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Geldstrafe – Herausnahme von der Gesamtstrafenbildung nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB

KG Berlin – Az.: (3) 161 Ss 99/21 (38/21) – Beschluss vom 09.09.2021

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Mai 2021 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass darüber eine nachträgliche Entscheidung gemäß den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

2. Die weitergehende Revision wird als offensichtlich unbegründet verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht T. hat den Angeklagten am 21. Dezember 2020 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in fünf Fällen, begangen in der Zeit vom 23. Dezember 2019 bis 17. April 2020, zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten (Einzelstrafen in je zwei Fällen von fünf und sechs Monaten und in einem Fall von sieben Monaten) verurteilt und eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von 24 Monaten angeordnet. Die dagegen gerichtete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 27. Mai 2021 verworfen. Zu seinen Vorstrafen hat es unter anderem festgestellt, dass dieser am 17. November 2020 (durch welches Gericht, wird nicht mitgeteilt), rechtskräftig seit dem 17. Dezember 2020, wegen eines am 27. Februar 2020 begangenen Computerbetruges zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 15,- Euro verurteilt worden ist, die weder vollständig vollstreckt noch erlassen worden ist. Eine nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe mit dieser Strafe hat das Landgericht abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, bei der durch Urteil vom 17. November 2020 abgeurteilten Tat handele es sich um ein “völlig anders gelagertes Delikt”. Die Geldstrafe müsse neben der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe bestehen bleiben, um den Angeklagten auch am Vermögen zu strafen und ihm so seine Verantwortlichkeit für Vermögensdelikte vor Augen zu führen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er auf die allgemeine Sachrüge stützt.

II.

1. Soweit der Angeklagte mit seiner zulässigen Revision den Schuldspruch, die Bildung der Einzelstrafen und die angeordnete Sperrfrist angreift, ist seine Revision nach Maßgabe von § 349 Abs. 2 StPO offensichtlich unbegründet.

2. Demgegenüber kann der Gesamtstrafenausspruch keinen Bestand haben. Die Entscheidung des Landgerichts, die Geldstrafe aus dem Urteil vom 17. November 2020 von der (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung auszunehmen, erweist sich als rechtsfehlerhaft.

Nach § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB ist auch dann eine Gesamtstrafe zu bilden, wenn Geld- und Freiheitsstrafe zusammentreffen. Das Gericht kann jedoch nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Bildung einer Gesamtstrafe absehen. Welchen Weg es wählt, steht indes nicht zu seiner freien Disposition. Es hat im Rahmen des durch § 53 Abs. 2 StGB eröffneten Ermessens zu beachten, dass die Bildung einer Gesamt(freiheits-)strafe der Regelfall und das Erkennen auf eine gesonderte Geldstrafe der Ausnahmefall ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 2016 – 1 StR 358/16 – und 9. November 1993 – 1 StR 618/93 -; beide juris; Rissing-van Saan/Scholze in LK-StGB 13. Aufl., § 53 Rdn. 15 m.w.N.; Fischer, StGB 68. Aufl., § 53 Rdn. 5). Will das Gericht nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Bildung einer Gesamtstrafe absehen, muss es dies stets besonders begründen und zu erkennen geben, dass es sich seines Ermessens bewusst gewesen ist (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 264; KG NStZ 2003, 207; OLG Köln NStZ-RR 2005, 169; Fischer a.a.O.). Das ausgeübte Ermessen muss in einer Weise dargelegt werden, die es dem Revisionsgericht ermöglicht, es auf Rechtsfehler zu überprüfen, insbesondere ob sich das Tatgericht bei seiner Entscheidung des Regel-Ausnahmeverhältnisses von § 53 Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB bewusst gewesen ist.

Gemessen daran erweist sich die Begründung, mit der das Landgericht die Bildung einer Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Geldstrafe abgelehnt hat, als nicht tragfähig. So vermag schon die Begründung des Landgerichts nicht zu überzeugen, bei der abgeurteilten Vermögensstraftat handele es sich um ein “völlig anders gelagertes Delikt”. Das Landgericht verkennt, dass sich die Anwendung von § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB nicht auf Taten mit vergleichbarer Deliktstruktur beschränkt, sondern auch dann anzuwenden ist, wenn sowohl die Art des Delikts als auch die konkreten Tatumstände keinerlei Bezug zueinander haben. Die Argumentation des Landgerichts birgt die Gefahr in sich, dass das vom Gesetzgeber statuierte Gesamtstrafenprinzip (vgl. allgemein dazu Lackner/Kühl, StGB 29. Aufl., § 53 Rdn. 3 f.) unterlaufen und seinerseits zum Ausnahmefall wird.

Zwar ist die Erwägung des Landgerichts, dem Angeklagten durch die Verhängung einer gesonderten Geldstrafe dessen Verantwortlichkeit auch für Vermögensdelikte vor Augen zu führen, im Grundsatz durch das von § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB eröffnete Ermessen gedeckt. Allerdings lässt das Urteil Ausführungen dazu vermissen, aus welchen festgestellten Tatsachen das Landgericht diesen Schluss gezogen hat. Den getroffenen Feststellungen ist nur zu entnehmen, dass der Angeklagte zwischenzeitlich arbeitslos war und seit dem 1. Juni 2021 – mit einwöchiger Probezeit – eine auf 20 bis 30 Stunden wöchentlich beschränkte Tätigkeit als Reinigungskraft zu einem Stundenlohn von 11,11 Euro aufgenommen hat. Daraus lassen sich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände belastbare Rückschlüsse für das Bedürfnis einer gesonderten Geldstrafe nicht ableiten. Die mitgeteilten jugendrechtlichen Vorbelastungen und Vorstrafen bieten dafür keinen Raum. Danach wurden drei Verfahren wegen Diebstahls und Urkundenfälschung in den Jahren 2014 bis 2016 nach § 45 und 47 JGG eingestellt. Die sich daran anschließenden Verurteilungen erfolgten ausschließlich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz). Erkenntnisse für das Bedürfnis, dem Angeklagten seine Verantwortung für Vermögensdelikte zu verdeutlichen, lassen sich daraus nicht gewinnen. Das angefochtene Urteil erweist sich insoweit als lückenhaft.

3. Das Verbot der Verböserung nach § 331 StPO stand einer Gesamtstrafenbildung durch das Landgericht nicht entgegen. Dies folgt schon daraus, dass das Amtsgericht (naheliegend mangels Möglichkeit der Kenntnisnahme) keine Entscheidung über eine Gesamtstrafe mit der Strafe aus dem Urteil vom 17. November 2020 getroffen hat (vgl. KG NStZ 2003, 207). Hinzu tritt, dass § 331 StPO einer (nachträglichen) Gesamtstrafe jedenfalls nicht ausnahmslos entgegensteht. Vielmehr erfordert das Verschlechterungsverbot stets eine „ganzheitliche Betrachtung“ (Paul in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 331 Rdn. 4), entzieht sich einer schematischen Handhabung und ist eine Vorgabe für die über die Gesamtstrafe zu treffende Entscheidung (vgl. BVerfG StraFo 2018, 106; Senat, Beschluss vom 27. Mai 2020 – (3) 121 Ss 50/20 (26/20) -).

4. Auf dem dargelegten Fehler beruht das angefochtene Urteil, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die zu bildende Gesamtstrafe unter Berücksichtigung von § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB zu einem geringeren Strafübel bei dem Angeklagten führen wird. Der Senat hebt deswegen das angefochtene Urteil im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auf. Damit ist zugleich der vom Landgericht getroffenen Bewährungsentscheidung die Grundlage entzogen worden. Für die Aufhebung der Sperrfristanordnung nach § 69a StGB bestand demgegenüber keine Veranlassung, denn Anhaltspunkte dafür, dass die Anordnung der Sperrfrist die Bildung der Gesamtstrafe beeinflusst hat und beide Entscheidungen eine untrennbare Einheit bilden (vgl. Senat, Beschluss vom 10. September 2020 – (3) 161 Ss 89/20 (52/20) – m.w.N.), sind den Gründen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen.

5. Weil der Rechtsfehler allein die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe betrifft, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO zu verfahren (vgl. Senat, Beschlüsse vom 3. Dezember 2020 – (3) 121 Ss 153/20 (72/20) – und 17. November 2015 – (3) 121 Ss 124/15 (141/15) -). Die gebotene Entscheidung über die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe aus den hiesigen (Einzel-) Freiheitsstrafen und der im Urteil vom 17. November 2020 verhängten (Einzel-) Geldstrafe sowie der (erneut) zu treffenden Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung obliegt dem nach § 462a Abs. 3 StPO zuständigen Gericht.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Der Senat trifft diese Entscheidung selbst, denn es besteht kein Anlass, sie dem Nachverfahren vorzubehalten, in dem Kosten- und Auslagenentscheidungen ohnehin gesetzlich nicht vorgesehen sind. Es ist bereits jetzt abzusehen, dass die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen vorzunehmende (neue) nachträgliche Gesamtstrafenbildung dem Angeklagten nicht zu einem kostenrechtlich bedeutsamen Teilerfolg seines unbeschränkt eingelegten Rechtsmittels verhelfen wird, der gegebenenfalls die Anwendung von § 473 Abs. 4 StPO rechtfertigen könnte (vgl. KG, Beschluss vom 4. Mai 2018 – (4) 121 Ss 33/18 (51/18) -, juris).

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