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Diebstahl geringwertiger Sachen – Verhängung einer Freiheitsstrafe

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: (1) 53 Ss 144/17 (87/17) – Beschluss vom 18.01.2018

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 25. August 2017 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Luckenwalde hat den Angeklagten am 25. August 2017 wegen Diebstahls von Lebensmitteln im Gesamtwert von 7,49 € zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Seine gegen dieses Urteil gerichtete und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam mit Urteil vom 25. August 2017 als unbegründet verworfen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 31. August 2017 bei Gericht angebrachte Revision, die der Angeklagte nach der am 4. September 2017 erfolgten Urteilszustellung mit weiterem bei Gericht am 4. Oktober 2017 eingegangenen Anwaltsschriftsatz begründet hat. Der Angeklagte rügt die Verletzung sachlichen Rechts und hält die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe in Höhe von 6 Monaten für eine unverhältnismäßige Rechtsfolge.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg erachtet in ihrer Stellungnahme vom 11. Dezember 2017 die Revision als auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt und hat insoweit die Verwerfung der Revision als unbegründet beantragt.

II.

1. Die Revision ist gem. § 333 StPO statthaft und gem. §§ 341, 344, 345 StPO frist- und formgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Das Rechtsmittel hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg. Die Revision ist nicht – wie die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 11. Dezember 2017 meint – auf die Frage der versagten Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt.

Diebstahl geringwertiger Sachen - Verhängung einer Freiheitsstrafe
(Symbolfoto: Mike_shots/Shutterstock.com)

Dies ergibt sich zum einen daraus, dass mit dem Revisionsantrag die Aufhebung des gesamten „Urteils“ begehrt wird und die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge unter der Verwendung der Einleitung „Insbesondere wird gerügt,…“ nähere Ausführungen zur Versagung der Bewährung enthält. Hiernach wird deutlich, dass mit diesen Ausführungen die erhobene Revision nicht weiter beschränkt sein sollte.

Sofern in der Revisionsbegründung ausgeführt wird: „Aufgrund der Vorstrafen war eine Haftstrafe durchaus gerechtfertigt und wird von der Revision nicht angegriffen.“ kann dies vor dem Hintergrund vorgenannter Ausführungen nur dahingehend verstanden werden, dass der Angeklagte selbst die Verhängung einer Geldstrafe für nicht mehr angemessen erachte. Unterstützt wird diese Auslegung durch die weitere Ausführung: „Die verhängte Haftstrafe stellt daher schon eine hohe Strafe dar.“ Damit richtet sich die Revision auch gegen die Höhe der erkannten Freiheitsstrafe.

Hiernach ist von einem hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs unbeschränkten Rechtsmittel des Revisionsführers auszugehen.

3. Die durch die Sachrüge veranlasste Überprüfung ergibt, dass der Rechtsfolgenausspruch des landgerichtlichen Urteils keinen Bestand haben kann, weil er auf der Verletzung des Gebots schuldangemessenen Strafens (Übermaßverbot) beruht.

Das angefochtene Urteil enthält zum Tatgeschehen die bereits mit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch in Rechtskraft erwachsenen Feststellungen:

„Am … 2017 gegen 16:45 Uhr entnahm der Angeklagte aus den Auslagen der Firma A… in der … Straße in L… Waren, nämlich zweimal Tütensoßen, vier Becher Eis sowie eine Packung Kinder Country im Gesamtwert von 7,49 €, die er in der Seitentasche seiner Hose sowie in seiner Bauchtasche versteckte mit der Absicht, sie ohne Bezahlung mitzunehmen.“

Zur Strafzumessung führt das Berufungsgericht aus:

„Innerhalb des eröffneten Strafrahmens, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestimmt, hat die Kammer zugunsten des Angeklagten dessen im Berufungsrechtszug abgelegtes Geständnis, den geringen Erfolgsunwert der entwendeten Lebensmittel von 7,49 € sowie den Umstand, dass die Lebensmittel wieder in den Besitz des Eigentümers zurückgelangt sind, und den Umstand strafmildernd gewertet, dass der Angeklagte aufgrund des neuerlichen Drogenrückfalls im Jahr 2016 anfällig für die Tatbegehung gewesen sein mag.

Strafschärfend fielen dagegen das Handlungsunrecht und die Vielzahl an einschlägigen Vorstrafen sowie der Umstand ins Gewicht, dass der Angeklagte zur Tatzeit aufgrund der Verurteilungen durch das Amtsgericht Luckenwalde vom 10. April 2013 (Az.: 452 Js 452313 – 21 Ds 84/13) und vom 29. April 2015 (Az.: 472 Js 21930/14 – 21 Ds 539/14) sowie des Amtsgerichts Nauen vom 12. Oktober 2015 (Az.: 440 30860/14 – 35 Ls 24/15), mithin unter dreifacher Bewährung stand. Dabei wird das straferschwerende Gewicht der mit der Tat einhergehenden Bewährungsbrüche insoweit relativiert, dass dem Angeklagten als Folge dieser Verurteilung der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung der beiden zuletzt genannten Freiheitsstrafen von zwei Jahren und neun Monaten droht, § 56 f Abs. 1 Ziffer 1 StGB.

Strafschärfend kam auch die relativ hohe Geschwindigkeit zum Tragen, mit der der Angeklagte nach der letzten Verurteilung durch Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 15. November 2016 (Az.: 3024 Js 11621/16 – 265a Cs 409/16) erneut rückfällig geworden ist.

Strafschärfend war überdies das Nachtatverhalten des Angeklagten zu bewerten, der nach der Tat den Zeugen T… N… wider besseres Wissen wegen übler Nachrede angezeigt hat, wohlwissend, dass diese Strafanzeige einer realen Grundlage entbehrte. Gegen den Zeugen N… ist daraufhin ein Strafverfahren eingeleitet worden (Az.: 472 Js 9435/17). Der Angeklagte hat überdies zur Untermauerung seiner wahrheitswidrigen Einlassung, von der der Angeklagte erst im Berufungszug abgerückt ist, einen Einkaufsbon von R… gefälscht, um durch dessen Vorlage einen Einkauf der von ihm bei A… entwendeten Lebensmittel in einem anderen Handelsgeschäft glaubhaft zu machen. Der auf frischer Tat gefasste Angeklagte hat unmittelbar nach der Tat, was die Zeugen N… und B… überzeugend und frei von überschießenden Belastungstendenzen beschrieben haben, den Zeugen N… kaum unverhohlen in aggressiver Weise vor dem Eintreffen der Polizeikräfte bedroht. Das dahingehende Nachtatverhalten des Angeklagten, unter Einschluss der Begehung einer Urkundenfälschung, einer Bedrohung anderer Personen und der absichtlichen Bezichtigung einer Falschaussage, geht über ein zulässiges Verteidigungsverhalten eines Angeklagten deutlich hinaus; der Angeklagte hat damit weitere Delikte vorsätzlich verwirklicht, §§ 164, 185, 267, 240 StGB, um sich eigener Strafverfolgung zu entziehen. Das Nachtatverhalten des Angeklagten zeugt von einer nicht unerheblichen kriminellen Energie.

Unter Berücksichtigung sämtlicher täter- und tatbildrelevanten Strafzumessungskriterien war gegen den Angeklagten einmal mehr eine Freiheitsstrafe zu verhängen, die die Kammer – ebenso wie zuvor das Amtsgericht – auf 6 (sechs) Monate festgesetzt hat.“

Diese Ausführungen des Landgerichts halten – jedenfalls was die Höhe der Strafe anbelangt – rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Der Senat verkennt nicht, dass die Strafzumessung neben der Beweiswürdigung die Domäne des Tatrichters ist. Es ist ureigene Aufgabe des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Für die revisionsgerichtliche Überprüfung der Strafzumessung bedeutet dies, dass im Hinblick auf den Spielraum des Tatrichters bei der Strafzumessung eine exakte Richtigkeitskontrolle zwar nicht möglich ist, Strafzumessungserwägungen die Revision jedoch dann auslösen können, wenn sie rechtsfehlerhaft sind. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn das Tatgericht von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist (vgl. BGHR § 267 Abs. 3 Satz 1 StGB, Strafrahmenwahl 1) oder wenn die für das Strafmaß materiell-rechtlich maßgeblichen Leitgesichtspunkte (§ 46 StGB) nicht richtig gesehen oder nicht zugrunde gelegt worden sind (vgl. BGHSt 15, S. 372, 375; BGHSt 27, S. 2, 3, BGHSt 29, S. 319, 320). Es ist Aufgabe des Tatrichters, gemäß § 46 Abs. 2 StGB diejenigen Umstände gegeneinander abzuwägen, die für und gegen den Täter sprechen. Dabei kommen namentlich die Beweggründe und Ziele des Täters, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie dessen Nachtatverhalten in Betracht. Aus den Urteilsgründen, die als Einheit und im Gesamtzusammenhang gesehen und beurteilt werden müssen, muss sich danach ergeben, dass der Tatrichter die im konkreten Fall in Betracht kommenden Zumessungstatsachen festgestellt, zutreffend abgewogen und umfassend gewürdigt hat und damit zu einer der Vorbewertung durch den Strafrahmen entsprechenden Strafe gekommen ist (vgl. BGHSt 8, 210; KG VRS 34, 433 m. w. N.). Allerdings brauchen nur die bestimmenden (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) Zumessungserwägungen dargelegt zu werden (vgl. BGHSt 24, 268; NStZ 1990, 334), eine erschöpfende Darstellung aller im Katalog des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Umstände ist weder erforderlich noch möglich (vgl. BGH NJW 1976, 2220; 1979, 2621; StV 1993, 72, ständige Rechtsprechung); deren Nichtberücksichtigung begründet die Revision nur, wenn die Nachprüfung nach dem Sachverhalt nahe lag (vgl. BGH MDR 1970, 899; OLG Hamburg NJW 1972, 265). Das Revisionsgericht hat demzufolge die instanzgerichtliche Rechtsfolgenentscheidung bis zur Grenze des noch Vertretbaren hinzunehmen, die sich indes als rechtsfehlerhaft und damit der Aufhebung unterliegend erweisen muss, wenn der Tatrichter rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen hat, nach den Feststellungen erkennbar wesentliche be- bzw. entlastende Strafzumessungserwägungen nicht berücksichtigt hat oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGHSt 29, 320; 34, 349; NJW 1990, 846; NJW 1995, 2234; NStZ RR 1996, 116, 133).

Letzteres ist hier der Fall.

Der Senat erkennt sehr wohl, dass der Tatrichter sorgfältig die wichtigsten für die Strafzumessung maßgeblichen Aspekte in der Urteilsgründen dargelegt und erörtert hat. In der Gesamtwürdigung kann jedoch eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten für einen Diebstahl geringwertiger Sachen, für einen Diebstahl von Lebensmitteln im Gesamtwert von 7,49 €, die zudem wieder an den Eigentümer zurück gelangt sind, so dass kein bleibender Schaden entstanden ist, keinen gerechten Schuldausgleich mehr darstellen. Damit liegt hier einer der Ausnahmefälle vor, dass das erkannte Strafmaß die Grenze des Vertretbaren überschritten hat. Das Tatunrecht der vorliegenden Diebstahlshandlung wiegt – trotz des im angefochtenen Urteil ausführlich dargestellten Nachtatverhaltens und trotz der zahlreichen Vorstrafen – bei einem Beutewert von unter 10,00 € so gering, dass bei zutreffender Würdigung aller Besonderheiten des Einzelfalles und der Persönlichkeit der Angeklagten die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten eine unangemessen harte Sanktion darstellt und zugleich gegen das Übermaßverbot verstößt. Es handelt sich um eine übermäßig hohe Strafe, die – auch unter Berücksichtigung der zahlreichen, im Einzelfall aber nicht sehr bedeutenden Vorstrafen – in einem Missverhältnis zur Schuld und zur Gefährlichkeit des Angeklagten steht (vgl. BGH NJW 2011, 2819; BGH NStZ-RR 2008, 343; BGH StV 2003, 555; BGH StraFo 2003, 97; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. § 337 Rdnr. 34).

4. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass sich die Berufungskammer mit § 47 StGB wird auseinandersetzen müssen. Dabei steht der Bagatellcharakter (einer Straftat) – entgegen der Ansicht des Angeklagten im Anwaltsschriftsatz vom 31. August 2017 – der Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht zwingend entgegen (vgl. BverfG, 2 BvR 710/04; BGH NJW 2008, 672 f. zur Leistungserschleichung durch „Schwarzfahren“, OLG Stuttgart NJW 2006, 1222). Dass auch bei Bagatellstraftaten die Verhängung einer kurzzeitigen, auch vollstreckbaren Freiheitsstrafe i.S.v. § 47 StGB nicht grundsätzlich ausscheidet, hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juli 2009 – 1 Ss 48/09 m.w.N.; siehe ebenso: OLG Hamm, Beschluss vom 06. März 2014, III, 1 RVs 10/14; OLG Hamm, Beschluss vom 03. Dezember 2013, III 1 RVs 90/13; OLG Hamm, Urteil vom 21. Oktober 2014, III 1 RVs 82/14; OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, 75; OLG Celle NStZ-RR 2004, 142; OLG Dresden, Beschluss vom 21. Juli 2014 – 2 OLG 21 Ss 319/14; OLG München, Beschluss vom 10. August 2009, 5 St RR 201/09; OLG Naumburg, Beschluss vom 28. Juni 2011, 2 Ss 68/11) und ist auch von Verfassung wegen nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 50, 205; BVerfG, Beschluss vom 09. Juni 1994, 2 BvR 710/94).

Aufgrund des Verstoßes gegen das Übermaßgebot unterliegt der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils der Aufhebung. Die Voraussetzungen für eine eigene Sachentscheidung durch den Senat sind nicht gegeben; die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsfolge an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

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