LG Frankfurt – Az.: 5/24 Ns-3530 Js 202270/09 (21/10) – Urteil vom 29.02.2012
Auf die Berufung der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main, vom 11.1.2010, soweit es nicht in Folge der Beschränkung des Rechtsmittels rechtskräftig geworden ist (Verurteilung wegen der Taten zu 1., 2. sowie 7. sowie der Schmerzensgeldzahlung) aufgehoben.
Die Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit versuchtem unerlaubten Verabreichen von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Es wird bestimmt, dass drei Monate Freiheitsstrafe als bereits vollstreckt gelten.
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die der Angeklagten darin entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Angewandte Vorschriften: §§ 224 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, 21, 22, 23 Abs. 1, Abs. 2, 49 Abs. 1, 53, 54 StGB, 29 Abs. 1 Nr. 6 b BtMG
Gründe
I.
Das Amtsgericht Frankfurt am Main – Schöffengericht – verurteilte die Angeklagte am 11.1.2010 wegen gefährlicher Körperverletzung in sieben Fällen, davon einmal versucht, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Das Amtsgericht sprach der Angeklagten darüber hinaus ein Berufsverbot von zwei Jahren aus und verurteilte sie zu einer Schmerzensgeldzahlung an die Nebenklägerin in Höhe von 5.000,00 €.
Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte mit Telefax ihres Verteidigers vom 14.1.2010 Berufung eingelegt. Mit Telefax ihres Verteidigers vom 19.1.2011 hat sie ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. In der Berufungshauptverhandlung am 29.2.2011 hat die Angeklagte klargestellt, dass sie mit dieser Beschränkung auch die Verurteilung zu der Schmerzensgeldzahlung angenommen hat.
In Folge der Beschränkung des Rechtsmittels ist die Verurteilung zur Schmerzensgeldzahlung sowie der Schuldspruch hinsichtlich der Taten zu 1., 2. und 7. des amtsgerichtlichen Urteils einschließlich der diesen tragenden Feststellungen rechtskräftig geworden. Hinsichtlich der Taten zu II. 3. bis 6. hat die Kammer die Beschränkung des Rechtsmittels jedoch für unwirksam erachtet. Eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden (Meier-Gossner, StPO, 54. Aufl., § 318 Rdnr. 16) und auch dann, wenn der Schuldspruch des erstinstanzlichen Urteils fehlerhaft ist und dem Rechtsmittelgericht einen höheren Strafrahmen vorgeben würde (Meyer-Goßner, a.a.O. Rdnr. 17 a. E.). Hier geben die Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil zu den Fällen II. 3. bis 6. keine Auskunft darüber, wie das Dormikum/Midazolam auf die Nebenklägerin gewirkt hat, insbesondere dazu, ob es, wie in den Fällen II. 1. und 2., zu schwerwiegenden Ausfallerscheinungen gekommen ist oder nicht. Da die Erheblichkeit einer Körperverletzung für die Strafzumessung von entscheidender Bedeutung ist, war der Kammer auf Basis der amtsgerichtlichen Feststellungen insoweit eine begründete Strafzumessung nicht möglich. Ginge man aufgrund der Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils zu den Taten zu II. 3. bis 6. davon aus, dass das körperliche Wohlempfinden der Nebenklägerin in Folge der ungewollten Medikamenteneinnahme nicht erheblich beeinträchtigt und auch kein pathologischer Zustand hervorgerufen worden ist, so wäre die Verurteilung wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung unzutreffend und würde, da der Kammer die Milderungsmöglichkeit gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB entzogen wäre, einen fehlerhaften Strafrahmen vorgeben.
II.
Die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 45 Jahre alte Angeklagte wuchs mit ihrem vier Jahre jüngeren Bruder bei den Eltern auf dem Gebiet des heutigen Serbien auf. Der Vater arbeitete als Bauingenieur, die Mutter ats Sekretärin. Ihr Vater ist Serbe aus Montenegro, die Mutter stammt aus Kroatien. Die Angeklagte ist der serbischorthodoxen Kirche zuzurechnen. Sie ist jedoch nicht religiös. Die Angeklagte besuchte eine Schule, die sie parallel zur Krankenschwester ausbildete. Im Jahre 1985 schloss sie die Schule mit dem Abitur und gleichzeitig die Krankenschwester-Ausbildung ab. In den Jahren 1986 bis 1988 studierte sie in Zagreb Jura, brach das Studium dann jedoch ab, weil der Bürgerkrieg in der Luft lag und ihrer Familie nahegelegt wurde, das Land zu verlassen. Sie arbeitete zunächst in einem Krankenhaus in Zagreb und dann in einem serbischen Militärkrankenhaus. Im Jahre 1991 lernte sie ihren Ehemann kennen, der im selben Jahr nach Deutschland übersiedelte, da er nicht zum Militär eingezogen werden und am Bürgerkrieg teilnehmen wollte.
Am 23.1.1992 reiste die Angeklagte ihm nach Deutschland nach. Im Juni 1992 feierten sie Hochzeit. Der Ehemann der Angeklagten war in Jugoslawien als Schriftsteller tätig und verfasste u.a. Drehbücher. Seitdem das Ehepaar in Deutschland lebt, trägt er nahezu nichts zum gemeinsamen Lebensunterhalt bei. Das Paar hat keine Kinder.
Von Mai 1992 bis 1.10.1994 arbeitete sie in Frankfurt im Rotkreuz-Krankenhaus, wobei sie zunächst nur ein Praktikum absolvierte. Anschließend arbeitete sie bis zum 1.3.1995 im Nordwest-Krankenhaus. Schließlich wechselte sie wegen des dort vorhandenen Schwesternwohnheims, in dem auch ihr Mann wohnen durfte, zum Klinikum in Höchst, wo sie bis November 2004 in der chirurgischen Intensivabteilung tätig war. Wegen des Vorwurfs, Patienten eigenmächtig sediert zu haben, wurde sie in die Anästhesie versetzt, wo sie für Patienten zuständig war, die von der Augenklinik operiert wurden. Wegen mangelnder Beweise wurde ihr keine Abmahnung ausgesprochen, sondern lediglich eine Ermahnung, die nach einem Jahr aus der Personalakte entfernt wurde.
Schon bald nachdem die Angeklagte nach Deutschland gekommen war, hatte sie kleinere Kredite aufgenommen, um ihre und die Eltern ihres Ehemannes, die nach Serbien umziehen mussten und alles verloren hatten, finanziell zu unterstützen. Im Mai 1999 nahm sie bei der S…-Bank einen Kredit über 80.000,00 DM auf, den sie auf 120.000,00 DM aufstockte, um den Eltern ihres Ehemannes eine Wohnung in Serbien kaufen zu können. Mit den monatlichen Raten in Höhe von 750,00 € war sie überfordert. Sie war in der Verlegenheit, sich bei Kolleginnen Geld leihen zu müssen.
Im Juni 2007 nahm sie – auch zur Umschuldung – bei der … GmbH § Co. KG Bankgesellschaft ein Darlehen über 70.000,00 € zu einem effektiven Jahreszins von 13,90 % auf. Nach dem der Kammer vorliegenden Kontoauszug für den Zeitraum vom 8.8. bis 31.10.2008 konnte die Angeklagte die geschuldeten monatlichen Raten mehrmals nicht bezahlen.
Durch die hier in Rede stehenden Vorfälle wurde die Angeklagte zunächst suspendiert. Schließlich einigte man sich arbeitsgerichtlich auf eine Entlassung zum Jahresende 2008. Sie war dann etwa eineinhalb Monate arbeitslos, bis sie eine Beschäftigung bei einer Zeitarbeitsfirma fand. Auf Grund eines anonymen Hinweises auf die hier in Rede stehenden Vorfälle endete diese Beschäftigung nach zweieinhalb Monaten.
Bereits zwei Wochen später fand die Angeklagte über eine Zeitarbeitsfirma erneut eine Beschäftigung und war zwischenzeitlich bei den Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden als Krankenschwester beschäftigt. Derzeit ist sie in einem Krankenhaus in München tätig. Da sie für das Schwesternwohnheim in München ca. 370,00 € bezahlen muss, war sie nicht in der Lage, die Miete für die eheliche Wohnung in der G…straße in Frankfurt am Main vollständig zu bezahlen. Die Ehe ist stark belastet, auch weil der Ehemann ihr wegen der gegenständlichen Taten Vorwürfe macht und nicht einsieht, dass sie ihm nicht mehr Geld überweisen kann.
Die Angeklagte ist nicht vorbestraft.
III.
Infolge der teilwirksamen Rechtsmittelbeschränkung und der in der Berufungshauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme steht folgender Sachverhalt fest:
1.
Die Angeklagte und die Nebenklägerin waren Arbeitskolleginnen. Die Angeklagte wurde hauptsächlich im Aufwachraum eingesetzt und hatte frisch operierte Patienten zu versorgen, während die Nebenklägerin überwiegend im eigentlichen OP-Bereich eingesetzt war.
Beide Krankenschwestern wurden von ihren Kolleginnen und Kollegen sowohl seitens der Ärzte wie auch der Schwestern unterschiedlich eingeschätzt. Während die Zeugin S… insbesondere von den Ärzten als so genannte “ rechte Hand“, auf die man sich stets verlassen könne, hoch gelobt wurde, wurde das Verhalten der Angeklagten als eher kühl und technisch bewertet und sie als diskussionsfreudig beschrieben. Sie galt jedoch nicht als so genanntes „schwarzes Schaf“ der Abteilung und wurde nicht gemobbt, auch wenn sie weniger beliebt und geschätzt war als die Nebenklägerin.
Die Angeklagte versetzte in der Zeit vom 18.08. bis 28.10.2008 in den Räumlichkeiten der Station … der Städtischen Kliniken in Frankfurt am Main-Höchst im Fachbereich Augenklinik in der G…straße … die Getränke der Nebenklägerin und möglicherweise auch Nahrungsmittel der Nebenklägerin in mindestens sieben Fällen mit einem narkotisierenden Medikament aus der Gruppe der Benzodiazepine, „Midazolam“, Handelsnahme Dormikum.
Benzodiazepine gehören in die Wirkstoffklasse der Hypnotika und Sedativa und sind deshalb verschreibungspflichtig und unterfallen dem BtMG (Anlage III). Eingesetzt werden sie in ihrer Wirkweise als Hypnotikum als Bestandteil der Narkose. In der Intensivmedizin werden sie zudem zur Sedierung benutzt. Bei regelmäßiger Einnahme besteht die Gefahr der Gewöhnung und Abhängigkeit. Benzodiapzepinpräparate sind dosisabhängig und je nach Substand unterschiedlich stark atemdepressiv, d. h. sie dämpften das Atemzentrum. Sie versetzen einen Menschen in den Zustand der Gleichgültigkeit, wirken angstlösend, krampflösend, muskelentspannend, beruhigend und schlaffördernd, leicht stimmungsaufheilend und bewirken, dass die Erinnerung für die Dauer der Wirkung fehlt. Es kann schon nach kurzer Zeit zu einer psychischen und körperlichen Abhängigkeit kommen. Das Medikament ist als gesundheitsschädlich einzustufen.
Midozolam war in der Abteilung der Augenklinik frei zugänglich. Kontrollen über den Bestand wurden bis Mitte Oktober 2008 nicht durchgeführt.
Die Angeklagte tat dies, weil sie die wahnhafte Vorstellung entwickelt hatte, die Nebenklägerin wolle ihr schaden und verfolge sie mit schwarzer Magie. Bedrückende Ereignisse, etwa den Erhalt einer Rechnung, brachte sie mit der Nebenklägerin in Verbindung. Wenn die Nebenklägerin sich nicht in der Klink aufhielt, fühlte sie sich besser. Das Verabreichen der Medikamente sollte dazu führen, dass die Nebenklägerin die Klinik verlässt.
In Folge dieses Wahns war die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten erheblich vermindert.
In zwei Fällen nahm die Nebenklägerin jeweils eine größere Menge Midazolam zu sich. In vier weiteren Fällen nahm sie nur geringe Mengen zu sich, im letzten Fall trank sie nicht von dem präparierten Getränk.
Im Einzelnen geht es um folgende Fälle:
a)
Die Nebenklägern kehrte Mitte August 2008 aus dem Sommerurlaub in die Klink zurück. Am 18.8.2008 nahm sie das Midazolam ungewollt zu sich. Sie fühlte sich in Folge dessen so schlecht, dass sie nicht Weiterarbeiten und sich kaum auf den Beinen halten konnte und sich für ca. 30 Minuten hinlegen musste. Da sich ihr Zustand nicht besserte, wurde sie von ihrem Vorgesetzten nach Hause geschickt. Auf Grund der durch die Angeklagte verabreichten Betäubungsmittel war die Geschädigte so benommen, dass sie auf der Heimfahrt in der S-Bahn einschlief und irgendwann aufwachte, ohne zu wissen, wo sie sich befand. Sie empfand ein Unwohlsein, litt unter starken Kopfschmerzen und erholte sich erst nach ca. drei Stunden wieder.
b)
Am 21.08.2008 verabreichte die Angeklagte der Nebenklägerin ohne deren Wissen erneut Midazolam. Beim gemeinsamen Mittagessen mit der Zeugin Dr. K…-H… verfiel diese plötzlich in Müdigkeit, gähnte mehrfach laut und vernehmlich, stocherte wahllos mit dem Besteck in ihrem Essensteller herum, sortierte genauso ungeordnet das Besteck anschließend, starrte die Zeugin K… -H… mit offenen Augen, aber leerem Blick an und reagierte auf keinerlei Ansprache. Die Zeugin wurde anschließend für ca. 45 Minuten bewusstlos und musste von den Ärzten und Schwestern notfallmäßig behandelt werden.
Obwohl die Zeugin Weiterarbeiten wollte, wurde ihr von ihren Kollegen und vor allen Dingen von ihren Ärzten nahegelegt, sich krankschreiben und genauestens untersuchen zu lassen. Da man von der Zeugin bisher nicht gewohnt war, dass sie krank war, sondern dass sie regelmäßig auch überobligationsmäßig Dienst leistete, machte man sich in der Augenklinik erhebliche Sorgen um die Zeugin. Es wurden diverse Vermutungen angestellt, was die Ursachen der plötzlichen Bewusstlosigkeit der Zeugin sein könnten. So wurden ein Tumor, Schlaganfälle oder kardiologische Probleme vermutet. Die Zeugin unterzog sich anschließend diversen medizinischen, besonders fachärztlichen Untersuchungen einschließlich einer Computertomografie, die jedoch alle ergebnislos blieben.
Die Zeugin nahm dann ihre Berufstätigkeit nach einer mehrwöchigen Pause wieder auf. Sie schöpfte den Verdacht, dass ihr jemand etwas in ihre Getränke oder das Essen mische. Sie berichtete Oberarzt Dr. K… von ihrem Verdacht, der sie aufforderte beim nächsten Vorfall eine Probe zu nehmen. Er werde die Probe dann in das klinikeigene Labor zur Untersuchung schicken.
c)
Am 01.10.2008 spritzte die Angeklagte erneut Midazolam in Tee und Wasser der Nebenklägerin. Als die Zeugin S… beim Nippen feststellte, dass ihr Tee bitter schmeckte, bat sie die Zeugin K…, diesen zu probieren. Diese bestätigte den bitteren Beigeschmack. Über den Zeugen K… wurde eine Probe in das klinikeigene Labor gebracht. Dort wurde festgestellt, dass Tee und Wasser mit Benzodiazepin versetzt waren. Das Ergebnis lag am 6.10.2008 vor.
Wegen der geringen von der Nebenklägerin aufgenommenen Wirkstoffmenge blieben Benommenheit und Unwohlsein aus.
d)
Im Laufe des 07.10.2008 spritzte die Angeklagte der Nebenklägerin im Aufenthaltsraum der Städtischen Augenklinik in Frankfurt am Main-Höchst erneut heimlich Midazolam in deren Wasser. Der nun gewarnten Nebenklägerin fiel beim Probieren ein bitterer Beigeschmack auf. Sie trank nicht weiter, sondern nahm eine Probe, die wiederum dem klinikeigenen Labor zugeleitet wurde. Die Probe enthielt Benzodiazepin.
Benommenheit und Unwohlsein blieben aus.
e)
Im Laufe des 16.10.2008 injizierte die Angeklagte in den Räumlichkeiten der Station …/ Augenklinik der Städtischen Klinik in Frankfurt am Main-Höchst erneut ein benzodiazepinhaltiges Medikament in das Wasserglas der Nebenklägerin. Dieser fiel der bittere Geschmack jedoch auf, weshalb sie von dem Wasser nicht weiter trank.
In Folge dessen verspürte sie keine Benommenheit oder Unwohlsein.
f)
Im Laufe des 20.10.2008 injizierte die Angeklagte der Nebenklägerin wiederum ohne deren Wissen und Willen Midazolam in deren Getränk. Die Geschädigte nippte daran, bemerkte den ihr bereits vertrauten bitteren Beigeschmack und trank nicht weiter.
Sie verspürte keine Benommenheit und kein Unwohlsein.
Am 27.10.2008 baute die Polizei zwei Kameras in den Städtischen Kliniken Höchst in Frankfurt am Main in zwei Einleitungs-/Vorbereitungsräumen der Station …/Augenklinik auf. Das Bild der beiden Kameras wurde in einen, dem Einleitungsraum gegenüberliegenden Ärzteraum übertragen, live ausgewertet und aufgezeichnet. Ebenfalls wurden Medikamentenampullen (2 Ampullen Antidot Flumazenil 15 mg/3m1 und 5 Ampullen Midazolamratiopharm 15 mg/3ml und 2 Ampullen 5 mg/ml), die sich in einem Notfallwagen im Aufwachraum befanden mit Fangmittel „Lumilux Rot CD 740“ präpariert.
g)
Am 28.10.2008 konnte per Live-Übertragung durch die Zeugin KOK B… und S… festgehalten werden, wie die Nebenklägerin gegen 08:00 Uhr ihr gefülltes Wasserglas und ihre Wasserflasche auf die Arbeitsfläche im Einleitungsraum stellte. Es war ferner zu sehen, wie sie diesen verließ und die Angeklagte ihn gegen 08:57 Uhr betrat, direkt auf die Arbeitsfläche zuging, mittels einer Spritze etwas in das Wasserglas der Zeugin S… spritzte und beim Verlassen des Raumes etwas in den dortigen Müllbehälter wirft. Gegen 08:58 Uhr wurde die Angeklagte sodann festgenommen. Die Wasserflasche und das Wasserglas samt Inhalt wurden sichergestellt. Eine der präparierten Ampullen fehlte. Sie wurde durch den Zeugen K… in einem Müllraum des Raumes …, also in einem gänzlich anderen Zimmer, gefunden. Die Ampulle war in Papier, einem Einweghandschuh und erneut in Papier eingewickelt. Das fluoreszierende Präparat war sowohl an der Ampulle als auch an dem Papier deutlich zu sehen. In dem Mülleimer wurde auch die benutzte Spritze gefunden. Ein UV-Test im Beisein von POK’in P… und POK R… ergab, dass die Angeklagte das fluoreszierende Mittel auch an den Händen hatte.
Trotzdem bestritt sie gegenüber den Polizeibeamten die Tat.
2.
Nach der erstinstanzlichen Hauptverhandlung begab sich die Angeklagte auf Anraten ihres Verteidigers zu dem als Zeugen vernommenen Psychiater Dr. J… S… Am 25.3.2010 suchte sie ihn erstmals auf und sagte ihm, sie brauchte ein Gutachten über ihren psychischen Zustand für ihren Anwalt. Dr. S… explorierte die Angeklagte und sagte ihr, dass er mehrere Termine mit ihr durchführen müsse, um sich ein Bild machen zu können. Es kam zu Untersuchungs- bzw. Behandlungsterminen am 12.4.2010, 23.9.2010 (bei einer Kollegin) und 19.10.2010. Im Termin vom 19.10.2010 vertraute die Angeklagte ihrem Psychiater erstmals an, dass ihre Kollegin, die Nebenklägerin, sie mit Zauberei verfolgt habe. Es folgte eine Reihe weiterer Behandlungstermine und – wegen des Aufenthaltes der Angeklagten in München – eine Vielzahl von Telefongesprächen zwischen Psychiater und Patientin. Am 12.11.2010 verschrieb Dr. S… ihr ein Neuroleptikum, das er nach dem Abklingen der Symptome am 18.7.2011 absetzte.
3.
Aufgrund der Berufung der Angeklagten ging die Akte am 23.3.2010 beim Landgericht Frankfurt am Main – 24. kleine Strafkammer – ein. Der damalige Vorsitzende der Kammer, der am 31.12.2010 in Pension ging, förderte das Verfahren nicht. Der neue Vorsitzende bestimmte am 12.4.2011 Termin auf den 19.9.2011. Da der Verteidiger mit Telefax vom 12.9.2011 unter Beifügung einer psychiatrischen Stellungnahme des Dr. S… die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten beantragte, wurde neuer Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 23.1.2012 bestimmt.
IV.
Die Feststellungen zur Person der Angeklagten beruhen auf ihren glaubhaften Angaben in der Berufungshauptverhandlung.
Die Angeklagte hat eingeräumt, der Nebenklägerin in den vom Amtsgericht festgestellten sieben Fällen das Medikament Midazolam in die Getränke gemischt zu haben. Ihr sei es damals sehr schlecht gegangen. Sie habe wegen der prekären finanziellen Situation unter großem Druck gestanden und von ihrem Ehemann keine Unterstützung erfahren. Sie habe wahnsinnige Schlafstörungen gehabt und versucht, durch Lesen von Romanen der Wirklichkeit zu entfliehen. Sie habe ihr ganzes Leid mit der Nebenklägerin in Verbindung gebracht und sei sehr sicher gewesen, dass Frau S… ihr Böses wolle. Wenn Frau S… auf der Arbeit gewesen sei, habe sie gewusst, dass ihr Tag schlecht verlaufen werde. Heute könne sie es selbst nicht mehr verstehen, aber damals habe sie gedacht, dass ihr die Nebenklägerin mit schwarzer Magie schaden wolle. Mit dem Verabreichen des Midazolam habe sie sie nur von sich entfernen wollen. Über die Konsequenzen habe sie nicht nachgedacht. Wichtig sei ihr nur gewesen, dass Frau S… nicht auf der Arbeit gewesen sei. Wenn Frau S… im Krankenhaus gewesen sei, – so habe sie es empfunden – habe sie bedrückende Anrufe von der Bank oder Rechnungen bekommen. Sie habe gedacht, dass sie sich wehren müsse. Das seien so blitzartige Eingebungen gewesen, dass sie sich nicht von der Nebenklägerin vertreiben lasse und nicht kneifen dürfe. Sie habe darüber weder mit ihrem Verteidiger noch mit Irgendjemanden sprechen können. Sie habe sich auch geschämt, dass sie an so etwas wie schwarze Magie geglaubt habe. Solcher Aberglaube sei in Kroatien und Serbien weit verbreitet. Sie sei aber nie abergläubisch gewesen. Erst in der Behandlung bei Dr. S… habe sie darüber sprechen können. Bei ihm habe sie 20 bis 25 Sitzungen gehabt. Weil sie in München gearbeitet habe, sei es natürlich nicht einfach gewesen. Häufig habe sie auch mit ihm telefoniert.
Die Einlassung der Angeklagten ist glaubhaft, soweit sie die sieben Taten eingeräumt hat. Insoweit decken sich ihre Angaben mit der Aussage der Nebenklägerin und den verlesenen Laborergebnissen. Hinsichtlich des von der Nebenklägern behaupteten Tatmotivs, der wahnhaften Vorstellung, und der damit verbundenen erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit kommt der Angeklagten der Grundsatz zu Gute, dass im Zweifel zugunsten eines Angeklagten zu entscheiden ist.
Der vom Gericht bestellte psychiatrische Sachverständige Dr. J… hat ausgeführt, er könne zwei Diagnosen mit Sicherheit stellen:
Zum einen sei die Angeklagte eine anankastische, d.h. zwanghafte, Persönlichkeit. Solche Personen seien sehr kontrolliert und selbstdiszipliniert und seien aufgrund ihrer rigiden Vorstellungen oft nicht teamfähig. So erklärten sich etwa ihre Konflikte mit dem ärztlichen Personal oder auch mit der Nebenklägerin. Aufgrund ihres hohen Pflichtbewusstseins seien anankastische Persönlichkeiten beruflich aber auch häufig sehr erfolgreich. Zum anderen habe bei Frau L… eine Anpassungsstörung mit gemischten emotionalen Symptomen und Störungen des Sozialverhaltens vorgelegen. In Folge der sie überfordernden finanziellen Lage und der mangelnden Unterstützung durch ihren Ehemann sei die Angeklagte psychosozial außerordentlich belastet gewesen. Sie habe unter Durchschlafstörungen gelitten, sich große Sorgen gemacht und große Angst vor dem Eingehen von Rechnungen gehabt. Weder die anankastische Persönlichkeitsakzentuierung noch die Anpassungsstörung erreichten jedoch den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit. Die anankastische Persönlichkeit sei nicht so ausgeprägt, dass man von einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung sprechen könnte, zumal die Arbeitsfähigkeit erhalten geblieben sei.
Wenn die Angaben der Angeklagten, sie hätte damals die Überzeugung gewonnen, dass die Nebenklägerin ihr schade, sie jedenfalls vom Arbeitsplatz vertreiben wolle, und hierzu schwarze Magie eingesetzt habe, zuträfen, habe überdies eine wahnhafte Störung nach ICD-10:F22.0 Vorgelegen. Für die Annahme einer solchen wahnhaften Störung und gegen Simulation spräche, dass das Alter der Angeklagten und der Immigrationshintergrund für solche wahnhafte Störungen typisch seien. Dafür spräche auch, dass Wahnstörungen häufig mit depressiven Verstimmungen einhergingen, so dass in solchen Fällen ein Behandlungsversuch mit Antidepressiva angezeigt erscheine. Für dje Annahme von Simulation spreche tendenziell der Zeitpunkt, nämlich nach der erstinstanzlichen Verurteilung, zu dem die Angeklagte erstmals von Wahnvorstellungen gesprochen habe. Für Simulation spreche tendenziell auch, dass die Angeklagte gegenüber Polizei und Strafverfolgungsbehörden nicht darauf aufmerksam habe, dass sie sich doch habe verteidigen müssen. Würde feststehen, dass die Angeklagte bereits früher eigenmächtig Medikamente verabreicht hat, etwa um Patienten ruhig zu stellen oder um sie bestehlen zu können, ginge er von Simulation aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Angeklagte den Beeinträchtigungswahn nur vortäusche, schätze er mit 50% ein.
Die wahnhafte Störung – sofern vorhanden – habe zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt.
Die Kammer hat das Gutachten überzeugt. Die Diagnosen einer anankastischen Persönlichkeitsakzentuierung und einer Anpassungsstörung hat der Sachverständige nachvollziehbar begründen können. Sie passen zu dem Verhalten der Angeklagten, wie es von der Zeugin S… geschildert wurde und zu den prekären wirtschaftlichen Verhältnissen wie sie aus den eingeführten Kreditunterlagen und Kontoauszügen ersichtlich waren.
Die Kammer kann eine wahnhafte Störung und eine damit verbundene erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen. Der Verdacht der Simulation ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Es bestehen erhebliche Verdachtsmomente, dass die Angeklagte bereits in der Vergangenheit Patienten eigenmächtig sediert hat, um sie ruhig zu stellen oder um Diebstahlstaten begehen zu können. Die Angeklagte hat eigenmächtige Sedierungen aber energisch abgestritten. Soweit überhaupt polizeiliche Ermittlungen aufgenommen worden sind, haben sie jedenfalls nicht zu einer Verurteilung geführt.
Zwar weckt es Zweifel, dass die Angeklagte von ihren wahnhaften Vorstellungen erstmals nach ihrer erstinstanzlichen Verurteilung gesprochen hat. Ihre Erklärung, sie habe sich des Aberglaubens geschämt und sei sich auch gar nicht bewusst gewesen, dass sie an Depressionen gelitten habe, erscheint der Kammer aber nicht völlig unplausibel. Gegen die Annahme einer Simulation spricht überdies, dass die Angeklagte dem behandelnden Psychiater erst beim vierten Behandlungs-Gesprächstermin von ihrem Verfolgungs-/Beeinträchtigungswahn erzählt hat. Hätte die Angeklagte den Psychiater aufgesucht, um ihn durch Simulation eines psychiatrischen Krankheitsbildes zur Ausstellung eines ihr günstigen Gutachtens zu veranlassen, wäre es naheliegend gewesen, dass sie von ihr den Wahnvorstellungen bereits am ersten Behandlungstag berichtet Für das Vorhandensein des Wahns spricht überdies, dass ein anderes überzeugendes Motiv nicht ersichtlich ist. Auch das Amtsgericht hat ein „eigentliches Motiv“ nicht herausarbeiten können.
Der als Zeuge vernommene Dr. S… hat ausgesagt, er habe Simulation nicht in Erwägung gezogen. Die Angeklagte sei am 25.3.2010 erstmals in seine Praxis gekommen. Sie habe zu ihm gesagt, sie brauchte ein Gutachten über ihren psychischen Zustand für den Anwalt. Er habe sie exploriert und festgestellt, dass es hier um eine komplizierte Sache gehe. Er habe ihr gesagt, dass mehrere Gesprächs- und Behandlungstermine erforderlich seien. Anfangs sei die Angeklagte sehr verschlossen gewesen. Am 4. Verhandlungstermin, dem 19.10.2010, habe sie erstmals davon berichtet, dass ihr eine Kollegin durch schwarze Magie habe schaden wollen. Sie habe auch von imperativen Stimmen berichtet, die ihr befohlen hätten, dies oder jenes zu tun. Deshalb habe er zwischenzeitlich auch über eine Schizophrenie nachgedacht und Neuroleptika verschrieben. Die Diagnose einer Schizophrenie habe sich jedoch nicht bestätigt. Daran, dass die Angeklagte nur simuliere, habe er nicht gedacht. Der von ihr geschilderte Aberglaube (Haare auf den Friedhof tragen, Katzenkot ans Haus schmieren) sei unter Serben verbreitet. Er hätte den Eindruck gehabt, dass die Angeklagte unter einem hohen Leidensdruck stehe und daran arbeiten wolle.
Die Nebenklägerin sei am 28.8.2008 in seine Praxis gekommen und habe ihm berichtet, dass sie umgekippt sei. Er habe sie neurologisch untersucht, aber keine Auffälligkeiten feststellen können. Am 17.5.2010 sei die Nebenklägerin wieder in seine Praxis gekommen und habe ihm von Depressionen und Schlafstörungen berichtet. Sie habe Probleme beruflicher und privater Art erwähnt. Er habe eine reaktive depressive Verstimmung diagnostiziert und ihr ein leichtes Antidepressivum verschrieben. Dies verschreibe er ihr bis heute.
Die Kammer hat keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass Dr. S… unwahr ausgesagt hat. Angeklagte und Nebenklägerin waren für ihn ersichtlich nur Patientinnen unter vielen Patienten.
Die Nebenklägerin hat ausgesagt, sie habe sich nach den ersten beiden Fällen natürlich gefragt, was mit ihr los sei. Sie sei sehr beunruhigt gewesen. Sie habe sich gefragt, ob sie möglicherweise schwanger sei, ob sie einen Hirntumor habe, oder was mit ihr los sei. Nach den ersten beiden Vorfällen habe sie sich krankschreiben lassen, um sich gründlich untersuchen zu lassen. Zur neurologischen Untersuchung sei sie bei dem Neurologen und Psychiater Dr. J… S… gewesen. Alle Untersuchungen seien jedoch ergebnislos geblieben. Am 8.9.2008 sei sie wieder in den Dienst gekommen. Sie habe gleich am 12.9.2008 Schwindelanfälle bekommen. Dann habe eines ihrer Getränke zunächst normal, dann später bitter geschmeckt. Der Oberarzt Dr. K… habe ihr gesagt, wenn dies noch einmal passiere, dann solle sie ihm das Getränk geben. Er werde es dann untersuchen lassen. Am 1.10.2008 habe sie dann festgestellt, dass sowohl ihr Tee als auch ihr Wasser bitter schmeckte. Sie habe dann von beidem Proben genommen und Herrn Dr. K… gegeben, der sie an das Labor weitergeleitet habe. Sie habe danach an ihren Getränken nur noch vorsichtig genippt. Am 7. und 16.10 habe sie jeweils wieder den bitteren Geschmack wahrgenommen.
Nachdem die Täterschaft der Angeklagten aufgeklärt worden sei, sei sie erst einmal zusammengebrochen. Sie habe es nicht glauben können, und sich nicht erklären können, weshalb die Angeklagte sie vergiftet habe. Sie leide noch heute an Schlafstörungen, obwohl sie zwischenzeitlich eine Gesprächstherapie gemacht habe. Von Dr. S… lasse sie sich regelmäßig stimmungsaufhellende Medikamente verschreiben. Ihr Verhältnis zu anderen Menschen habe sich stark verändert. Sie sei vorsichtiger und misstrauischer geworden.
Auf die Frage, ob sie bei den Vorfällen vom 1.10., 7.10., 16.10. und 20.10.2008 jeweils Ausfallerscheinungen oder Benommenheitsgefühle verspürt habe, hat die Zeugin unsicher geantwortet. Sie war sich selbst nicht sicher, zumal es auch im September Vorfälle gab, die nicht Gegenstand der Anklage geworden sind. Maßgeblich für die Kammer ist insoweit ihre Darstellung in ihrer schriftlichen Aussage vom 28.10.2008, in der es heißt:
„Am 1.10.2008 habe ich morgens beim Teetrinken den Beigeschmack bemerkt, habe nur vorsichtig genippt und habe den Rest weggeschüttet.“
Von Benommenheit berichtet sie in dieser schriftlichen Aussage, anders als in ihrer Schilderung zu den ersten beiden Fällen gerade nichts. Auf Vorhalt hat die Nebenklägerin auch angegeben, sie habe nach Bekanntwerden des Laborergebnisses am 6.10.2008 ohnehin immer nur vorsichtig an ihren Getränken genippt.
V.
Aufgrund des teilwirksamen Rechtsmittelverzichts ist der Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils hinsichtlich der Fälle II. 1. und 2. sowie 7. in Rechtskraft erwachsen.
Nach den obigen Feststellungen zu III. 3. bis. 6. hat sich die Angeklagte überdies der versuchten gefährlichen Körperverletzung in vier Fällen schuldig gemacht und dabei sowohl den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB, Beibringen von Gift, als auch den des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB, mittels hinterlistigen Überfalls, verwirklicht. Es ist nur der Versuchstatbestand verwirklicht. Denn die Kammer kann weder eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlempfindens noch einen in Folge des Konsums von geringen Mengen Midazolam hervorgerufenen pathologischen Zustand feststellen.
Tateinheitlich hierzu hat sie sich wegen versuchten unerlaubten Verabreichens von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 6 b) BtMG in vier Fällen strafbar gemacht. Midazolam, Handelsname Dormikum, gehört zur Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine, alle Vertreter aus dieser Wirkstoffgruppe sind in der Anlage 3 des Betäubungsmittelgesetzes aufgenommen worden. Ohne Anweisung eines Arztes war die Angeklagte nicht berechtigt, Medikamente zu verabreichen.
VI.
Der Strafrahmen der gefährlichen Körperverletzung reicht von sechs Monaten bis zehn Jahren Freiheitsstrafe.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann die Kammer nicht ausschließen, dass die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten bei Begehung der Taten i.S.v. § 21 StGB erheblich vermindert gewesen ist Die Kammer hat deshalb für die beiden Fälle der vollendeten gefährlichen Körperverletzung einen Strafrahmen zugrunde gelegt, der von einem Monat bis sieben Jahre und sechs Monate reicht. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die fünf weiteren Fälle im Versuchsstadium geblieben sind, hat die Kammer minder schwere Fälle i.S.v. § 224 Abs. 1 a.E. StGB angenommen. Für eine weitere Milderung gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB war danach kein Raum mehr.
Bei der Strafzumessung hat die Kammer zu Gunsten der Angeklagten zunächst berücksichtigt, dass sie nicht vorbestraft ist Sie hat zu ihren Gunsten ferner gewürdigt, dass sie bereits in erster Instanz ein weitgehendes Geständnis abgelegt und die Tatvorwürfe in der Berufungshauptverhandlung nunmehr vollständig eingeräumt hat. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass die Taten mehr als drei Jahre zurückliegen und das Strafverfahren seit mehr als drei Jahren andauert.
Die Kammer hat beachtet, dass die Nebenklägerin keine dauerhaften körperlichen Schäden davongetragen hat. Auch musste die Angeklagte keine große kriminelle Energie aufwenden, um an das Dormikum zu gelangen, weil dieses für sie frei verfügbar war.
Zu Lasten der Angeklagten war zu würdigen, dass die Nebenklägerin noch heute unter den psychischen Folgen der Taten erheblich leidet. Strafschärfend wirkt sich zudem aus, dass die Angeklagte gegen ihre Berufspflichten als Krankenschwester schwer verstoßen hat. Überdies hat sie mehrere Straftatbestände tateinheitlich verwirklicht.
Die Kammer hat folgende Einzelstrafen für tat- und schuldangemessen erachtet:
Für die Tat zu III 1. a) 10 Monate Freiheitsstrafe,
für die Tat zu III. 1. b) 10 Monate Freiheitsstrafe,
für die Taten zu III. 1. c) bis f) jeweils 6 Monate Freiheitsstrafe,
und für die Tat zu III. 1. g) 4 Monate Freiheitsstrafe.
Im letztgenannten Fall musste die Strafe noch etwas niedriger ausfallen als in den anderen Versuchsfällen, weil infolge der polizeilichen Überwachung zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Gesundheit der Nebenklägerin bestanden hat.
Die Kammer hat im letzten Fall die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe i.S.v. § 47 Abs. 1 StGB zur Verteidigung der Rechtsordnung für unerlässlich gehalten. Es würde das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung erschüttern, wenn die Angeklagte angesichts der Vielzahl von Taten und angesichts des schweren Verstoßes gegen ihre Berufspflichten als Krankenschwester lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt werden würde.
Die gemäß § 53 Abs. 1 StGB zu bildende Gesamtstrafe musste gem. § 54 Abs. 1 S. 2 StGB zehn Monate Freiheitsstrafe übersteigen und durfte die Summe der Freiheitsstrafen von vier Jahren gem. § 54 Abs. 2 S. 1 StGB nicht erreichen. Bei Bemessung der Gesamtstrafe hat die Kammer einerseits gewürdigt, dass zwischen den Taten ein sachlicher und situativer – und mit Einschränkungen – zeitlicher Zusammenhang besteht. Zu Lasten der Angeklagten war zu würdigen, dass in ihrem Verhalten eine Gleichgültigkeit gegenüber den Belangen anderer und eine Hartnäckigkeit zum Ausdruck kommt, der es mit einer fühlbaren Strafe entgegenzuwirken gilt.
Die Kammer hat bestimmt, dass drei Monate Freiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als bereits vollstreckt gelten. Denn das Verfahren ist in der Berufungsinstanz für mehr als ein Jahr nicht gefördert worden.
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe konnte gemäß § 56 Abs. 1, Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. Es ist zu erwarten, dass sich die Angeklagte bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Die Angeklagte ist nicht vorbestraft. Auch nach den im Jahre 2008 begangenen Straftaten ist sie nicht wieder straffällig geworden. Sie hat die Taten unter dem Einfluss einer auf dem Boden einer depressiven Anpassungsstörung gewachsenen wahnhaften Störung begangen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. J… ist die Störung remittiert, so dass nunmehr in jedem Fall von einer günstigen Legalprognose auszugehen sei. Die wahnhafte Störung – sowie sie denn Vorgelegen habe, sei erkannt und behandelt worden. Die zur erheblichen Belastung der Angeklagten führende persönliche Situation sei durch die räumliche Trennung vom Ehemann aufgebrochen worden.
Die gemäß § 56 Abs. 2 StGB erforderlichen besonderen Umstände sieht die Kammer in der zur Tatzeit bestehenden depressiven Anpassungsstörung und der nicht auszuschließenden wahnhaften Störung.
Ein Berufsverbot gemäß § 70 StGB durfte nicht angeordnet werden. Zwar hat die Angeklagte unter grober Verletzung ihre Berufspflichten rechtswidrige Taten begangen. Es ist aber nicht zu erwarten, dass die Angeklagte bei weiterer Ausübung ihres Berufs als Krankenschwester weitere erhebliche rechtswidrige Taten der bezeichneten Art begehen wird. Insoweit kann auf die Ausführungen zur Legalprognose i.S.v. § 56 Abs. 1 StGB Bezug genommen werden.
VII.
Da das Rechtsmittel der Angeklagten im wesentlichen Erfolg hatte und davon auszugehen ist, dass sie das Rechtsmittel nicht eingelegt hätte, wenn sie bereits das Amtsgericht zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt hätte, hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten zu tragen. Wegen des Erfolgs ihres Rechtsmittels braucht die Angeklagte auch nicht die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 473 Rdnr. 3).