AG Flensburg – Az.: 440 Cs 107 Js 7252/22 – Urteil vom 07.11.2022
1. Der Angeklagte wird freigesprochen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.
Angewendete Vorschriften: §§ 123 Abs. 1, Abs. 2, 34 StGB, 467 Abs. 1 StPO
Gründe
I.
Nach dem Strafbefehl vom 09.06.2022, gegen den der Angeklagte mit Schreiben vom 23.06.2022, eingegangen bei Gericht am 28.06.2022 form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hat, liegt dem Angeklagten zur Last, in Flensburg am 22.02.2021 in das befriedete Besitztum eines anderen widerrechtlich eingedrungen zu sein.
Von dem Vorwurf des Hausfriedensbruches ist der Angeklagte nach eingehender Prüfung der ihn belastenden und entlastenden Beweise und Indizien und deren Würdigung auch in ihrer Gesamtheit aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
II.
Für erwiesen erachtet das Gericht nach der durchgeführten Hauptverhandlung folgenden Sachverhalt:
Am 01.10.2020 begaben sich etwa 20 Personen auf das Privatgrundstück der „J. I.GmbH“ in der B. in F.. In der Folgezeit ab dem 01.10.2020 wurden auf den auf dem Grundstück befindlichen Bäumen mehrere Baumhäuser errichtet, in welchen Personen verweilten. Das Grundstück, auf welchem sich zu diesem Zeitpunkt ein Wald befand, war dabei in östlicher Richtung zu dem angrenzenden Gehweg der B. mit einem ca. 1,10 Meter hohen durchgängigen Zaun abgegrenzt. Daneben war das Grundstück an einem angrenzenden Hang mit einem durchgängigen Maschendrahtzaun mit einer Höhe von etwa 2 Metern umgrenzt. In südlicher Richtung war das Grundstück mit einem weiteren Maschendrahtzaun eingegrenzt, wovon auf einer Länge von etwa 3 Metern erkennbare Reste vorhanden waren. An der hinteren Ecke dieses Zaunes befand sich auf der Höhe eines dort vorhandenen Parkplatzes eine Öffnung. In westlicher Richtung wurde das Grundstück über einen rudimentär vorhandenen Maschendrahtzaun mit einer Höhe von etwa 2 Metern umschlossen. In nördlicher Richtung war das Grundstück durch die natürliche Vegetation zu dem angrenzenden, ebenfalls umgrenzten Grundstück der Deutschen Post sowie durch Reste von Zaunpfosten eines ehemals vorhandenen Zauns umgrenzt.
Dem Grundstückseigentümer ist von der Stadt F. die Baugenehmigung zur Bebauung des Grundstücks mit einem Hotel erteilt worden. Für diesen Hotelneubau war die Rodung von weiten Teilen des vorhandenen Baumbestandes erforderlich. Gegen die erteilte Baugenehmigung sowie gegen die Entwidmung des Waldes wurde von Umwelt- und Klimaschützern eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Schleswig erhoben. Flankierend gab es mindestens seit Oktober 2020 Demonstrationen und Mahnwachen im Bereich des Bahnhofswaldes für die Erhaltung des Waldes und gegen den Neubau.
Am Morgen des 19.02.2021 wurden wesentliche Bereiche des Grundstücks von einer privaten Firma vollständig mit Bauzäunen eingezäunt und es wurde innerhalb dieses Bereiches mit der Rodung begonnen. Ab diesem Zeitpunkt war das Grundstück dergestalt von Polizisten umstellt, dass niemand ungesehen auf das Grundstück oder von dem Grundstück gelangen konnte.
Der Angeklagte befand sich am Morgen des 19.02.2021 auf dem Grundstück auf einem Baum und verweilte dort, jeweils auf einem der Bäume, bis zum 22.02.2021 um 20.22 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt seilte er sich selbst aus dem Baum ab und verließ anschließend das Grundstück. Er handelte bei seinem Verweilen in der Absicht, die geplante Fällung der Bäume auf dem Grundstück zwecks Errichtung eines Gebäudes zu verhindern.
Der Geschäftsführer der Eigentümergesellschaft hat fristgerecht einen Strafantrag gegen den Angeklagten wegen Hausfriedensbruches gestellt.
III.
Diese Tatsachengrundlage sieht das Gericht nach der durchgeführten Hauptverhandlung als erwiesen an. Es wurde bewiesen, dass das streitgegenständliche Grundstück, welches sich aus dem eingeführten Liegenschaftskatasterauszug ergibt, im Eigentum der J. Immobiliengesellschaft befindlich ist. Diese wird laut ebenfalls eingeführtem Auszug aus dem Handelsregister von dem Geschäftsführer J. D. vertreten, welcher am 11.04.2021 Strafantrag gestellt hat.
Der Angeklagte hat sich selbst auf den eingeführten Fotografien Bl. 51 Rückseite der Akte identifiziert, die ihn in einem Baum sitzend zeigen. Diese Aufnahmen wurden von der Polizei am 22.02.2021 im Rahmen der Räumung des Grundstücks erstellt. Weiter hat der Zeuge PHM K. glaubhaft bestätigt, dass der Angeklagte am 22.02.2021 von einem auf dem Grundstück befindlichen Baum kletterte und er im Nachgang die Identität des Angeklagten, den er auch im Gerichtssaal wiedererkannte, mittels dessen BPA festgestellt hat. Die Schilderung des Zeugen war insoweit schlüssig und es gab für das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, dass oder warum die Schilderung des Zeugen nicht der Wahrheit entsprechen sollten. Eine Belastungstendenz des Zeugen war nicht erkennbar, zumal der Zeuge auch eingeräumt hat, dass nicht er selbst den Angeklagten unten am Baum in Empfang genommen hat, sondern andere Polizisten seiner Einheit, die ihm den Angeklagten sodann auf dem Parkplatz der Hauptpost übergeben hätten.
Der Angeklagte hat selbst ausgeführt, dass eine private, von dem Investor beauftragte Firma das gesamte Grundstück am Morgen des 19.02.2021 mit Bauzäunen einzäunte und die auf dem Grundstück befindlichen Bäume ansägte. Darin liegt eine klare Aufforderung des Berechtigten an alle auf den Bäumen befindlichen Personen, dieses Grundstück nunmehr spätestens zu verlassen. Ab diesem Zeitpunkt war mithin von einem unberechtigten Verweilen trotz Aufforderung des Berechtigten auszugehen. Auf welcher Basis die Aufforderungen der Polizei, die Bäume zu verlassen, fußte, ob dies einer Verletzung der zu diesem Zeitpunkt im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie geltenden nächtlichen Ausgangssperre durch die Baumbesetzer oder an einer den Baumbesetzern drohenden Gefahr durch die mangelnde Stabilität der durch eine Privatfirma angesägten Bäume oder der Räumung des Grundstücks im Interesse des Investors geschuldet war, konnte in der Hauptverhandlung nicht abschließend festgestellt werden.
Der Angeklagte wusste um all die tatbestandsausfüllenden objektiven Umstände, so dass von einem vorsätzlichen Verweilen auf dem Grundstück auszugehen ist. Dabei ist allerdings für den subjektiven Tatbestand von Belang, dass nach den Feststellungen des Gerichts das Motiv des Angeklagten rein auf die Erhaltung des Waldes aus Klimaschutzgründen gerichtet war. Es ging dem Angeklagten nicht in erster Linie darum, sich zu widersetzen oder gar den Investor zu schädigen. Der Angeklagte hat glaubhaft versichert, dass er sich aus Gründen des Klimaschutzes zur Erhaltung des in Rede stehenden Waldes genötigt sah, auf einem Baum zu verweilen. Er habe keine andere Möglichkeit mehr gesehen und ging selbst von dem Vorliegen einer Notstandslage aus.
IV.
Damit hat der Angeklagte den Tatbestand des § 123 Abs. 1 StGB in der Form des Verweilens auf einem befriedeten Besitztum, trotz Aufforderung des Berechtigten zur Entfernung, erfüllt. Zur Überzeugung des Gerichts machte erst die Errichtung der Bauzäune am Morgen des 19.02.2021 das Grundstück zu einem tauglichen Tatobjekt im Sinne des § 123 StGB, da es erst dann ausreichend umfriedet war. Dabei wertet das Gericht die Tatsache, dass sich die J. Immobilien GmbH am Morgen des 19.02.2021 genötigt sah, das Grundstück bzw. den zu rodenden Bereich vollständig mit einem Bauzaun einzugrenzen als klaren Hinweis darauf, dass selbst sie als Eigentümerin die bis dahin vorhandenen Zaunreste nicht als ausreichende physische Sicherung betrachtete, das Grundstück nicht zu betreten. In der durchgeführten Hauptverhandlung ergaben sich auch deutliche Hinweise darauf, dass die Eigentümerin das Betreten des Grundstücks mindestens bis Oktober 2020 hingenommen hat und das Grundstück mithin beliebig betreten werden konnte. Eine Veränderung der Einfriedung wurde jedoch erst am Morgen des 19.02.2021 vorgenommen. Nachdem zu diesem Zeitpunkt aufgrund der dann dauerhaften Polizeipräsenz niemand mehr ungehindert auf das Grundstück gelangen konnte, muss sich der Angeklagte bereits auf dem Grundstück befunden haben und konnte lediglich das Tatbestandsmerkmal des Verweilens erfüllen. Ein widerrechtliches Eindringen konnte nicht festgestellt werden.
V.
Der Angeklagte handelte jedoch nicht rechtswidrig, weil vorliegend der Rechtfertigungsgrund des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB erfüllt war. Der Angeklagte handelte, um eine gegenwärtige Gefahr von einem notstandsfähigen Rechtsgut abzuwenden und verwendete dafür auch das im konkreten Fall mildeste geeignete Mittel. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, ergibt, dass vorliegend das geschützte Interesse das beeinträchtigte Rechtsgut wesentlich überwiegt. Die Tat war auch ein angemessenes Mittel, die Gefahr abzuwenden.
1. Es bestand vorliegend im Zeitpunkt der Tat eine gegenwärtige Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut.
a) Das notstandsfähige Rechtsgut ist hier der Klimaschutz als ein anderes Rechtsgut i.S.d. § 34 StGB. Er findet seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 20a GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet diese Staatszielbestimmung die staatlichen Organe in der aktuellen Situation zu einer Reduktion von Treibhausgasemissionen und zielt insofern auch auf die Herstellung von Klimaneutralität ab (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723, 1740 (Rn. 198) m.w.N.; BVerfG, Beschl. v. 18.1.2022 – 1 BvR 1565/21 u.a., NJW 2022, 844 ff.). Für die Qualifizierung des verfassungsrechtlich so zu verstehenden Regelungsgehalts der staatlichen Klimaschutzverpflichtung nach Art. 20a GG als notstandsfähiges Rechtsgut ist es unerheblich, dass dieses Rechtsgut nicht dem Angeklagten als Individualrechtsgut zusteht (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723, 1727 (Rn. 112) m.w.N.). Das Gericht geht mit der ganz überwiegenden Auffassung in der strafrechtlichen Rechtsprechung und dem Schrifttum davon aus, dass § 34 StGB sowohl Rechtsgüter des Einzelnen als auch solche der Allgemeinheit umfasst (BGH, Urt. v. 5.7.1988 – 1 StR 212/88, NStZ 1988, 558; OLG Naumburg, Urt. v. 22.2.2018 – 2 Rv 157/17, NJW 2018, 2064, 2065; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2005 – III-5 Ss 63/05- 33/05 I, NJW 2006, 630; OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 28.8.1995 – 3 Ss 116/95, NStZ 1996, 136; Roxin/Greco, Strafrecht AT, Bd. I, 5. Aufl. 2020, § 16, Rn. 13; Rosenau, in: Satzger/Schluckebier, StGB, 5. Aufl. 2021, § 34, Rn. 7). Dabei entfaltet die Klimaschutzverpflichtung gemäß Art. 20a GG keine unmittelbare Drittwirkung im Verhältnis zwischen Privaten. Sie bindet aber als unmittelbar geltende und justiziable Rechtsnorm alle staatlichen Organe (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723, 1741 (Rn. 205 ff.); Dürig/Herzog/Scholz-Calliess, GG, Stand: März 2022, Art. 20a, Rn. 144, jeweils m.w.N.). Für die Gerichte folgt hieraus unter anderem, dass unbestimmte Rechtsbegriffe des einfachen Rechts, einschließlich des Begriffs des anderen Rechtsgutes sowie weiterer Rechtsbegriffe i.S.d. § 34 StGB, im Lichte und unter Berücksichtigung einer effektiven Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Klimaschutzverpflichtung gemäß Art. 20a GG auszulegen sind (so für den Tierschutz gemäß Art. 20a GG u.a. OLG Naumburg, Urt. v. 22.2.2018 – 2 Rv 157/17, NJW 2018, 2064, 2065; allgemein z.B. BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 – 8 C 14/04, NVwZ 2006, 595, 597; Dürig/Herzog/Scholz-Calliess, GG, Stand: März 2022, Art. 20a, Rn. 208-210; Epiney, in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20a, Rn. 43 u. 90 ff.; Sommermann, in: von Münch/Kunig/Kämmerer/Kotzur, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 20a, Rn. 47; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 20a, Rn. 74 ff., jeweils m.w.N.). Hieraus folgt zunächst, dass auch der Klimaschutz einschließlich der sich hieraus ergebenden Verpflichtung zur Herstellung von Klimaneutralität ein strafrechtlich notstandsfähiges Rechtsgut bildet.
Aber selbst wenn man mit einer ebenfalls gelegentlich vertretenen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, welche das Gericht nicht teilt, davon ausgehen sollte, dass § 34 StGB ausschließlich Individualrechtsgüter als notstandsfähige Rechtsgüter erfasst (so z.B. SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 34, Rn. 9 f.; Matt/Renzikowski-Engländer, 2. Aufl. 2020, § 34, Rn. 17), wäre diese Voraussetzung vorliegend erfüllt. Das Gericht geht davon aus, dass spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.2021 (1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723 ff.; vgl. auch nachfolgend BVerfG, Beschl. v. 18.1.2022 – 1 BvR 1565/21 u.a., NJW 2022, 844 ff.) der Klimaschutz über Art. 20a GG hinaus auch individualverfassungsrechtlich in den Grundrechten des GG seine positivrechtliche Basis findet und damit unter anderem über die intertemporale Freiheitssicherung der Grundrechte ebenfalls zu den durch § 34 StGB geschützten Individualrechtsgütern gehört.
Weiterhin geht das Gericht vor dem Hintergrund dieser doppelten konstitutionellen Rechtsgrundlage des Klimaschutzes im GG auch davon aus, dass die Staatszielbestimmung aus Art. 20a GG und die einschlägige intertemporale Freiheitssicherung sowie Schutzpflicht der Grundrechte aus verfassungsrechtlicher Perspektive im Hinblick auf die normative Relevanz der Verpflichtung zum Klimaschutz als notstandsfähiges Rechtsgut in einem Verhältnis wechselseitiger Verstärkung stehen (BVerfG, Beschl. v. 16.2.2000 – 1 BvR 242/91 , 1 BvR 315/99, BVerfGE 102, 1, 18; Dürig/Herzog/Scholz-Calliess, GG, Stand: März 2022, Art. 20a, Rn. 210; Bernsdorff, Natur und Recht 1997, 328, 330; Epiney, in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20a, Rn. 91; Lohse, in: Stern/Sodan/Möstl, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 2022, § 26, Rn. 20 m.w.N.); ein Gesichtspunkt, den es nicht zuletzt bei der Auslegung der weiteren Voraussetzungen des § 34 StGB zu berücksichtigen gilt.
b) Im Zeitpunkt der Tat bestand auch eine gegenwärtige Gefahr für das von § 34 StGB umfasste Rechtsgut des Klimaschutzes (so auch u.a. bereits AG Lüneburg, Urt. v. 12.4.2022 – 15 Ds 5102 Js 21930/21, BeckRS 2022, 21534; Bönte, HRRS 2021, 163 ff.; Wolf, Verfassungsblog v. 14.11.2022, ). Eine Gefahr ist ein Zustand, bei dem es nach den konkreten tatsächlichen Umständen wahrscheinlich ist, dass es zum Eintritt eines schädigenden Ereignisses kommt (BGH, Beschl. v. 15.2.1963 – 4 StR 404/62, BGHSt 18, 271 ff.; Lackner/Kühl-Kühl, 29. Aufl. 2018, § 34, Rn. 2; Schönke/Schröder-Perron, 30. Aufl. 2019, § 34, Rn. 12 f.). Dass die mit der aktuellen globalen Erderwärmung und dem nachweisbaren Klimawandel verbundenen negativen Folgen wie Hitzewellen, Überschwemmungen sowie Wirbelstürmen große Gefahren unter anderem für die durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgüter darstellen, ist wissenschaftlich in hinreichender Weise belegt. So hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 24.3.2021 klargestellt, dass Umweltbelastungen und die Gefahren des Klimawandels mittlerweile grundsätzlich eine gegenwärtige Gefahr unter anderem für das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darstellen (1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723 ff.).
Dabei ist nach Auffassung des Gerichts bei der Feststellung des Vorliegens einer gegenwärtigen Gefahr auch zu berücksichtigen, dass sich unter Zugrundelegung der aktuellen, in vertretbarer Weise als insgesamt unzureichend wahrnehmbaren Klimaschutzmaßnahmen diese Gefahren in den zukünftigen Jahrzehnten aller Wahrscheinlichkeit nach in noch wesentlich größerem Umfang realisieren werden, ohne dass dann den mit hoher Wahrscheinlichkeit vielfach irreversiblen Schäden durch entsprechende Maßnahmen des Klimaschutzes noch wirksam begegnet werden könnte. Die Gegenwärtigkeit einer Gefahr i.S.d. § 34 StGB wird nämlich zu Recht auch dann angenommen, wenn zwar der weitere Schadenseintritt möglicherweise nicht unmittelbar bevorsteht, er jedoch nur noch durch sofortiges Handeln abgewendet werden kann (BGH, Urt. v. 15.5.1979 – 1 StR 74/79, NJW 1979, 2053, 2054; BGH, Urt. v. 21.2.1989 – 5 StR 586/88, NJW 1989, 1289; Schönke/Schröder-Perron, 30. Aufl. 2019, § 34, Rn. 17; NK-StGB/Neumann, 5. Aufl. 2017, § 34, Rn. 56; Roxin/Greco, Strafrecht AT, Bd. I, 5. Aufl. 2020, § 16, Rn. 20; Fischer, 69. Aufl. 2022, § 34, Rn. 7). Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass dies vorliegend auf die Gefahren des Klimawandels zutrifft.
2. Die gegenwärtige Gefahr für das Rechtsgut Klimaschutz war vorliegend auch nicht anders abwendbar. Die Tat des Angeklagten stellte das im konkreten Fall mildeste geeignete Mittel dar.
a) Voraussetzung dafür, dass eine Gefahr sich als nicht anders abwendbar i.S.d. § 34 StGB darstellt, ist zunächst die Feststellung des Gerichts, dass das Handeln des Angeklagten zur Gefahrenabwendung geeignet gewesen sein muss (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.3.2021 – 2 RBs 13/21, NZV 2021, 436; OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.6.2004 – 3 Ss 187/03, NJW 2004, 3645, 3646; Matt/Renzikowski-Engländer, 2. Aufl. 2020, § 34, Rn. 19; Momsen/Savic, in: von Heintschel-Heinegg, StGB, 4. Aufl. 2021, § 34, Rn. 7). Dies ist nach der Überzeugung des Gerichts vorliegend der Fall.
Dabei setzt die Geeignetheit einer Maßnahme nicht voraus, dass die Notstandshandlung für sich genommen die Gefahrenlage mit Sicherheit oder zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit beseitigt (OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.6.2004 – 3 Ss 187/03, NJW 2004, 3645, 3646; Fischer, 69. Aufl. 2022, § 34, Rn. 10; MüKo-StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 34, Rn. 110). Vielmehr ist zunächst einmal diese Voraussetzung nur dann nicht gegeben, wenn sich die ergriffene Maßnahme als gänzlich nutzlos zur Abwendung der Gefahr darstellt, weil sie die Chance einer Gefahrenabwehr gar nicht erhöht (OLK Köln, Urt. v. 18.2.2020 – 1 RVs 188/19, BeckRS 2020, 2338; OLG Naumburg, Beschl. v. 24.4.2013 – 2 Ss 8/12, NStZ 2013, 718, 720; OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.6.2004 – 3 Ss 187/03, NJW 2004, 3645, 3646; Duttge, in: Dölling u.a., Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. 2022, § 34 StGB, Rn. 11; LK-StGB/Zieschang, 13. Aufl. 2019, § 34, Rn. 91; MüKo-StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 34, Rn. 110). Hierbei kann vorliegend offen bleiben, ob auch solche Maßnahmen als geeignet i.S.d. § 34 StGB angesehen werden können, welche für sich genommen im konkreten Fall keinen unmittelbaren Wirkungszusammenhang zur Verhinderung des Fortschreitens von Klimawandel und Erderwärmung sowie zur Herstellung von Klimaneutralität haben, sondern als gleichsam reine politische Protestaktion allein darauf abzielen, die politische, mediale, gesellschaftliche und damit öffentliche Aufmerksamkeit für die Dringlichkeit des Handelns und die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu erhöhen und ausschließlich auf diese – aus der Perspektive des Klimaschutzes mittelbare – Weise zur Gefahrenabwendung beizutragen (dafür z.B. Bönte, HRRS 2021, 163, 168 f.; Wolf, Verfassungsblog v. 14.11.2022, ; in dieser Richtung auch, wenngleich im Kontext von genetisch veränderten Pflanzen, OLG Naumburg, Beschl. v. 24.4.2013 – 2 Ss 8/12, NStZ 2013, 718, 720; ablehnend demgegenüber u.a. OLG Celle, Beschl. v. 29.7.2022 – S Ss 91/22, BeckRS 2022, 21494).
Jedenfalls soweit im konkreten Fall ein entsprechender unmittelbarer Wirkungszusammenhang zwischen der Tat des Angeklagten und der Abwendung der Gefahr für das notstandsfähige Rechtsgut gegeben ist, kann eine Handlung nach Überzeugung des Gerichts auch als geeignet i.S.d. § 34 StGB qualifiziert werden. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Anders als bei reinen Protestaktionen ging es dem Angeklagten mit seiner Tat nicht darum, nur auf die Gefahren des Klimawandels öffentlich aufmerksam zu machen und mehr Klimaschutz zu fordern. Der Angeklagte verweilte auf einem Baum, um diesen vor der Fällung zu schützen. Die Tat des Angeklagten hatte den Erhalt eines konkreten innerstädtischen Waldes zum Ziel, um auf diese Weise das Fortschreiten von Klimawandel und Erderwärmung zu verhindern sowie die Herstellung von Klimaneutralität zu fördern. Die zentrale Bedeutung von Bäumen und insbesondere von ganzen Wäldern zur Bindung des Treibhausgases CO2 und damit zur Verhinderung des Klimawandels ist wissenschaftlich erwiesen. Aufgrund dieses unmittelbaren Wirkungszusammenhangs stellt sich der Schutz von Bäumen vor der Abholzung also als eine Maßnahme dar, die keineswegs gänzlich nutzlos zur Abwendung der Gefahren des Klimawandels ist, sondern die Chance auf eine Gefahrenabwehr objektiv erhöht und damit als geeignet i.S.d. § 34 StGB anzusehen ist.
Es ist für die rechtliche Bewertung des Falls also gerade auch von Bedeutung, dass das Gericht die Tat des Angeklagten nicht als bloßen so genannten „zivilen Ungehorsam“ einordnet. Der so genannte zivile Ungehorsam zeichnet sich, mit dem ausschließlichen Ziel der Erlangung größerer öffentlicher Aufmerksamkeit, durch „das Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zur aufsehenerregenden Regelverletzung zu begegnen“ aus (Schönke/Schröder-Perron, 30. Aufl. 2019, § 34, Rn. 41a m.w.N.). Aufgrund des, wie dargelegt, Vorliegens eines unmittelbaren Wirkungszusammenhangs zwischen der Tat und Intention des Angeklagten sowie der Abwendung der Gefahr besteht im vorliegenden Zusammenhang also kein Anlass, auf die Frage einzugehen, ob Aktionen des zivilen Ungehorsams aus strafrechtlicher Perspektive einer Rechtfertigung zugänglich sind oder – wie bislang in Rechtsprechung und Schrifttum ganz überwiegend angenommen (so u.a. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83, 921, 1190/84 und 333, 248, 306, 497/85, BVerfGE 73, 206, 250 ff.; BGH, Urt. v. 8.8.1969 – 2 StR 171/69, BGHSt 23, 46, 56 ff.; OLG Celle, Beschl. v. 29.7.2022 – S Ss 91/22, BeckRS 2022, 21494; LK-StGB/Rönnau, 13. Aufl. 2019, Vor §§ 32 ff., Rn. 140 ff. m.w.N.) – eine Rechtfertigung tatbestandlichen Verhaltens vor einem solchen Hintergrund ausgeschlossen ist.
Der Geeignetheit der Tat des Angeklagten steht vorliegend auch nicht entgegen, dass sie für sich genommen die globalen Gefahren des Klimawandels nicht vollumfänglich abzuwenden in der Lage gewesen ist. Zwar hätte die Bewahrung des Baumes, auf dem der Angeklagte verweilte, bei isolierter Betrachtung, ebenso wie die damit ebenfalls intendierte Erhaltung des entsprechenden innerstädtischen Waldes insgesamt, nur einen vergleichsweise geringen Beitrag zur Verhinderung des globalen Klimawandels geleistet. Auch verkennt das Gericht nicht, dass in der strafrechtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum überwiegend die Auffassung vertreten wird, dass eine Tat jedenfalls in der Regel nicht als geeignet i.S.d. § 34 StGB zu qualifizieren ist, wenn sie die Chancen einer Gefahrenbeseitigung zwar messbar, aber nur geringfügig bzw. nur ganz unwesentlich erhöht (OLG Naumburg, Beschl. v. 24.4.2013 – 2 Ss 8/12, NStZ 2013, 718, 720; OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.6.2004 – 3 Ss 187/03, NJW 2004, 3645, 3646; SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 34, Rn. 28; LK-StGB/Zieschang, 13. Aufl. 2019, § 34, Rn. 91; kritisch u.a. Duttge, in: Dölling u.a., Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. 2022, § 34 StGB, Rn. 11).
Vorliegend geht das Gericht jedoch, gestützt auf die Erkenntnisse der Wissenschaft, davon aus, dass es sich bei der Abwendung der durch die anthropogene Erderwärmung und den damit verbundenen Klimawandel erwachsenden Gefahren um eine sehr komplexe und längerfristige Herausforderung handelt, die zum heutigen Zeitpunkt nur noch durch eine Vielzahl von Maßnahmen und Einschränkungen bewältigt werden kann. Diese Wahrnehmung liegt im Übrigen auch der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.3.2021 zugrunde (1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723 ff.). Und so wie beispielsweise der Umstand, dass „der deutsche Staat diesen Klimawandel wegen der globalen Wirkung und des globalen Charakters seiner Ursachen nicht allein, sondern nur in internationaler Einbindung anhalten kann“ „der Annahme der grundrechtlichen Schutzpflicht nicht prinzipiell entgegen“ steht (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723, 1732), so kann auch die Geeignetheit einer Handlung i.S.d. § 34 StGB nicht unter Hinweis auf die nur vergleichsweise geringfügige Erhöhung einer Gefahrenbeseitigungschance verneint werden. Dies gilt insbesondere unter, wie oben dargelegt, verfassungsrechtlich gebotener Berücksichtigung der sich sowohl auf die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG als auch auf die Grundrechte des GG stützenden und damit normativ verstärkten Bedeutung des notstandsfähigen Rechtsgutes Klimaschutz bei der Auslegung der Voraussetzungen des § 34 StGB. Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung des Gerichts – auch im vorliegenden Kontext – bei der Anwendung des § 34 StGB zu beachten, dass „[s]oweit die Abwendung der Notstandsgefahr nicht durch punktuelle Maßnahmen möglich ist, sondern ein komplexes und ggf. längerfristiges Vorgehen erfordert, […] selbstverständlich nicht jeder strafrechtlich relevante Einzelschritt schon für sich genommen eine Rettungschance zu eröffnen [braucht]. Hier genügt stattdessen, dass die jeweiligen Verhaltensweisen sinnvolle Bestandteile eines Vorgehens bilden, durch das die Notlage am Ende bewältigt werden könnte.“ (MüKo-StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 34, Rn. 113; ebenso speziell im Kontext des Klimaschutzes z.B. Bönte, HRRS 2021, 163, 168; Wolf, Verfassungsblog v. 14.11.2022, ).
b) Weiterhin hat die Feststellung des Gerichts, dass eine Gefahr sich als nicht anders abwendbar i.S.d. § 34 StGB darstellt, überdies zur Voraussetzung, dass das Handeln des Angeklagten zur Gefahrenabwendung auch erforderlich gewesen ist (Fischer, 69. Aufl. 2022, § 34, Rn. 9 m.w.N.). Die mit diesem Erfordernis verbundenen Anforderungen sind nach der Überzeugung des Gerichts vorliegend erfüllt.
Die Erforderlichkeit liegt vor, wenn bei mehreren in Betracht kommenden und gleich geeigneten Handlungsalternativen das relativ mildeste Mittel gewählt worden ist (BGH, Beschl. v. 28.6.2016 – 1 StR 613/15, NJW 2016, 2818; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2005 – III-5 Ss 63/05- 33/05 I, NJW 2006, 630 f.; OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.6.2004 – 3 Ss 187/03, NJW 2004, 3645, 3646; Matt/Renzikowski-Engländer, 2. Aufl. 2020, § 34, Rn. 21; Rosenau, in: Satzger/Schluckebier, StGB, 5. Aufl. 2021, § 34, Rn. 13; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 51. Aufl. 2021, Rn. 467). Zwar verkennt das Gericht nicht, dass in der strafrechtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum die Erforderlichkeit einer Tat dann grundsätzlich verneint wird, wenn staatliche Hilfe rechtzeitig in Anspruch genommen werden kann (BGH, Urt. v. 3.2.1993 – 3 StR 356/92, NJW 1993, 1869, 1870; BGH, Beschl. v. 28.6.2016 – 1 StR 613/15, NJW 2016, 2818; Rosenau, in: Satzger/Schluckebier, StGB, 5. Aufl. 2021, § 34, Rn. 13; Kühl, Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 8, Rn. 27; Rengier, Strafrecht AT, 14. Aufl. 2022, § 19, Rn. 23) oder wenn die Lösung der von § 34 StGB „vorausgesetzten Konfliktlage zwischen dem Erhaltungsgut und dem Eingriffsgut einem besonderen Verfahren oder einer bestimmten Institution vorbehalten ist“ (BGH, Beschl. v. 28.6.2016 – 1 StR 613/15, NJW 2016, 2818; vgl. auch u.a. OLG Braunschweig, Beschl. v. 16.5.2013 – 1 Ss 20/13, BeckRS 2013, 18047; Schönke/Schröder-Perron, 30. Aufl. 2019, § 34, Rn. 41) und dass in diesen Grundsätzen gerade auch der prinzipielle Vorrang staatlicher, von demokratischer Legitimation getragener und auf der Basis rechtsstaatlich geregelter und kontrollierter Verfahren erfolgender Gefahrenabwehrmaßnahmen im weiteren Sinne seinen Ausdruck findet.
Das Gericht ist von der Richtigkeit und Wichtigkeit dieser Grundsätze im Rahmen der Anwendung des § 34 StGB überzeugt. Es entspricht in diesem Zusammenhang aber auch der Überzeugung des Gerichts, dass, ebenso wie die Vorschrift insgesamt, so auch das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit i.S.d. § 34 StGB, und damit auch die soeben genannten Grundsätze, im vorliegenden Fall aus verfassungsrechtlicher Perspektive im Lichte der sich sowohl auf die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG also auch die Grundrechte des GG stützenden und damit normativ verstärkten, zentralen Bedeutung des Klimaschutzes auszulegen sind. Vor diesem Hintergrund sind nach Auffassung des Gerichts bei der sowohl aus der ex ante-Perspektive des Angeklagten als auch aus der ex post-Perspektive des Gerichts zu beurteilenden Erforderlichkeit (SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 34, Rn. 25) unter verfassungsrechtlich gebotener Berücksichtigung der hohen Wertigkeit des Klimaschutzes sowohl hohe Anforderungen an die objektiv gleiche Eignung von Handlungsalternativen zu stellen als auch dem Angeklagten gleichsam ein gewisser begrenzter Einschätzungsspielraum bei seiner ex ante erfolgenden Beurteilung der gleichen Eignung einzuräumen.
Diese nach Auffassung des Gerichts verfassungsrechtlich gebotene Auslegung des Merkmals der Erforderlichkeit i.S.d. § 34 StGB hat dabei nicht zur Folge, dass beispielsweise dem Personenkreis der Klimaaktivisten gleichsam unter dem „Deckmantel“ des strafrechtlichen Notstands weitgehende Eingriffsmöglichkeiten in Rechtsgüter Dritter außerhalb rechtsstaatlich geregelter und kontrollierter Verfahren eröffnet werden. Wie beispielsweise bereits vom OLG Naumburg hervorhoben, sind die Gerichte durchaus in der Lage, eine gegebenenfalls erfolgende, rechtsmissbräuchliche Berufung auf den Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB auch im vorliegenden Kontext des Umweltschutzes zu identifizieren und rechtlich einzuordnen (OLG Naumburg, Urt. v. 22.2.2018 – 2 Rv 157/17, NJW 2018, 2064, 2066). Das hier als richtig angesehene Verständnis des Regelungsgehalts von § 34 StGB stellt also insbesondere auch keinen „Freibrief“ für einen von einzelnen gesellschaftlichen Gruppen praktizierten „Klima-Aktionismus“ dar. Vielmehr ist das Vorliegen der Erforderlichkeit weiterhin unter zentraler Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
Unter Berücksichtigung derselben ist hier nach Überzeugung des Gerichts zunächst von Bedeutung, dass die Tat des Angeklagten nicht der einzige, und insbesondere auch nicht der erste, Versuch gewesen ist, den Schutz der Bäume dieses innerstädtischen Waldes vor einer Fällung zu erreichen. Vielmehr gingen der Tat des Angeklagten unter anderem Mahnwachen und Demonstrationen voraus. Nachdem die Stadt F. die Baugenehmigung erteilt hatte, sind Klagen hiergegen sowie gegen die Entwidmung des Waldes vor dem Verwaltungsgericht Schleswig erhoben worden. Überdies ist zu berücksichtigen, dass der Personenkreis, zu dem der Angeklagte gehört, Gespräche mit der J. Immobilien GmbH geführt hat. Erst nachdem sich deutlich abzeichnete, dass diese Gespräche nicht zu dem Ergebnis führen würden, dass eine Rodung des Waldes unterbleiben würde, entschloss sich der Angeklagte zu der – nunmehr strafrechtlich relevanten – Vorgehensweise des Verweilens auf einem Baum, um diesen vor der Abholzung zu schützen.
Weiterhin ist hier nach Überzeugung des Gerichts auch bei der Beurteilung der Erforderlichkeit i.S.d. § 34 StGB im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass der Angeklagte, wie bereits oben dargelegt, vorliegend eine Handlung gewählt hat, die sich nicht als bloße politische Protestaktion auf der Basis von Straftaten ohne unmittelbaren Gefahrabwendungsbezug darstellte, sondern die sich darauf beschränkte, einen unmittelbaren Wirkungszusammenhang zur Abwendung der Gefahr zu etablieren und die sich im Hinblick auf die vergleichsweise geringe strafrechtliche Eingriffsintensität als ein mildes Mittel darstellt. Und dies gilt umso mehr, da der Angeklagte im vorliegenden Fall eine unumkehrbare Maßnahme, nämlich die Rodung eines sehr alten gewachsenen Baumbestandes, zu verhindern suchte. Im Unterschied beispielsweise zur Blockade von Verkehrsmitteln, welche bei jeder Nutzung klimaschädliche Emissionen verursachen, deren Blockade jedoch nur eine vorübergehende und mithin kurzfristige Nichtnutzung bewirken kann, ging es vorliegend um den Erhalt von Bäumen deren nachhaltiger positiver Einfluss auf die Verringerung von Treibhausgasen wissenschaftlich erwiesen ist und deren Rodung unumkehrbar war.
Auch unter der Prämisse, dass die J. GmbH verpflichtet war, zum Ausgleich der gerodeten Bäume Ausgleichspflanzungen in Form neuer Bäume vorzunehmen, wäre eine solche Anpflanzung nicht als gleich geeignet im Sinne des Klimaschutzes anzusehen, da vor dem Hintergrund der Dringlichkeit des Klimaschutzes neu gepflanzte junge Bäume über einen sehr langen Zeitraum nicht die gleichen Effekte im Hinblick auf die Bindung von Treibhausgasen zu erzielen vermögen, wie die in Rede stehenden Bäume des Bahnhofswaldes.
Unter Berücksichtigung der im Lichte verfassungsrechtlicher Vorgaben vorliegend hohen Anforderungen an die objektiv gleiche Eignung von Handlungsalternativen sowie unter Heranziehung des Einschätzungsspielraums des Angeklagten ist das Gericht überdies der Überzeugung, dass auch die Entscheidung des Angeklagten, nicht mehr allein auf staatliche Maßnahmen und Verfahren zu vertrauen, im vorliegenden Fall auch bei objektiver ex post-Betrachtung der Erforderlichkeit seines Vorgehens i.S.d. § 34 StGB nicht entgegensteht. Der Vorrang staatlicher Gefahrenabwehrmaßnahmen und -verfahren beansprucht keine absolute Geltung. So ist in der Rechtsprechung beispielsweise anerkannt, dass die Bemühungen um staatliches Handeln nur dann ein milderes Mittel zur Abwehr von Gefahren für notstandsfähige Rechtsgüter darstellen, „wenn die Angeklagten mit einem Eingreifen der Behörden rechnen konnten“ (OLG Naumburg, Beschl. v. 24.4.2013 – 2 Ss 8/12, NStZ 2013, 718, 720) bzw. „wenn die Einschaltung von Behörden [nicht] von vornherein aussichtslos ist“ (OLG Naumburg, Urt. v. 22.2.2018 – 2 Rv 157/17, NJW 2018, 2064, 2065).
Diese Überlegungen – und die ihnen zugrunde liegenden Sachverhaltskonstellationen – lassen sich zwar nicht gleichsam eins-zu-eins und damit unmittelbar auf den vorliegenden Fall übertragen. Gleichwohl ist der hinter ihnen stehende und durch sie exemplarisch zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke nach Überzeugung des Gerichts auch zur Beurteilung der hier relevanten Gesamtkonstellation des Rechtsgutes Klimaschutz heranzuziehen. Vor diesem Hintergrund ist das Gericht der Überzeugung, dass staatliche Gefahrenabwehrmaßnahmen zur Verhinderung des Klimawandels und zur Herstellung von Klimaneutralität für sich genommen und damit bei isolierter Betrachtung nach dem für die vorliegende rechtliche Beurteilung allein relevanten aktuellen Sach- und Kenntnisstand keine objektiv gleiche Eignung aufweisen.
Zwar gehört es grundsätzlich nicht zu den Aufgaben der Gerichte, aus den Grundrechten des GG sowie der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG „konkret quantifizierbare Grenzen der Erderwärmung und damit korrespondierende Emissionsmengen oder Reduktionsvorgaben abzuleiten“ (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723, 1742). Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht auch hervorgehoben, dass das verfassungsrechtliche Klimaschutzgebot „nicht leerlaufen“ darf (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723, 1742). Insbesondere ist die durch den Gesetzgeber vorgenommene Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Klimaschutzziels in der Weise, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, aktuell auch „als verfassungsrechtlich maßgebliche Konkretisierung des Klimaschutzziels des Grundgesetzes anzusehen“ (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723, 1742). In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die aktuelle Vorgehensweise des Gesetzgebers sich jedenfalls insoweit als verfassungswidrig darstellt, als sie dem aus den Grundrechten des GG erwachsenden Gebot, „die nach Art. 20a GG verfassungsrechtlich notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen“ nicht gerecht wird (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723, 1747). Auch unabhängig von der – aus wissenschaftlicher Perspektive unterschiedlich beantworteten – Frage, ob es mit Hilfe der aktuellen staatlichen Maßnahmen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gelingt, die derzeit verfassungsrechtlich maßgeblichen Klimaschutzziele im ersten Zeitraum bis 2030 zu erreichen, ist damit nach Überzeugung des Gerichts auch bei gebotener objektiver ex post-Betrachtung die Einschätzung des Angeklagten, dass staatliche Klimaschutzmaßnahmen aktuell für sich genommen keine gleich geeignete Handlungsalternative zur Gefahrenabwehr darstellen, als so hinreichend vertretbar anzusehen, dass vorliegend die Erforderlichkeit des Handelns des Angeklagten zur Gefahrenabwehr bejaht werden kann.
3. Gemäß § 34 S. 1 StGB muss überdies im konkreten Fall die Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, ergeben, dass das geschützte Interesse das beeinträchtigte Rechtsgut wesentlich überwiegt. Dies ist nach Überzeugung des Gerichts vorliegend der Fall gewesen.
Zwar genießt das in Art. 20a GG verfassungsrechtlich verankerte Klimaschutzgebot auch in seiner hier relevanten Ausprägung als notstandsfähiges Rechtsgut i.S.d. § 34 StGB keinen unbedingten Vorrang vor anderen rechtlich geschützten Interessen (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723, 1740 m.w.N.). Gleichwohl sind nach Überzeugung des Gerichts bei der im Rahmen der Abwägung gemäß § 34 S. 1 StGB zunächst zu erfolgenden Bestimmung des rechtlichen Wertes bzw. der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter, welche vorrangig unter Rückgriff auf die Maßstäbe zu erfolgen hat, welche sich aus dem Grundgesetz ergeben (SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 34, Rn. 45; MüKo-StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 34, Rn. 138; Fischer, 69. Aufl. 2022, § 34, Rn. 13), auch im vorliegenden Fall namentlich drei rechtliche Aspekte zu berücksichtigen, welche jeder für sich – und zusammengenommen sich wechselseitig verstärkend – die zentrale Bedeutung des Klimaschutzes verdeutlichen. Zum einen erfährt das notstandsfähige Rechtsgut Klimaschutz, wie oben dargelegt, eine erhebliche normativ verstärkte Bedeutung durch den Umstand, dass es sich sowohl auf die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG als auch auf die Grundrechte des GG stützt. Zum anderen verdeutlicht die – vom verfassungsändernden Gesetzgeber bewusst gewählte – systematische Position des den Klimaschutz als Staatszielbestimmung verfassungsrechtlich (mit-)tragenden Art. 20a GG unmittelbar im Anschluss an die staatsorganisationsrechtliche Fundamentalnorm des Art. 20 GG, welche zentrale verfassungsgestaltende Grundentscheidungen des GG enthält, dass den in Art. 20a GG normierten Wertsetzungen, einschließlich des Klimaschutzes, aus verfassungsrechtlicher Perspektive eine besondere Schutzwürdigkeit und Relevanz zukommt (Lohse, in: Stern/Sodan/Möstl, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 2022, § 26, Rn. 8; Bernsdorff, Natur und Recht 1997, 328, 330). Weiterhin ist, drittens, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier zu berücksichtigen, dass schon angesichts der „nach heutigem Stand weitestgehenden Unumkehrbarkeit des Klimawandels“ das „relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu[nimmt]“ (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723, 1740). Auch im Lichte des aktuell aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse zu konstatierenden, sich deutlich fortsetzenden Klimawandels ist dem Klimaschutz und der Herstellung von Klimaneutralität damit eine rechtlich sehr hochrangige Relevanz zuzumessen, die es auch im Rahmen der gemäß § 34 S. 1 StGB erforderlichen Abwägung zu beachten gilt.
Das durch § 123 Abs. 1 StGB geschützte Hausrecht, also „die Freiheit der Entscheidung darüber, wer zur Wohnung, zu Geschäftsräumen oder zu einem befriedeten Besitztum Zutritt haben soll“ (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 16.3.2006 – 1 Ss 189/05, NJW 2006, 1746, 1749; vgl. auch u.a. Lackner/Kühl-Heger, 29. Aufl. 2018, § 123, Rn. 1; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, § 123, Rn. 1), ist ein wichtiges rechtlich geschütztes Interesse. Dies verdeutlicht nicht zuletzt seine Verbindung zum Grundrecht auf Eigentum gemäß Art. 14 Abs. 1 GG. Abgesehen von dem Umstand, dass dieses Grundrecht – und auch dies gilt es im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen – nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings auch eine der verfassungsrechtlichen Grundlagen des Klimaschutzgebots mit dem Ziel der Abwendung der durch den fortschreitenden Klimawandel verbundenen Gefahren bildet (BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723, 1735), ist hier für die Bestimmung der Wertigkeit überdies von Relevanz, dass der Hausfriedensbruch gemäß § 123 Abs. 1 StGB vor dem Hintergrund unter anderem der relativ geringen Strafandrohung verschiedentlich als so genanntes „Bagatelldelikt“ qualifiziert wird (so ausdrücklich z.B. NK-StGB/Ostendorf, 5. Aufl. 2017, § 123, Rn. 16 m.w.N.). Dies zeigt sich auch an dem Umstand, dass diese Tat gemäß § 123 Abs. 2 StGB als absolutes Antragsdelikt ausgestaltet ist und damit ein regelmäßig geringes Strafbedürfnis zum Ausdruck bringt (AG Mönchengladbach-Rheydt, Urt. v. 14.3.2022 – 21 CS – 721 Js 4/22 – 69/22, Zeitschrift für das gesamte Klimarecht 2022, 130, 131 m.w.N.).
Das wesentliche Überwiegen des geschützten Interesses im Verhältnis zum beeinträchtigten Rechtsgut in der vorliegenden Konstellation wird nach Überzeugung des Gerichts überdies vor allem auch deutlich, wenn man, wie durch § 34 S. 1 StGB vorgegeben, unter anderem den Grad der ihnen drohenden Gefahren in die Abwägung einbezieht. Auf der einen Seite ist hier zu berücksichtigen, dass das hier konkret betroffene Schutzgut das Hausrecht an einem Waldgelände gewesen ist, dessen Umfriedung – soweit vorhanden – bis zum 19.2.2021 lediglich aus teilweise nur rudimentär vorhandenen und Lücken aufweisenden Zäunen bestand. Dies ist deswegen im vorliegenden Kontext von Relevanz, weil bei der Beurteilung, wie gewichtig die Gefahr und Beeinträchtigung für die durch § 123 Abs. 1 StGB geschützte Rechtsgüter im Einzelfall gewesen sind, gerade auch die konkrete „soziale Funktion des befriedeten Besitztums“ zu berücksichtigen ist (OLG Köln, Urt. v. 10.6.1982 – 1 Ss 738/81, NStZ 1982, 333, 334; vgl. auch AG Mönchengladbach-Rheydt, Urt. v. 14.3.2022 – 21 CS – 721 Js 4/22 – 69/22, Zeitschrift für das gesamte Klimarecht 2022, 130, 131). Das Interesse der Inhaberin des Hausrechts an einem Waldgelände ist dabei nach Überzeugung des Gerichts als wesentlich geringer zu bewerten als in Fallgestaltungen wie etwa dem Eindringen in bewohnte Häuser oder Wohnungen oder dem unbefugten Verweilen in Geschäfts- oder Büroräume, da vorliegend nicht in gleicher Weise unter anderem auch die Privatsphäre der Inhaberin einer Gefahr ausgesetzt ist (AG Mönchengladbach-Rheydt, Urt. v. 14.3.2022 – 21 CS – 721 Js 4/22 – 69/22, Zeitschrift für das gesamte Klimarecht 2022, 130, 131). Auf der anderen Seite ist hier demgegenüber zu berücksichtigen, dass, wie bereits oben dargelegt, die mit der aktuellen globalen Erderwärmung und dem nachweisbaren Klimawandel verbundenen negativen Folgen wie Hitzewellen, Überschwemmungen sowie Wirbelstürmen große Gefahren unter anderem für die durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgüter darstellen, welche sich nach aktuellem – und damit relevanten – Stand in der kommenden Zeit aller Wahrscheinlichkeit nach in noch signifikant größerem Umfang realisieren werden, ohne dass dann den mit hoher Wahrscheinlichkeit vielfach irreversiblen Schäden durch entsprechende Maßnahmen des Klimaschutzes noch wirksam begegnet werden könnte.
Dem wesentlichen Überwiegen des geschützten Interesses im Verhältnis zum beeinträchtigten Rechtsgut steht im konkreten Fall auch nicht entgegen, dass die Tat des Angeklagten, wie bereits oben dargelegt, für sich genommen nur einen vergleichsweise geringen Beitrag zur Verhinderung des globalen Klimawandels geleistet hat. Zwar verkennt das Gericht nicht, dass nach einer verschiedentlich im Schrifttum vertretenen Auffassung bei der Abwägung im Rahmen des § 34 StGB in der Regel auch die Größe der Rettungschancen in dem Sinne zu berücksichtigen ist, dass je geringer sich die Rettungschancen durch die Rettungshandlung darstellen, desto größeres Gewicht dem beeinträchtigten Interesse zukommt (Rosenau, in: Satzger/Schluckebier, StGB, 5. Aufl. 2021, § 34, Rn. 28; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 51. Aufl. 2021, Rn. 469; Schönke/Schröder-Perron, 30. Aufl. 2019, § 34, Rn. 29). Dieser Grundsatz findet nach Überzeugung des Gerichts jedoch in den Konstellationen keine Anwendung, in denen, wie im vorliegenden Fall der Abwendung der durch die anthropogene Erderwärmung und den damit verbundenen Klimawandel erwachsenden Gefahren, eine sehr komplexe und längerfristige Herausforderung gegeben ist, die zum heutigen Zeitpunkt nur noch durch eine Vielzahl von Maßnahmen und Einschränkungen bewältigt werden kann (allgemein zur Relativierung dieses Grundsatzes auch u.a. LK-StGB/Zieschang, 13. Aufl. 2019, § 34, Rn.118). Insofern sei hier also auf das bereits oben zur Geeignetheit der Rettungshandlung ausgeführte verwiesen.
4. Die Tat war nach Überzeugung des Gerichts auch ein angemessenes Mittel, die Gefahr abzuwenden.
Die Voraussetzung der Angemessenheit der Tat gemäß § 34 S. 2 StGB als prinzipiell eigenständige, weitere Anforderung an das Vorliegen einer Rechtfertigungssituation i.S.d. § 34 StGB (BGH, Urt. v. 27.1.1976 – 1 StR 739/75, NJW 1976, 680, 681; SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 34, Rn. 94; MüKo-StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 34, Rn. 244 ff.; kritisch u.a. Schönke/Schröder-Perron, 30. Aufl. 2019, § 34, Rn. 46; LK-StGB/Zieschang, 13. Aufl. 2019, § 34, Rn. 151 ff. m.w.N.) wird vor allem dann als nicht gegeben angesehen, wenn „aus übergeordneten, also aus verfassungsrechtlichen Gründen keine richterliche Interessenabwägung unabhängig von ihrem Ergebnis über die Legitimation zu solchen Taten entscheiden darf“ (SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 34, Rn. 94; ähnlich z.B. Rosenau, in: Satzger/Schluckebier, StGB, 5. Aufl. 2021, § 34, Rn. 32: „nach anerkannten Wertmaßstäben als tragbar anzusehen“; im Ergebnis auch u.a. Roxin/Greco, Strafrecht AT, Bd. I, 5. Aufl. 2020, § 16, Rn. 95). Eine solche Fallkonstellation, welche die Angemessenheit der Tat im Lichte übergeordneter verfassungsrechtlicher Wertsetzungen wie namentlich der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG ausschließen würde, ist nach Überzeugung des Gerichts vorliegend nicht gegeben. Vielmehr folgt – gleichsam im Gegenteil – aus der verfassungsrechtlich, wie oben dargelegt, in mehrfacher Hinsicht erfolgten und damit normativ verstärkten Verankerung des Klimaschutzes sowohl in der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG als auch in den Grundrechten des GG, dass Handlungen, die das Ziel des Klimaschutzes verfolgen, im Grundsatz sogar ausdrücklich in Übereinstimmung mit übergeordneten verfassungsrechtlichen Wertsetzungen stehen.
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass im Schrifttum vielfach die Auffassung vertreten wird, dass das Vorhandensein rechtlich geordneter, staatlicher Verfahren zur Gefahrenabwehr die Angemessenheit i.S.d. § 34 S. 2 StGB von außerhalb derselben erfolgender Gefahrabwehrmaßnahmen im Regelfall ausschließt (NK-StGB/Neumann, 5. Aufl. 2017, § 34, Rn. 119 f.; Duttge, in: Dölling u.a., Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. 2022, § 34 StGB, Rn. 23; Matt/Renzikowski-Engländer, 2. Aufl. 2020, § 34, Rn. 35; Momsen/Savic, in: von Heintschel-Heinegg, StGB, 4. Aufl. 2021, § 34, Rn. 19; MüKo-StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 34, Rn. 254 ff.). Diese Auffassung ist nach Überzeugung des Gerichts, wie im Grundsatz bereits oben im Kontext der Erforderlichkeit ausgeführt, auch zustimmungswürdig. Allerdings kommt diesem letztgenannten Grundsatz, welcher gelegentlich als „Sperrwirkung rechtlich geordneter Verfahren“ bezeichnet wird (so u.a. MüKo-StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 34, Rn. 254), auch im Hinblick auf die Bewertung der Angemessenheit i.S.d. § 34 S. 2 StGB keine absolute Geltung zu (Rosenau, in: Satzger/Schluckebier, StGB, 5. Aufl. 2021, § 34, Rn. 33; Bönte, HRRS 2021, 163, 171; SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 34, Rn. 100 ff.), wobei im Rahmen der Identifikation und Konkretisierung von Ausnahmen wiederum gerade auch dieselben Überlegungen und Rechtsgedanken Anwendung finden, welche, wie oben dargelegt, in Rechtsprechung und Schrifttum bereits im Zusammenhang mit den Ausnahmen vom Vorrang staatlicher Gefahrenabwehrmaßnahmen und -verfahren im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Handlung i.S.d. § 34 S. 1 StGB herangezogen werden (Rosenau, in: Satzger/Schluckebier, StGB, 5. Aufl. 2021, § 34, Rn. 33). Überdies entspricht es der Überzeugung des Gerichts, dass auch die Angemessenheit i.S.d. § 34 StGB, und damit auch der letztgenannte Grundsatz, im vorliegenden Fall wiederum aus verfassungsrechtlicher Perspektive im Lichte der der sich sowohl auf die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG also auch die Grundrechte des GG stützenden und damit normativ verstärkten, zentralen Bedeutung des Klimaschutzes auszulegen ist. Vor diesem Hintergrund ist das Gericht der Überzeugung, dass jedenfalls im vorliegend relevanten Kontext des Klimaschutzes einem Handeln, welches, erstens, trotz des prinzipiellen Vorrangs staatlicher Gefahrenabwehrmaßnahmen und -verfahren unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als erforderlich angesehen werden kann sowie, zweitens, den Inhaber des Eingriffsgutes nicht in dessen durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde verletzt, nicht die Angemessenheit i.S.d. § 34 StGB abgesprochen werden kann. Da diese beiden Voraussetzungen nach Überzeugung des Gerichts in dem hier zu beurteilenden Fall erfüllt sind, war das Vorgehen des Angeklagten somit ein angemessenes Mittel, die Gefahr abzuwenden.
5. Das subjektive Rechtfertigungselement des § 34 StGB ist ebenfalls erfüllt. Der Angeklagte handelte, wie von dieser Vorschrift vorausgesetzt (BGH, Urt. v. 7.8.1979 – 1 StR 176/79, NJW 1979, 2621, 2622; Fischer, 69. Aufl. 2022, § 34, Rn. 27; LK-StGB/Zieschang, 13. Aufl. 2019, § 34, Rn. 80 ff. m.w.N.), um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Nach Feststellung des Gerichts war das Motiv des Angeklagten allein auf die Erhaltung des Waldes aus Klimaschutzgründen gerichtet.
Da vorliegend die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB erfüllt sind, kann hier dahingestellt bleiben, ob der Angeklagte gegebenenfalls auch deswegen nicht rechtswidrig handelte, weil er im konkreten Fall durch die Wahrnehmung seiner Grundrechte gerechtfertigt gewesen ist (hierzu im Kontext des Klimaschutzes z.B. AG Mönchengladbach-Rheydt, Urt. v. 14.3.2022 – 21 CS – 721 Js 4/22 – 69/22, Zeitschrift für das gesamte Klimarecht 2022, 130 ff.; allgemein u.a. OLG Jena, Urt. v. 13.1.2006 – 1 Ss 296/05, NJW 2006, 1892 f.; LK-StGB/Rönnau, 13. Aufl. 2019, vor §§ 32 ff., Rn. 138 ff. m.w.N.).
VI.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.