Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Neufestsetzung von Gesamtstrafen: Einblick in den deutschen Strafrechtfall
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Was bedeutet die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe?
- Welche Auswirkungen hat das Konsumcannabisgesetz auf bestehende Gesamtstrafen?
- Wer ist zuständig für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe?
- Welche Kriterien werden bei der Neufestsetzung einer Gesamtstrafe berücksichtigt?
- Wie wirkt sich der Wegfall einer Einzelstrafe auf die Gesamtstrafe aus?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Die Staatsanwaltschaft Erfurt legte gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 18.04.2024 Beschwerde ein.
- Der vorherige Beschluss zur Neufestsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde aufgehoben.
- Die Gesamtfreiheitsstrafe wurde neu festgelegt, wobei eine Einzelstrafe aus einem spezifischen Delikt nicht berücksichtigt wurde.
- Die übrigen Einzelstrafen blieben in ihrer Höhe unangetastet.
- Die Entscheidung führte zu einer neuen Gesamtstrafe von elf Monaten.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind vom Verurteilten zu tragen.
- Die Strafvollstreckungskammer war nicht zuständig für die Entscheidung zur Neufestsetzung der Gesamtstrafe.
- Die rechtliche Grundlage zur Zuständigkeit wurde durch Auslegung bestehender Normen ermittelt.
- Der Beschluss hat Auswirkungen auf die Rechtssicherheit und die Zuständigkeiten binnen des Strafvollzugs.
- Die Entscheidung könnte auch Einfluss auf zukünftige Verfahren in ähnlichen Fällen haben.
Neufestsetzung von Gesamtstrafen: Einblick in den deutschen Strafrechtfall
Die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe ist ein komplexer rechtlicher Prozess, der an Bedeutung gewinnt, insbesondere im Kontext des deutschen Strafrechts. Im Rahmen der Gesamtstrafenbildung ist es wichtig, die verschiedenen Einzelstrafen einer Person zusammenzuführen, um eine einheitliche Strafe zu ermitteln, die den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Dieser Vorgang basiert auf dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit und der gerechten Strafbemessung. Eine korrekt durchgeführte Neufestsetzung kann sowohl für den verurteilten Täter als auch für die Gesellschaft von erheblichem Einfluss sein.
Die relevanten Normen, insbesondere Art. 316p und Art. 313 Abs. 4 S. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB), regeln die Modalitäten, unter denen eine Gesamtstrafe angepasst werden kann. Hierbei spielen nicht nur die vorangegangenen Strafen eine Rolle, sondern auch die Umstände des Einzelfalls und die Entwicklung des Täters im Rahmen seiner Strafverbüßung. Dies stellt sicher, dass die Strafe nicht nur der Vergeltung dient, sondern auch der Resozialisierung und dem allgemeinen öffentlichen Interesse.
Im Folgenden wird ein konkreter Fall vorgestellt, der die Anwendung dieser Vorschriften illustriert und die Herausforderungen bei der Neufestsetzung von Gesamtstrafen verdeutlicht.
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Der Fall vor Gericht
Gesamtstrafenbildung bei Wegfall einer Einzelstraftat: Entscheidung des Thüringer Oberlandesgerichts
Das Thüringer Oberlandesgericht befasste sich in einem Beschluss vom 25. Juni 2024 mit der komplexen Frage der Neufestsetzung einer Gesamtfreiheitsstrafe nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes. Der Fall betraf einen Verurteilten, gegen den ursprünglich eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Monaten verhängt worden war, zusammengesetzt aus mehreren Einzelstrafen für verschiedene Delikte, darunter mehrfacher unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln.
Hintergrund und Verfahrensgang
Das Amtsgericht Erfurt hatte den Angeklagten am 6. April 2022 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, die sich aus Einzelstrafen für verschiedene Straftaten zusammensetzte. Darunter befanden sich vier Fälle von unerlaubtem Betäubungsmittelbesitz, bei denen jeweils Marihuana und Methamphetamin sichergestellt worden waren. Das Landgericht Erfurt bestätigte in einem Berufungsurteil vom 24. Januar 2023 die Strafe, setzte sie jedoch zur Bewährung aus. Nach Widerruf der Bewährung beantragte die Staatsanwaltschaft aufgrund des am 1. April 2024 in Kraft getretenen Konsumcannabisgesetzes eine Neufestsetzung der Gesamtstrafe.
Entscheidung der Strafvollstreckungskammer
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Erfurt setzte daraufhin die Gesamtstrafe auf elf Monate herab. Dabei strich sie die Einzelstrafe für den Besitz von 9,97 Gramm Marihuana vom 5. Juni 2021 komplett und reduzierte auch die Einzelstrafen für die anderen Betäubungsmitteldelikte. Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft Erfurt sofortige Beschwerde ein, da sie mit der Neufestsetzung der Einzelstrafen für die Taten vom 30. März, 10. Mai und 23. Mai 2021 nicht einverstanden war.
Begründung des Oberlandesgerichts
Das Oberlandesgericht gab der Beschwerde der Staatsanwaltschaft statt und hob den Beschluss der Strafvollstreckungskammer auf. In seiner Begründung stellte das Gericht klar, dass die Strafvollstreckungskammer für die Entscheidung über die Neufestsetzung der Gesamtstrafe nicht zuständig war. Vielmehr sei das erkennende Gericht, also das Amtsgericht Erfurt, für diese Entscheidung zuständig gewesen.
Neufestsetzung der Gesamtstrafe
Trotz der fehlenden Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer entschied das Oberlandesgericht selbst in der Sache. Es kam zu dem Schluss, dass die Neufestsetzung der Einzelstrafen für die Taten vom 30. März, 10. Mai und 23. Mai 2021 nicht gerechtfertigt war. Das Gericht argumentierte, dass diese Taten neben dem Besitz von Marihuana auch den weiterhin strafbaren Besitz von Methamphetamin betrafen. Daher sei eine Neufestsetzung dieser Einzelstrafen nach dem neuen Konsumcannabisgesetz nicht erforderlich.
Ergebnis und Konsequenzen
Das Oberlandesgericht bestätigte die Aufhebung der Einzelstrafe für den Besitz von 9,97 Gramm Marihuana vom 5. Juni 2021, da dieser nach dem neuen Recht nicht mehr strafbar ist. Die Gesamtfreiheitsstrafe wurde unter Berücksichtigung aller Umstände auf elf Monate festgesetzt, was der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer entsprach. Das Gericht berücksichtigte dabei das Geständnis des Verurteilten, die geringen Mengen an Methamphetamin sowie die bereits verbüßte Untersuchungs- und Strafhaft. Gleichzeitig wurden die Vorstrafen des Verurteilten strafschärfend berücksichtigt.
Der Fall verdeutlicht die komplexen rechtlichen Fragen, die sich aus der Änderung des Betäubungsmittelrechts ergeben. Er zeigt, dass bei der Neufestsetzung von Gesamtstrafen eine genaue Prüfung jeder einzelnen Tat erforderlich ist, insbesondere wenn mehrere Betäubungsmittel involviert sind.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht die differenzierte Anwendung des neuen Konsumcannabisgesetzes bei der Neufestsetzung von Gesamtstrafen. Nur Einzelstrafen für ausschließlichen Marihuanabesitz sind aufzuheben, während Strafen für Taten mit zusätzlichem Methamphetaminbesitz bestehen bleiben. Dies erfordert eine sorgfältige Einzelfallprüfung und unterstreicht die Komplexität der Strafzumessung bei Änderungen im Betäubungsmittelrecht. Die Entscheidung betont zudem die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts für solche Neufestsetzungen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie wegen mehrerer Drogendelikte verurteilt wurden, bei denen sowohl Marihuana als auch andere Betäubungsmittel wie Methamphetamin eine Rolle spielten, könnte sich Ihre Gesamtstrafe nach dem neuen Konsumcannabisgesetz möglicherweise reduzieren. Allerdings werden nur Einzelstrafen für reinen Marihuanabesitz aufgehoben. Strafen für Taten, die auch andere illegale Drogen betrafen, bleiben bestehen. Das Gericht wird Ihre Gesamtstrafe neu berechnen, wobei es Faktoren wie Ihr Geständnis, die Menge der Drogen und eventuelle Vorstrafen berücksichtigt. Es ist wichtig zu wissen, dass nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern das ursprünglich urteilende Gericht für diese Neufestsetzung zuständig ist.
FAQ – Häufige Fragen
Sie haben eine Neufestsetzung von Gesamtstrafen erhalten und sind sich nicht sicher, was das für Sie bedeutet? Diese FAQ bietet Ihnen umfassende Informationen und Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um die Neufestsetzung von Gesamtstrafen.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Was bedeutet die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe?
- Welche Auswirkungen hat das Konsumcannabisgesetz auf bestehende Gesamtstrafen?
- Wer ist zuständig für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe?
- Welche Kriterien werden bei der Neufestsetzung einer Gesamtstrafe berücksichtigt?
- Wie wirkt sich der Wegfall einer Einzelstrafe auf die Gesamtstrafe aus?
Was bedeutet die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe?
Was bedeutet die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe?
Die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe ist ein rechtlicher Vorgang, bei dem eine bereits verhängte Gesamtstrafe aufgrund bestimmter Umstände neu berechnet und festgelegt wird. Dies geschieht in der Regel, wenn sich die rechtliche Bewertung einzelner Taten ändert, die der ursprünglichen Gesamtstrafe zugrunde lagen.
Ein häufiger Anlass für eine Neufestsetzung ist eine Gesetzesänderung, die rückwirkend Auswirkungen auf die Strafbarkeit oder das Strafmaß bestimmter Handlungen hat. Wenn beispielsweise ein Verhalten entkriminalisiert wird, das Teil der ursprünglichen Verurteilung war, muss die Gesamtstrafe entsprechend angepasst werden.
Der Prozess der Neufestsetzung beginnt typischerweise mit einer Überprüfung der Einzelstrafen, die zur Gesamtstrafe geführt haben. Dabei wird untersucht, ob und wie sich die rechtliche Bewertung der einzelnen Taten durch die neue Gesetzeslage verändert hat. Einzelstrafen, die aufgrund der Gesetzesänderung nicht mehr gerechtfertigt sind, werden aus der Berechnung der Gesamtstrafe herausgenommen.
Bei der Neufestsetzung wird das Prinzip der Gesamtstrafenbildung erneut angewendet. Dies bedeutet, dass die verbleibenden Einzelstrafen nicht einfach addiert werden, sondern eine neue, angemessene Gesamtstrafe gebildet wird. Dabei berücksichtigt das Gericht die Schwere der einzelnen Taten und das Verhältnis der Taten zueinander.
Es ist wichtig zu betonen, dass eine Neufestsetzung nicht automatisch zu einer Reduzierung der Gesamtstrafe führen muss. In manchen Fällen kann die neue Gesamtstrafe der alten entsprechen, wenn die wegfallenden Einzelstrafen für die Gesamtstrafenbildung nicht ausschlaggebend waren.
Die rechtliche Grundlage für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe findet sich im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB). Dieses Gesetz regelt, wie mit Änderungen im Strafrecht umzugehen ist, insbesondere wenn diese Auswirkungen auf bereits rechtskräftige Urteile haben.
Für die Betroffenen bedeutet die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe, dass ihr Fall erneut gerichtlich überprüft wird. Dies geschieht in der Regel ohne mündliche Verhandlung, basierend auf den Akten des ursprünglichen Verfahrens und unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage.
Der Prozess der Neufestsetzung kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden. Neben Gesetzesänderungen können auch Verfassungsgerichtsentscheidungen oder Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Neubewertung erforderlich machen.
In der Praxis erfordert die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe eine sorgfältige juristische Prüfung. Die Gerichte müssen dabei nicht nur die neue Rechtslage berücksichtigen, sondern auch die Prinzipien der Strafzumessung und das Gebot der Verhältnismäßigkeit beachten.
Für die Verurteilten kann die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe von großer Bedeutung sein. Sie bietet die Möglichkeit, von positiven Gesetzesänderungen zu profitieren und möglicherweise eine Reduzierung der Strafe zu erreichen. Allerdings ist es wichtig zu verstehen, dass dieser Prozess komplex ist und nicht in jedem Fall zu einer Strafminderung führt.
Die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe unterstreicht die Dynamik des Rechtssystems und zeigt, wie Änderungen in der Gesetzgebung sich auf bereits abgeschlossene Fälle auswirken können. Sie dient dazu, die Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit im Strafrecht auch rückwirkend zu gewährleisten und sicherzustellen, dass Strafen stets im Einklang mit dem aktuellen Rechtsverständnis stehen.
Welche Auswirkungen hat das Konsumcannabisgesetz auf bestehende Gesamtstrafen?
Das Konsumcannabisgesetz hat erhebliche Auswirkungen auf bestehende Gesamtstrafen, die Verurteilungen wegen Cannabisdelikten beinhalten. Mit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. April 2024 wurden bestimmte Handlungen im Zusammenhang mit Cannabis legalisiert oder entkriminalisiert. Dies führt dazu, dass Verurteilungen für Taten, die nun nicht mehr strafbar sind, einer Überprüfung unterzogen werden müssen.
Für rechtskräftige Verurteilungen, die von der Gesetzesänderung betroffen sind, gilt das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz nicht. Stattdessen kommt § 2 Abs. 3 Strafgesetzbuch zur Anwendung, wonach das mildeste Gesetz anzuwenden ist. Dies bedeutet, dass Verurteilungen für Handlungen, die nach dem neuen Recht nicht mehr strafbar sind, aufgehoben werden müssen.
Bei Gesamtstrafen, die neben Cannabisdelikten auch andere Straftaten umfassen, ist eine Neufestsetzung der Strafe erforderlich. Die Staatsanwaltschaft muss in diesen Fällen von Amts wegen tätig werden und eine Überprüfung der Urteile veranlassen. Das zuständige Gericht wird dann die Gesamtstrafe neu festsetzen, wobei die nun legalisierten Cannabisdelikte nicht mehr berücksichtigt werden dürfen.
Die Neufestsetzung der Gesamtstrafe erfolgt nach den Grundsätzen des § 54 StGB. Dabei wird das Gericht zunächst die Einzelstrafen für die verbleibenden Delikte bestimmen und daraus eine neue Gesamtstrafe bilden. Es ist wichtig zu betonen, dass die Neufestsetzung nicht automatisch zu einer Verkürzung der Gesamtstrafe im Verhältnis der weggefallenen zur Gesamtzahl der abgeurteilten Taten führt. Vielmehr muss das Gericht eine neue Gesamtstrafe unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festsetzen.
Für Betroffene bedeutet dies, dass sie einen Antrag auf Überprüfung ihrer Verurteilung stellen können, wenn sie der Meinung sind, dass ihre Strafe von der Gesetzesänderung betroffen ist. Die Staatsanwaltschaft ist jedoch auch verpflichtet, von sich aus tätig zu werden und die Akten dem Gericht zur Entscheidung vorzulegen.
In der Praxis kann dies zu einer erheblichen Arbeitsbelastung für die Justiz führen, da zahlreiche Fälle überprüft werden müssen. Die Bearbeitungszeit kann daher je nach Bundesland und Arbeitsaufkommen variieren.
Für Personen, die sich in Haft befinden, kann die Neufestsetzung der Gesamtstrafe zu einer vorzeitigen Entlassung führen, wenn die neue Gesamtstrafe bereits verbüßt ist. In anderen Fällen kann es zu einer Verkürzung der Haftzeit kommen.
Es ist zu beachten, dass nicht alle Cannabisdelikte von der Neuregelung betroffen sind. Schwere Straftaten wie der Handel mit großen Mengen oder die Abgabe an Minderjährige bleiben weiterhin strafbar. In solchen Fällen wird eine Überprüfung der Gesamtstrafe nicht zu einer Änderung führen.
Die Auswirkungen des Konsumcannabisgesetzes auf bestehende Gesamtstrafen zeigen deutlich, wie Gesetzesänderungen rückwirkend das Strafrecht beeinflussen können. Dies unterstreicht die Bedeutung des Grundsatzes, dass das mildeste Gesetz anzuwenden ist, und gewährleistet, dass Verurteilte nicht für Handlungen bestraft werden, die nach aktuellem Recht nicht mehr strafbar sind.
Wer ist zuständig für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe?
Die Zuständigkeit für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe liegt grundsätzlich bei dem Gericht, das die erste Instanz in dem Verfahren bildete, in dem die Gesamtstrafe ursprünglich festgesetzt wurde. Dies ergibt sich aus § 462a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO).
In Fällen, in denen mehrere Einzelstrafen zu einer Gesamtstrafe zusammengefasst wurden, ist das Gericht zuständig, das die höchste Einzelstrafe verhängt hat. Sollten mehrere Gerichte gleich hohe Strafen ausgesprochen haben, entscheidet das Gericht, das zuletzt geurteilt hat.
Besondere Beachtung verdient die Situation, wenn eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung erforderlich wird. Dies kann etwa der Fall sein, wenn nach Rechtskraft eines Urteils weitere Straftaten des Verurteilten bekannt werden, die in den Zeitraum vor der Verurteilung fallen. In solchen Fällen ist das Gericht zuständig, das die letzte Einzelstrafe verhängt hat.
Bei der Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach den Übergangsvorschriften des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) gelten spezielle Regelungen. Hier ist das Gericht zuständig, das die Gesamtstrafe ursprünglich festgesetzt hat. Dies gilt auch dann, wenn dieses Gericht nicht die höchste Einzelstrafe verhängt hatte.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Zuständigkeit für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe von der Zuständigkeit für die Strafvollstreckung zu unterscheiden ist. Für die Strafvollstreckung ist in der Regel die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht zuständig, in dessen Bezirk das erkennende Gericht seinen Sitz hat.
In komplexeren Fällen, etwa bei länderübergreifenden Verfahren oder bei Beteiligung von Gerichten unterschiedlicher Ordnung, können Sonderregelungen greifen. In solchen Situationen kann eine genaue Prüfung der Zuständigkeit erforderlich sein, um das korrekte Vorgehen sicherzustellen.
Die Bestimmung der Zuständigkeit ist von großer praktischer Bedeutung, da sie sicherstellt, dass das mit der Sache am besten vertraute Gericht die Neufestsetzung vornimmt. Dies dient der Effizienz der Rechtspflege und der Wahrung der Rechte des Verurteilten.
Welche Kriterien werden bei der Neufestsetzung einer Gesamtstrafe berücksichtigt?
Bei der Neufestsetzung einer Gesamtstrafe berücksichtigen Gerichte eine Vielzahl von Kriterien, um eine angemessene und gerechte Entscheidung zu treffen. Ein zentrales Element ist die Art und Schwere der begangenen Straftaten. Hierbei wird nicht nur die Anzahl der Delikte, sondern auch deren individuelle Bedeutung und Auswirkung auf die Gesellschaft und die Opfer in Betracht gezogen.
Die persönliche Entwicklung des Verurteilten seit der ursprünglichen Verurteilung spielt eine wesentliche Rolle. Gerichte prüfen, ob der Täter Reue zeigt, Einsicht in das Unrecht seiner Taten gewonnen hat oder Schritte zur Wiedergutmachung unternommen hat. Positive Verhaltensänderungen, wie die erfolgreiche Teilnahme an Resozialisierungsprogrammen oder der Abschluss einer Ausbildung während der Haft, können sich günstig auf die Neufestsetzung auswirken.
Das Vorliegen von Vorstrafen ist ein weiterer bedeutender Faktor. Die Gerichte betrachten dabei nicht nur die Anzahl der Vorstrafen, sondern auch deren zeitliche Nähe zu den aktuell zu beurteilenden Taten und die Art der vorherigen Delikte. Ein wiederholtes Auftreten ähnlicher Straftaten kann zu einer strengeren Beurteilung führen.
Die Gerichte berücksichtigen zudem die Gesamtpersönlichkeit des Täters. Dazu gehören Faktoren wie das Alter zum Tatzeitpunkt, die familiäre und soziale Situation sowie mögliche psychische oder suchtbedingte Probleme, die zur Straffälligkeit beigetragen haben könnten.
Ein wichtiges Kriterium ist auch die Prognose für die zukünftige Legalbewährung des Verurteilten. Die Richter schätzen ein, wie hoch das Risiko eines Rückfalls ist und welche Maßnahmen geeignet sind, um eine erneute Straffälligkeit zu verhindern.
Die zeitliche Komponente spielt ebenfalls eine Rolle. Gerichte betrachten, wie viel Zeit seit der letzten Tat vergangen ist und ob der Verurteilte in dieser Zeit straffrei geblieben ist. Eine lange Phase der Straffreiheit kann sich positiv auf die Neufestsetzung auswirken.
Bei der Neufestsetzung wird auch das Verhältnis der Einzelstrafen zueinander berücksichtigt. Die Gerichte streben eine ausgewogene Gesamtstrafe an, die sowohl die Schwere der Einzeltaten als auch deren Zusammenhang widerspiegelt.
Schließlich fließen auch generalpräventive Aspekte in die Entscheidung ein. Die Gerichte bedenken, welche Signalwirkung von der Neufestsetzung der Gesamtstrafe auf die Allgemeinheit ausgeht und wie sie zur Rechtssicherheit und zum Rechtsfrieden beiträgt.
Wie wirkt sich der Wegfall einer Einzelstrafe auf die Gesamtstrafe aus?
Der Wegfall einer Einzelstrafe hat direkte Auswirkungen auf die Gesamtstrafe. Wenn eine der Einzelstrafen, die zur Bildung der Gesamtstrafe herangezogen wurde, entfällt, muss die Gesamtstrafe neu festgesetzt werden. Dies geschieht in der Regel durch das Gericht, das die Gesamtstrafe ursprünglich verhängt hat.
Bei der Neufestsetzung der Gesamtstrafe wird das Gericht die verbliebenen Einzelstrafen erneut würdigen und eine angemessene Gesamtstrafe bilden. Dabei gilt der Grundsatz, dass die neue Gesamtstrafe in der Regel niedriger ausfallen wird als die ursprüngliche, da ein Teil der strafbaren Handlungen weggefallen ist.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Neufestsetzung nicht automatisch zu einer proportionalen Reduzierung der Gesamtstrafe führt. Das bedeutet, wenn beispielsweise eine von drei gleichwertigen Einzelstrafen wegfällt, wird die Gesamtstrafe nicht zwangsläufig um ein Drittel reduziert. Die Gerichte haben bei der Bildung der neuen Gesamtstrafe einen Ermessensspielraum und berücksichtigen verschiedene Faktoren.
Zu diesen Faktoren gehören unter anderem die Schwere der verbliebenen Taten, das Verhältnis der Einzelstrafen zueinander und die Persönlichkeit des Täters. Auch die Frage, ob die weggefallene Einzelstrafe eine besonders prägende Rolle für die ursprüngliche Gesamtstrafe gespielt hat, kann bei der Neufestsetzung eine Rolle spielen.
In der Praxis kann der Wegfall einer Einzelstrafe verschiedene Szenarien zur Folge haben:
1. Reduzierung der Gesamtstrafe: Dies ist der häufigste Fall. Die neue Gesamtstrafe wird niedriger ausfallen als die ursprüngliche, da ein Teil der Straftaten weggefallen ist.
2. Beibehaltung der Gesamtstrafe: In seltenen Fällen kann es vorkommen, dass die Gesamtstrafe trotz Wegfalls einer Einzelstrafe unverändert bleibt. Dies könnte der Fall sein, wenn die weggefallene Einzelstrafe im Verhältnis zu den anderen sehr gering war und keinen wesentlichen Einfluss auf die Gesamtstrafe hatte.
3. Aufhebung der Gesamtstrafe: Wenn durch den Wegfall einer Einzelstrafe nur noch eine Straftat übrig bleibt, entfällt die Grundlage für eine Gesamtstrafe. In diesem Fall wird die verbleibende Einzelstrafe zur alleinigen Strafe.
Es ist zu beachten, dass die Neufestsetzung der Gesamtstrafe nicht zu einer Erhöhung der Strafe führen darf. Dies würde gegen das Verbot der Schlechterstellung (reformatio in peius) verstoßen, welches in der Strafprozessordnung verankert ist.
Der Prozess der Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach dem Wegfall einer Einzelstrafe dient dazu, die Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit des Strafmaßes zu wahren. Er stellt sicher, dass die verhängte Strafe stets den aktuellen rechtlichen Gegebenheiten entspricht und die tatsächlich strafbaren Handlungen angemessen berücksichtigt werden.
Für die Betroffenen bedeutet der Wegfall einer Einzelstrafe in den meisten Fällen eine Verringerung der zu verbüßenden Gesamtstrafe. Der genaue Umfang dieser Reduzierung hängt jedoch von den spezifischen Umständen des Einzelfalls ab und kann nur durch eine gerichtliche Entscheidung festgelegt werden.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Strafvollstreckungskammer: Eine spezielle Abteilung des Landgerichts, die sich mit der Überprüfung und Anpassung von Strafen während ihrer Vollstreckung befasst. Sie kann beispielsweise über die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung oder über die vorzeitige Entlassung entscheiden.
- Gesamtfreiheitsstrafe: Eine einheitliche Freiheitsstrafe, die aus mehreren Einzelstrafen für verschiedene Straftaten gebildet wird. Sie wird verhängt, wenn eine Person wegen mehrerer Delikte verurteilt wurde und soll eine angemessene und gerechte Strafe darstellen, die alle Taten berücksichtigt.
- Einzelstrafe: Die Strafe, die für eine bestimmte Straftat verhängt wird. Bei mehreren Delikten werden Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe zusammengefasst.
- Neufestsetzung: Die Überprüfung und mögliche Anpassung einer bereits verhängten Strafe aufgrund neuer Umstände, wie beispielsweise einer Gesetzesänderung oder neuer Erkenntnisse über den Täter. Im vorliegenden Fall wurde die Neufestsetzung aufgrund des Inkrafttretens des Konsumcannabisgesetzes vorgenommen.
- Erkennendes Gericht: Das Gericht, das in einem Strafverfahren die ursprüngliche Entscheidung über die Schuld und die Strafe des Angeklagten getroffen hat. Im vorliegenden Fall war das Amtsgericht Erfurt das erkennende Gericht.
- Bewährung: Die Aussetzung einer Freiheitsstrafe unter bestimmten Auflagen. Wenn der Verurteilte die Bewährungsauflagen während der Bewährungszeit erfüllt, muss er die Strafe nicht antreten. Im vorliegenden Fall wurde die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zunächst zur Bewährung ausgesetzt, später jedoch widerrufen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 462 StPO (Strafprozessordnung): Dieser Paragraph regelt die Neufestsetzung von Strafen im Strafverfahren. Er legt fest, unter welchen Voraussetzungen eine bereits verhängte Strafe geändert werden kann, z.B. bei nachträglichen Erkenntnissen oder Gesetzesänderungen. Im vorliegenden Fall wurde § 462 StPO relevant, da das Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes eine neue rechtliche Situation geschaffen hat, die eine Überprüfung der zuvor verhängten Strafe notwendig machte.
- Art. 316p EGStGB (Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch): Dieser Artikel regelt die Neufestsetzung von Strafen im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes. Er ermöglicht eine Anpassung von Strafen, die wegen Taten verhängt wurden, die nach dem neuen Recht nicht mehr strafbar sind oder milder bestraft werden. Im vorliegenden Fall war Art. 316p EGStGB relevant, da der Verurteilte wegen Besitzes von Cannabis verurteilt worden war, der nach dem neuen Gesetz nicht mehr strafbar ist.
- Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB: Dieser Absatz regelt die Zuständigkeit für die Neufestsetzung von Strafen nach Art. 316p EGStGB. Er legt fest, dass das Gericht, das die ursprüngliche Strafe verhängt hat, auch für die Neufestsetzung zuständig ist. Im vorliegenden Fall war Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB relevant, da die Frage der Zuständigkeit für die Neufestsetzung der Strafe eine zentrale Rolle spielte.
- BtMG (Betäubungsmittelgesetz): Das BtMG regelt den Umgang mit Betäubungsmitteln in Deutschland. Es legt fest, welche Substanzen verboten sind und welche Strafen bei Verstößen drohen. Im vorliegenden Fall war das BtMG relevant, da der Verurteilte wegen Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt worden war, und die Neufestsetzung der Strafe auch die Frage betraf, ob der Besitz von Cannabis nach dem neuen Recht noch strafbar ist.
- § 462a StPO: Dieser Paragraph regelt die Neufestsetzung von Strafen im Rahmen der Strafvollstreckung. Er legt fest, unter welchen Voraussetzungen eine bereits verhängte Strafe während ihrer Vollstreckung geändert werden kann. Im vorliegenden Fall wurde § 462a StPO relevant, da die Strafvollstreckungskammer zunächst für die Neufestsetzung der Strafe zuständig war, das Oberlandesgericht jedoch entschied, dass diese Zuständigkeit nicht gegeben war.
Das vorliegende Urteil
Thüringer Oberlandesgericht – Az.: 1 Ws 204/24 – Beschluss vom 25.06.2024
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1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Erfurt wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes Erfurt vom 18.04.2024 aufgehoben.
2. Die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichtes Erfurt vom 06.04.2022 in Verbindung mit dem Berufungsurteil des Landgerichtes Erfurt vom 24.01.2023 wird aufgelöst.
3. Unter Wegfall der Einzelstrafe aus der Tat vom 05.06.2021 (Tat zu II.9. des amtsgerichtlichen Urteiles) und Beibehaltung der übrigen festgesetzten Einzelstrafen wird eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten gebildet.
4. Der Verurteilte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Erfurt verhängte gegen den Verurteilten am 06.04.2022 eine Gesamtfreiheitsstrafe vom zwölf Monaten, gebildet aus den Einzelstrafen von vier Mal einem Monat wegen Erschleichens von Leistungen in vier Fällen, von einem Monat wegen vorsätzlichen Führens einer Schusswaffe, von einem Monat wegen zweifacher Beleidigung, von drei Monaten wegen Betruges, von drei Monaten und zwei Monaten wegen Hehlerei in zwei Fällen sowie von einem Monat wegen am 30.03.2021 begangenen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (0,7 Gramm Marihuana und 0,19 Gramm Methamphetamin), von einem weiteren Monat wegen am 10.05.2021 begangenen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (0,83 Gramm Marihuana und 0,09 Gramm Methamphetamin), von zwei Monaten wegen am 23.05.2021 begangenen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (4,99 Gramm Marihuana und 0,4 Gramm Methamphetamin und von weiteren drei Monaten wegen am 05.06.2021 begangenen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (9,97 Gramm Marihuana; Tat zu II.9. des genannten Urteiles). Mit Berufungsurteil vom 24.01.2023 setzte das Landgericht Erfurt die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung aus, beließ es im Übrigen aber bei dem vom Amtsgericht festgesetzten Strafen und der Gesamtstrafe. Die Strafvollstreckungskammer widerrief die Aussetzung am 20.10.2023.
Mit Beschluss vom 18.04.2024 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes Erfurt auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Gesamtstrafe in Ansehung der Art. 316p, 313 Abs. 3 und 4 EGStGB auf elf Monate herab, unter Wegfall der Einzelstrafe von drei Monaten aus der Tat vom 05.06.2011 (II.9. des Ausgangsurteiles) und unter Herabsetzung auch der Einzelstrafen aus den Taten vom 30.03.2021, 10.05.2021 und 23.05.2021.
Gegen diesen, der Staatsanwaltschaft Erfurt am 23.04.2024 zugestellten Beschluss richtet sich deren am 25.04.2024 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde, mit welcher diese sich gegen die Neufestsetzung der Einzelstrafen aus den Taten vom 30.03.2021, 10.05.2021 und 23.05.2021 wendet. Die festgesetzte Gesamtstrafe sowie der Fortfall der Einzelstrafen aus der Tat zu II.9. sind nicht angegriffen.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft trat der sofortigen Beschwerde in ihrer, dem Verurteilten bekannt gemachten Stellungnahme vom 12.06.2024 bei.
II.
(1). Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Erfurt ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und hat auch in der Sache Erfolg.
a). Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Strafvollstreckungskammer für die Entscheidung über die Neufestsetzung der Gesamtstrafe nicht zuständig war.
Die Verweisung in Art. 313 Abs. 5 EGStGB auf § 462 StPO stellt nicht zugleich auch eine Verweisung auf § 462a StPO dar. Vielmehr lässt Art. 313 Abs. 5 EGStGB offen, welches Gericht zuständig sein soll (OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.06.2024, 4 Ws 167/24). Diese gesetzliche Lücke ist durch Auslegung des objektivierten gesetzgeberischen Willens zu schließen, was im Ergebnis zu einer Zuständigkeit des erkennenden Gerichtes und nicht der Strafvollstreckungskammer führt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.06.2024, 4 Ws 167/24; OLG Brandenburg, Beschluss vom 21.05.2024, 2 Ws 54/24 (S); i.E. wohl auch BGH, Urteil vom 24.09.1974, 1 StR 365/74). Auf die ausführliche und zutreffende Begründung des Oberlandesgerichtes Stuttgart in dem Beschluss vom 06.06.2024 wird Bezug genommen. Zu ergänzen ist lediglich, dass sich diese Auslegung auch aus der ausdrücklichen Verweisung in Art. 313 Abs. 4 S. 2 EGStGB ergibt, der für den Anwendungsbereich des Jugendgerichtsgesetzes eine Verweisung auf dessen § 66 vornimmt, der in Absatz 2 S. 4 im Falle einer (teilweisen) Vollstreckung von Jugendstrafe ausdrücklich den Vollstreckungsleiter für zuständig erklärt, da dieser aktuellere Kenntnisse über den Jugendlichen hat und daher den Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht besser berücksichtigen kann (OLG Hamm, Beschluss vom 23.04.2024, 4 OGs 10/24). Durch die Verweisung in Art. 313 Abs. 4 S. 2 EGStGB stellt der Gesetzgeber klar, dass für das Jugendrecht eine spezielle Zuständigkeitsregelung zur Anwendung kommen soll. Das Fehlen einer entsprechenden Verweisung auf § 462a StPO deutet dann jedoch darauf hin, dass im Erwachsenenstrafrecht eine solche Regelung gerade nicht getroffenen sein soll und insbesondere keine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer begründet werden soll; vielmehr soll es bei der allgemeinen Regelung – Zuständigkeit des erkennenden Gerichtes – verbleiben.
Dies gilt auch für den vorliegenden Fall, in dem zwar das Amtsgericht als Jugendgericht entschieden, jedoch ausdrücklich Erwachsenenstrafrecht angewandt hat. Für diese Konstellation enthält das Jugendgerichtsgesetz keine Regelung zur Anwendung des § 66 JGG.
b). Trotz fehlender Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer war vorliegend ausnahmsweise eine Zurückverweisung an das zuständige Gericht des ersten Rechtszuges nicht veranlasst, da der Senat zugleich auch für Beschwerden gegen Entscheidungen des funktionell zuständigen Spruchkörpers des Erstgerichtes zuständig ist (vgl. KG, Beschluss vom 26.09.2005, 5 Ws 430/05; KK-StPO/Zabeck, 9. Auflage, § 309, Rn. 10b; KK-StPO/Appl, 9. Auflage, § 462, Rn. 4). Der Senat kann daher vorliegend nach § 309 Abs. 2 StPO selbst in der Sache entscheiden, ohne dass hierdurch der Verurteilte seinem gesetzlichen Richter entzogen wäre (KG, Beschluss vom 26.09.2005, 5 Ws 430/05; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2000, 3 Ws 395/00; OLG Bamberg, Beschluss vom 12.03.2013, 2 Ws 19/13). Die gebotene Einzelfallprüfung ergibt vorliegend keinen Verstoß gegen die Verfassungsgarantie aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, da nicht jede fehlerhafte Anwendung von Zuständigkeitsregeln einen solchen begründet und eine willkürliche oder offensichtlich unhaltbare Annahme der Zuständigkeit durch die Strafvollstreckungskammer nicht ersichtlich ist (vgl. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 12.03.2013, 2 Ws 19/13). Eine bloße fehlerhafte Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften führt noch nicht zu einem Verfassungsverstoß (OLG Bamberg, Beschluss vom 12.03.2013, 2 Ws 19/13), sodass auch die abweichende Rechtsprechung des Senates (Beschluss vom 30.09.2011, 1 Ws 410/11) zwischenzeitlich mit Beschluss vom 15.07.2021 (1 Ws 104/21) aufgegeben wurde.
c). Die angefochtene Entscheidung über die Neufestsetzung der Strafe nach Art. 313 EGStGB hat zu Unrecht die Einzelstrafen aus den Taten vom 30.03.2021, 10.05.2021 und 23.05.2021 neu festgesetzt. Das Erfordernis der Neufestsetzung aufgrund Inkrafttretens des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) zum 01.04.2024 bezieht sich nach § 316p EGStGB lediglich auf solche Strafen, die nach neuem Recht des KCanG nicht mehr strafbar (oder bußgeldbedroht) sind (BGH, Urteil vom 23.05.2024, 5 StR 68/24).
Dies ist zwanglos für die Tat vom 05.06.2011 (II.9. des Ausgangsurteiles) der Fall, nicht jedoch für die Taten vom 30.03.2021, 10.05.2021 und 23.05.2021, da diesen jeweils auch ein tateinheitlicher unerlaubter Besitz vom Methamphetamin zugrunde lag, welcher nach wie vor gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG mit Strafe bedroht ist. Zwar liegt in dem Wegfall der Strafbarkeit des Marihuanabesitzes insofern eine Minderung des Unrechtsgehaltes der vorbezeichneten Taten, jedoch führt eine solche nach Art. 313 Abs. 4 und 5 EGStGB nicht zu einer Herabsetzung auch der insofern rechtskräftigen Einzelstrafen (vgl. BGH, Urteil vom 16.08.1977, 1 StR 390/77). Art. 313 Abs. 4 EGStGB betrifft vielmehr ausdrücklich nur eine Neufestsetzung der Gesamtstrafe in den Fällen des Art. 313 Abs. 1 EGStGB, also dann, wenn sich Einzelstrafen auf solche Taten beziehen, deren Strafbarkeit nach neuem Recht (gänzlich) entfällt. Führt die nachträgliche Rechtsänderung lediglich zur Möglichkeit milderer Bestrafung, verbleibt es hingegen bei dem Grundsatz, dass rechtskräftige Einzelstrafen ihre Eigenständigkeit behalten (BGH, Urteile vom 23.05.2024, 5 StR 68/24 und vom 16.08.1977, 1 StR 390/77). Eine Ausnahme hiervon, wie sie etwa durch Art. 313 Abs. 1 und 3 EGStGB ermöglicht wird (vgl. BGH, Urteil vom 23.05.2024, 5 StR 68/24), kommt vorliegend nicht in Betracht. Insbesondere liegt kein Fall des Art. 313 Abs. 3 EGStGB vor, da die Vorschrift, auf der die Straffestsetzung beruht, vorliegend gerade nicht entfallen ist. Sie besteht in Form des § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG für den weiterhin unerlaubten Methamphetaminbesitz fort (so i.E. auch BGH, Urteil vom 23.05.2024, 5 StR 68/24).
d). Der angefochtene Beschluss war daher zur Klarstellung aufzuheben. Die vom Senat in der Sache zu treffende Entscheidung führt jedoch vorliegend zur Neubemessung der Gesamtfreiheitsstrafe in der gleichen Höhe, wie in dem angefochtenen Beschluss.
Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und der Person des Angeklagten ist für die verbliebenen Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten angemessen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Verurteilte in der dem amtsgerichtlichen Urteil zugrunde liegenden Hauptverhandlung im Wesentlichen geständig eingelassen und sein Rechtsmittel in der Berufungshauptverhandlung auf die Rechtsfolgenbemessung beschränkt hat. Ferner handelte es sich bei den Betäubungsmitteln (Methamphetamin) um kleine Mengen. Schließlich hatte der Verurteilte in dem vorliegenden Verfahren vor Urteilserlass Untersuchungshaft und zwischenzeitlich Strafhaft verbüßt. Demgegenüber waren die Vorstrafen des Verurteilten strafschärfend zu berücksichtigen.
(2). Einer erneuten Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung bedurfte es vorliegend ausnahmsweise nicht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 17.06.2024, 1 Ws 190/24), da die Strafvollstreckungskammer in der angefochtenen Entscheidung hierüber ausdrücklich entschieden hat und ein Rechtsmittel insofern nicht eingelegt wurde.
(3). Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 465 Abs. 1 StPO (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 21.05.2024, 2 Ws 54/24 (S)).