauen in die Amtsführung untergraben könnte.

Beispiel: Im vorliegenden Fall klagte die Staatsanwaltschaft den Demonstranten explizit nach § 188 StGB an, weil sie annahm, die Bezeichnung „Volksschädling“ würde die Amtsführung des Bundeskanzlers erschweren.

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Eignung der Tat

Die Eignung der Tat beschreibt im Kontext des § 188 StGB die objektive Fähigkeit einer Äußerung, das öffentliche Wirken des beleidigten Politikers tatsächlich zu behindern oder zu erschweren. Juristen schauen hierbei nicht nur auf den reinen Wortlaut, sondern auf alle Umstände, wie die Reichweite und den Kontext der Verbreitung, um festzustellen, ob eine realistische Störung vorlag. Fehlt diese objektive Eignung zur Störung, entfällt die verschärfte Strafbarkeit, selbst wenn die Äußerung formal beleidigend war.

Beispiel: Das Bayerische Oberste Landesgericht verneinte die Eignung der Tat, weil das Plakat nur auf einer kleinen, lokalen Versammlung mit minimaler Verbreitung gezeigt wurde.

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Schmähkritik

Juristen nennen es Schmähkritik, wenn eine Äußerung keinen erkennbaren sachlichen Bezug mehr zur politischen Arbeit hat, sondern die Herabwürdigung der Person alleiniges Ziel ist. Die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) schützt zwar scharfe und polemische politische Kritik weitreichend, doch bei einer reinen, vernichtenden Attacke auf den privaten Charakter ist die Grenze der Zulässigkeit überschritten. Hier tritt die Auseinandersetzung mit der Sache völlig hinter die Beleidigung zurück.

Beispiel: Für das BayObLG lag keine eindeutige Schmähkritik vor, da die Parolen im Gesamtkontext des Plakats als harsche, aber inhaltliche Auseinandersetzung mit der Politik des Kanzlers verstanden werden konnten.

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Strafantrag

Ein Strafantrag ist die förmliche Erklärung der verletzten Person, dass sie die strafrechtliche Verfolgung des Täters wünscht, was bei Delikten wie der einfachen Beleidigung (§ 185 StGB) eine zwingende Voraussetzung darstellt. Das deutsche Strafrecht stellt die Verfolgung solcher sogenannten Antragsdelikte in das Ermessen des Opfers, damit dieses selbst entscheiden kann, ob es eine öffentliche Auseinandersetzung vor Gericht wünscht. Ohne diese Willenserklärung kann die Staatsanwaltschaft in der Regel nicht tätig werden.

Beispiel: Da der Bundeskanzler im Fall der als Beleidigung gewerteten Bezeichnung „Volksschädling“ keinen Strafantrag gestellt hatte, war eine Verfolgung nach dem milderen Paragraphen 185 StGB von vornherein ausgeschlossen.

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Werturteil

Ein Werturteil ist eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder der Kritik geprägt ist und primär die politische Haltung eines Amtsträgers bewertet. Dieses Konzept ist der Gegenpol zur reinen Schmähkritik; solange eine Äußerung noch als Werturteil eingestuft werden kann, genießt sie den weitreichenden Schutz der Meinungsfreiheit. Die Gerichte müssen hierbei selbst überspitzte und drastische Formulierungen tolerieren, da sie für die öffentliche Debatte essenziell sind.

Beispiel: Die Richter sahen in Formulierungen wie „Totengräber der Demokratie“ eine satirische Verzerrung und ordneten die Äußerungen daher als geschütztes politisches Werturteil ein, welches Artikel 5 des Grundgesetzes schützt.

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Das vorliegende Urteil


BayObLG – Az.: 206 StRR 433/24 – Urteil vom 06.03.2025


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