Ein Mann, der unter dem Mischkonsum von Jim Beam und Pregabalin Sachschaden anrichtete, forderte die Blutalkohol-Berechnung bei ungenauen Trinkmengen. Obwohl die genauen Alkoholmengen unbekannt waren, entschied das Gericht die Frage der Schuldfähigkeit allein anhand seiner psychodiagnostischen Kriterien.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Verminderte Schuldfähigkeit bei Alkoholkonsum?
- Was passiert bei Sachbeschädigung unter Alkoholeinfluss?
- Muss das Gericht immer den Blutalkohol berechnen?
- Wann darf ein Gericht auf die Blutalkohol-Berechnung verzichten?
- Was bedeutet der Beschluss für Trunkenheitstaten?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann führt Alkoholkonsum zu verminderter Schuldfähigkeit im Strafrecht?
- Muss das Gericht bei Alkoholstraftaten immer die Blutalkoholkonzentration berechnen?
- Was passiert, wenn meine Trinkmenge zu vage ist und die BAK-Berechnung scheitert?
- Wie wird meine Schuldfähigkeit ohne BAK-Berechnung anhand meines Verhaltens beurteilt?
- Führt Mischkonsum von Alkohol und Medikamenten automatisch zur Strafmilderung?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 202 StRR 111/20 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
- Datum: 15.01.2021
- Aktenzeichen: 202 StRR 111/20
- Verfahren: Revision
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Schuldfähigkeit
- Das Problem: Ein Mann beschädigte zwei geparkte Autos schwer. Zum Tatzeitpunkt hatte er Alkohol getrunken und Medikamente eingenommen. Er wurde verurteilt und legte Revision ein. Er behauptete, wegen der Mischung nicht schuldfähig gewesen zu sein.
- Die Rechtsfrage: Muss ein Gericht zwingend den Blutalkoholspiegel des Täters nachträglich berechnen? Oder darf es darauf verzichten, wenn der Täter keine präzisen Angaben zu seiner Trinkmenge macht?
- Die Antwort: Nein, die Verurteilung wurde bestätigt. Das Gericht durfte die Berechnung des Blutalkoholspiegels unterlassen. Die vagen Angaben des Mannes zur Trinkmenge waren für eine verlässliche Schätzung ungeeignet.
- Die Bedeutung: Ist der tatsächliche Alkoholkonsum unklar, wird die Schuldfähigkeit anders festgestellt. Das Gericht beurteilt die Steuerungsfähigkeit dann anhand des Verhaltens und der Handlungen des Täters.
Verminderte Schuldfähigkeit bei Alkoholkonsum?
Ein Mann beschädigt im Rausch fremdes Eigentum und beruft sich vor Gericht auf seine Trunkenheit und die Einnahme von Medikamenten. Er sei nicht voll schuldfähig gewesen. Dieser Fall landete schließlich vor dem bayoblg/“ target=“_blank“>Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG), das am 15. Januar 2021 eine Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung traf (Az. 202 StRR 111/20). Im Kern ging es um die Frage, unter welchen Umständen ein Gericht auf die sonst übliche Berechnung der Blutalkoholkonzentration verzichten darf und stattdessen das Verhalten des Täters als alleinigen Maßstab für dessen Schuldfähigkeit heranziehen kann.
Was passiert bei Sachbeschädigung unter Alkoholeinfluss?
In der Nacht des 30. Juli 2019, gegen 23:28 Uhr, kletterte ein Mann auf zwei am Straßenrand geparkte Autos. Er lief über die Motorhauben und Dächer und hinterließ an beiden Fahrzeugen erhebliche Schäden. Die Polizei griff ihn unmittelbar nach der Tat auf. Der Mann wirkte sichtlich alkoholisiert, konnte dem Geschehen aber folgen und verweigerte einen freiwilligen Atemalkoholtest. Später gab er an, sich nur lückenhaft an den Vorfall erinnern zu können, was er auf eine Mischung aus Alkohol und dem Medikament Pregabalin, einem Mittel gegen Krampfanfälle und Schmerzen, zurückführte.

Das Amtsgericht verurteilte ihn am 16. Dezember 2019 wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährung. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft legten Berufung ein. Das Landgericht bestätigte am 2. Juli 2020 das Urteil der Vorinstanz. Dagegen richtete sich der Angeklagte mit seiner Revision an das BayObLG. Sein zentrales Argument: Die Gerichte hätten seine Schuldfähigkeit falsch eingeschätzt. Der kombinierte Einfluss von Alkohol und Medikamenten habe seine Steuerungsfähigkeit entweder komplett aufgehoben oder zumindest erheblich vermindert.
Muss das Gericht immer den Blutalkohol berechnen?
Ja, grundsätzlich ist ein Gericht bei Straftaten unter Alkoholeinfluss dazu verpflichtet, eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration (BAK) zum Tatzeitpunkt vorzunehmen. Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sieht diesen Wert als ein wesentliches Indiz, um das Ausmaß der Beeinträchtigung zu beurteilen. Eine hohe BAK kann ein starkes Anzeichen dafür sein, dass die Steuerungsfähigkeit des Täters erheblich vermindert war, was nach § 21 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Strafmilderung führen kann. Im Extremfall kann sie sogar eine Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB begründen, was einen Freispruch zur Folge hätte.
Allerdings gibt es von dieser Regel eine wichtige Ausnahme. Die Pflicht zur Berechnung entfällt, wenn die tatsächlichen Angaben zur getrunkenen Alkoholmenge so vage, ungenau oder widersprüchlich sind, dass eine auch nur annähernd verlässliche Ermittlung des BAK-Wertes unmöglich ist. In einem solchen Fall wäre das Ergebnis der Berechnung reine Spekulation und besäße keine Aussagekraft. Das Gericht muss sich dann auf andere Beweismittel stützen, um die Schuldfähigkeit zu beurteilen.
Wann darf ein Gericht auf die Blutalkohol-Berechnung verzichten?
Das Bayerische Oberste Landesgericht bestätigte in seinem Beschluss die Entscheidung des Landgerichts und verwarf die Revision des Angeklagten als unbegründet. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass das Landgericht zu Recht von einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration abgesehen und die Schuldfähigkeit stattdessen anhand des Verhaltens des Mannes beurteilt hatte. Die Analyse des Gerichts folgte dabei einer klaren logischen Kette.
Warum war die Trinkmenge hier zu ungenau?
Der entscheidende Punkt für das Gericht war die Aussage des Angeklagten zu seinem Alkoholkonsum. Er hatte angegeben, „gemeinsam mit einem Freund eine Flasche Jim Beam getrunken“ zu haben. Diese Angabe war dem Landgericht zu unbestimmt. Es ließ sich daraus nicht ableiten, welchen Anteil der Angeklagte selbst konsumiert hatte. Ob er ein Glas oder den Großteil der Flasche getrunken hatte, blieb offen. Eine seriöse Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration war auf dieser Grundlage nicht möglich. Jedes Ergebnis wäre willkürlich gewesen und hätte keinen verlässlichen Indizwert für die Beurteilung der Schuldfähigkeit geliefert. Damit lag genau jener Ausnahmefall vor, in dem ein Gericht von der Berechnung absehen darf.
Was zählte stattdessen für die Beurteilung der Schuld?
Da ein rechnerischer Wert fehlte, stützte das Landgericht seine Entscheidung auf sogenannte Psychodiagnostische Kriterien. Das sind beobachtbare Verhaltensweisen, die Rückschlüsse auf den geistigen und körperlichen Zustand einer Person zulassen. Das Gericht zog hier mehrere Indizien heran. Zum einen zeigte die Tat selbst eine gewisse körperliche Handlungskompetenz: Der Angeklagte war in der Lage, auf zwei Autos zu klettern und darüber zu laufen, ohne die Kontrolle zu verlieren. Zum anderen belegte sein Verhalten bei der Festnahme durch die Polizei eine erhaltene situative Orientierung. Er konnte dem Geschehen folgen und traf die bewusste Entscheidung, den Atemalkoholtest zu verweigern. Schließlich hatte er auch noch teilweise Erinnerungen an den Abend. All diese Faktoren sprachen nach Überzeugung des Gerichts gegen einen vollständigen Kontrollverlust und belegten, dass sowohl seine Einsichts- als auch seine Steuerungsfähigkeit noch vorhanden waren.
Warum scheiterte das Argument des Angeklagten?
In seiner Revisionsbegründung versuchte der Angeklagte, seine ursprüngliche Aussage zu präzisieren. Er behauptete nun, „mindestens eine halbe Flasche“ getrunken zu haben. Mit dieser konkreteren Angabe wollte er das Gericht doch noch zu einer Berechnung zwingen, die möglicherweise einen hohen BAK-Wert ergeben hätte. Das BayObLG wies dieses Vorbringen jedoch als unzulässig zurück. Es handelte sich um einen sogenannten urteilsfremden Vortrag. Das Revisionsgericht überprüft ein Urteil lediglich auf Rechtsfehler, basierend auf den Tatsachen, die das vorherige Gericht festgestellt hat. Es darf keine neuen Beweise oder Behauptungen berücksichtigen. Da die Angabe „mindestens eine halbe Flasche“ in der Verhandlung vor dem Landgericht nicht gefallen war, konnte sie in der Revision keine Rolle mehr spielen.
Gab es einen Rechtsfehler bei der Strafzumessung?
Das BayObLG fand tatsächlich einen kleinen juristischen Fehler in der Urteilsbegründung des Landgerichts. Dieses hatte bei der Prüfung einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB nicht ausreichend berücksichtigt, dass bei alkoholgewohnten Tätern das äußere Erscheinungsbild täuschen kann. Solche Personen können trotz erheblicher innerer Beeinträchtigung nach außen hin noch relativ normal wirken. Dieser Punkt wurde vom Landgericht übersehen.
Jedoch führte dieser Fehler nicht zur Aufhebung des Urteils. Der Grund dafür liegt im juristischen Prinzip, dass ein Urteil nur dann aufgehoben wird, wenn es auf dem erkannten Fehler beruht. Das Landgericht hatte seine Entscheidung aber zusätzlich abgesichert. Es führte hilfsweise aus, dass es selbst bei Annahme einer verminderten Steuerungsfähigkeit keine Strafmilderung gewähren würde. Zum einen spreche die selbstverschuldete Trunkenheit dagegen. Zum anderen sei das umfangreiche Vorstrafenregister des Angeklagten, das auch Aggressionsdelikte umfasste, ein Grund, von einer Strafrahmenverschiebung abzusehen. Diese Hilfsbegründung war rechtlich solide und trug die Entscheidung allein. Der Fehler in der Hauptbegründung war somit für das Endergebnis irrelevant.
Was bedeutet der Beschluss für Trunkenheitstaten?
Mit diesem Beschluss festigt das Bayerische Oberste Landesgericht die bestehende Rechtsprechungslinie. Er stellt klar, dass die Pflicht zur Berechnung der Blutalkoholkonzentration ihre Grenzen hat. Macht ein Angeklagter zur Trinkmenge nur vage und unpräzise Angaben, die keine verlässliche Grundlage für eine Berechnung bieten, darf und muss das Gericht seine Entscheidung über die Schuldfähigkeit auf eine sorgfältige Analyse des Täterverhaltens stützen. Die Entscheidung bestätigt, dass Angeklagte es nicht in der Hand haben, durch ungenaue Aussagen eine verlässliche Schuldfeststellung zu verhindern. Das Urteil gegen den Mann ist damit rechtskräftig, und er hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Die Urteilslogik
Die Justiz beurteilt die Schuldfähigkeit eines Täters primär nach seinem beobachtbaren Verhalten, wenn unklare Angaben zur Trinkmenge eine verlässliche Blutalkohol-Berechnung verhindern.
- Verzicht auf Blutalkohol-Berechnung: Ein Gericht entbindet sich von der Pflicht, die Blutalkoholkonzentration zu berechnen, sobald die Angaben des Angeklagten zum Alkoholkonsum zu vage sind, um einen verlässlichen Indizwert für die Intoxikation zu liefern.
- Psychodiagnostik ersetzt Laborwerte: Fehlt ein rechnerischer BAC-Wert, bestimmen psychodiagnostische Kriterien wie situative Orientierung, Handlungskompetenz und die Fähigkeit zur Erinnerung das Ausmaß der Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit.
- Ausschluss der Strafmilderung: Selbst wenn die Richter eine verminderte Steuerungsfähigkeit annehmen, können sie eine Strafmilderung ablehnen, falls die Trunkenheit selbst verschuldet ist und das umfangreiche Vorstrafenregister des Täters gegen eine Geringfügigkeit der Schuld spricht.
Die Rechtsprechung stellt sicher, dass Angeklagte eine Feststellung ihrer Schuldfähigkeit nicht durch die Abgabe vager oder unpräziser Konsumangaben vereiteln können.
Benötigen Sie Hilfe?
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Experten Kommentar
Viele dachten wohl, wer sich nicht genau erinnert oder nur vage Angaben zum Alkoholkonsum macht, habe automatisch bessere Karten, um seine Steuerungsfähigkeit wegzudiskutieren. Das BayObLG zieht hier aber eine klare rote Linie: Kann die genaue Trinkmenge nicht verlässlich ermittelt werden, wird die aufwendige Blutalkohol-Berechnung kurzerhand beiseitegelassen. Anstatt zu spekulieren, zählt dann nur noch das tatsächliche Verhalten während der Tat – wie die Fähigkeit, über zwei Autos zu klettern und den Alkoholtest zu verweigern. Dieses Urteil ist ein wichtiger Fingerzeig, dass man seine Schuldfähigkeit nicht durch strategisch ungenaue Aussagen selbst steuern kann.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann führt Alkoholkonsum zu verminderter Schuldfähigkeit im Strafrecht?
Verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB erfordert, dass Ihre Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit durch den Alkoholkonsum erheblich beeinträchtigt war. Eine hohe Blutalkoholkonzentration (BAK) dient dabei lediglich als starkes Indiz für diesen Zustand. Das Gericht entscheidet am Ende immer anhand Ihres konkreten Verhaltens während der Tat, ob Sie noch Kontrolle besaßen und die Tat hätten vermeiden können.
Die Blutalkoholkonzentration ist das primäre Werkzeug des Gerichts zur Beurteilung der Beeinträchtigung. Richter müssen die BAK in der Regel rückrechnen, um festzustellen, ob eine relevante Schwelle überschritten wurde. Eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit kann zu einer obligatorischen Strafmilderung führen. Liegt sogar volle Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB vor, etwa bei extrem hohen Promillewerten, führt dies zum Freispruch. Die hohe BAK allein garantiert diese Milderung jedoch nicht.
Selbst bei nachgewiesener hoher Alkoholisierung kann das Gericht eine Strafmilderung ablehnen. Dies geschieht, wenn die Trunkenheit als selbstverschuldet gilt oder wenn der Täter bereits einschlägige Vorstrafen wegen Aggressionsdelikten besitzt. Zudem prüfen Richter sogenannte psychodiagnostische Kriterien, wenn die BAK-Berechnung unmöglich ist. Wer beispielsweise noch komplexe Handlungen ausführen oder Tests bewusst verweigern konnte, beweist damit eine Rest-Steuerungsfähigkeit.
Sichern Sie sofort alle Belege über Zeitpunkt und Menge des konsumierten Alkohols, um die Grundlage für eine professionelle BAK-Rückrechnung zu schaffen.
Muss das Gericht bei Alkoholstraftaten immer die Blutalkoholkonzentration berechnen?
Die Regel sieht vor, dass Gerichte die Blutalkoholkonzentration (BAK) zum Tatzeitpunkt berechnen müssen. Dieser Wert dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als wesentliches Indiz für die Beurteilung der Schuldfähigkeit. Diese Grundpflicht entfällt jedoch, sobald die Tatsachengrundlage für die Rückrechnung zu spekulativ wird. Ein Gericht darf in solchen Ausnahmefällen von einer Berechnung absehen.
Der Grund für diese Ausnahme liegt in der Notwendigkeit verlässlicher Beweise für das Strafverfahren. Wenn die Angaben zur konsumierten Alkoholmenge zu ungenau, widersprüchlich oder vage sind, liefert die Berechnung kein juristisch verwertbares Ergebnis. Nehmen wir an, der Angeklagte gibt lediglich an, „gemeinsam mit einem Freund eine Flasche Jim Beam getrunken“ zu haben. Da sein eigener Anteil nicht quantifizierbar ist, wäre jedes Rechenergebnis willkürlich. Es hätte damit keinen verlässlichen Indizwert für die Feststellung der Beeinträchtigung.
Scheitert die BAK-Berechnung aus diesen Gründen, muss das Gericht zwingend auf andere Beweismittel zurückgreifen. Die Entscheidung über die Schuldfähigkeit wird dann anhand sogenannter psychodiagnostischer Kriterien festgestellt. Hier analysieren Richter das beobachtbare Verhalten des Täters zum Tatzeitpunkt. Sie prüfen, ob eine körperliche Handlungskompetenz oder eine erhaltene situative Orientierung vorlag. Dies zeigt sich etwa in der Fähigkeit, komplexe Handlungen auszuführen oder bewusste Entscheidungen, wie die Verweigerung eines Atemalkoholtests, zu treffen.
Stellen Sie bei polizeilichen Befragungen sicher, dass Ihre Angaben zu Marke, Volumen und Zeitpunkt des Konsums so präzise wie möglich sind, um die Basis für eine juristisch verwertbare BAK-Rückrechnung zu schaffen.
Was passiert, wenn meine Trinkmenge zu vage ist und die BAK-Berechnung scheitert?
Wenn Ihre Angaben zum Alkoholkonsum zu vage sind, etwa weil Sie nur von „gemeinsam getrunken“ sprechen, entfällt die Berechnung der Blutalkoholkonzentration (BAK). Das Gericht wechselt dann zu einem Ersatzmechanismus. Die richterliche Beurteilung der Schuldfähigkeit stützt sich nun ausschließlich auf psychodiagnostische Kriterien, also Ihr beobachtbares Verhalten.
Der Grund für diesen Wechsel liegt in der Notwendigkeit juristischer Verlässlichkeit. Kann der eigene Konsumanteil nicht quantifiziert werden, wäre jede BAK-Rückrechnung bloße Spekulation und ohne Beweiswert. Das Gericht muss die Entscheidung über Ihre Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit stattdessen anhand der tatsächlichen Umstände und Protokolle bewerten. Es prüft, ob die festgestellten Verhaltensweisen auf eine erhebliche Beeinträchtigung hindeuten.
Dabei stehen Merkmale wie die situative Orientierung im Fokus der Analyse. Die Richter untersuchen, ob Sie dem Geschehen folgen konnten und bewusste Entscheidungen trafen. Ein Beispiel: Wer zielgerichtete motorische Handlungen durchführt oder einen Atemalkoholtest bewusst verweigert, liefert damit ein Indiz gegen einen vollständigen Kontrollverlust. Diese Verhaltensmerkmale belegen nach Überzeugung des Gerichts, dass trotz starker Alkoholisierung noch eine Rest-Steuerungsfähigkeit vorhanden war.
Wenn die BAK-Berechnung entfällt, lassen Sie Ihren Verteidiger sofort alle Polizeiberichte dahingehend analysieren, ob Ihr Verhalten Indizien für einen völligen Kontrollverlust liefert.
Wie wird meine Schuldfähigkeit ohne BAK-Berechnung anhand meines Verhaltens beurteilt?
Fehlt die Grundlage für eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration (BAK) wegen zu vager Angaben, beurteilt das Gericht Ihre Schuld anhand psychodiagnostischer Kriterien. Diese Analyse fokussiert darauf, welche Reststeuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt noch bestand. Juristen untersuchen dabei spezifisches Verhalten, um festzustellen, ob Sie trotz der Alkoholisierung noch bewusste Entscheidungen treffen konnten. Das beobachtbare Verhalten gerät dabei unter das juristische Mikroskop.
Der Fokus liegt zunächst auf Ihrer körperlichen Handlungskompetenz. Richter prüfen, ob Sie komplexe motorische Abläufe zielgerichtet ausführen konnten. Im Fall des BayObLG werteten die Richter das unfallfreie Klettern über zwei geparkte Autos als Beweis für eine erhaltene Fähigkeit. Ein weiteres Kriterium ist die situative Orientierung. Das Gericht stellt fest, ob Sie dem Geschehen bei der Festnahme folgen und die polizeilichen Anweisungen verstehen konnten.
Entscheidend ist ferner die Fähigkeit zur bewussten Entscheidungsfindung. Die Verweigerung des Atemalkoholtests spricht stark dafür, dass der Täter wusste, das Ergebnis könnte gegen ihn verwendet werden. Auch lückenhafte Erinnerungen an den Abend sprechen nicht automatisch für einen kompletten Kontrollverlust, sondern werden ebenfalls als Indiz gegen eine volle Schuldunfähigkeit gewertet. Das Gericht nutzt diese Faktoren, um die Frage der verminderten Schuldfähigkeit zu klären.
Lassen Sie Ihren Anwalt bei der Akteneinsicht gezielt nach polizeilichen Vermerken suchen, die Symptome wie extremes Lallen, Erbrechen oder Orientierungslosigkeit belegen.
Führt Mischkonsum von Alkohol und Medikamenten automatisch zur Strafmilderung?
Nein, die bloße Tatsache des Mischkonsums von Alkohol und Medikamenten garantiert keine Strafmilderung. Sie müssen als Angeklagter nachweisen, dass diese Kombination objektiv zu einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB geführt hat. Selbst wenn dieser Nachweis gelingt, besitzen Gerichte einen großen Ermessensspielraum, um eine Milderung dennoch abzulehnen. Der Tatrichter muss stets das Ausmaß Ihrer Beeinträchtigung objektiv feststellen.
Das Gericht prüft nicht nur die Substanzen, sondern die konkrete Auswirkung auf Ihre Fähigkeit, die Tat zu steuern oder einzusehen. Selbst bei einem festgestellten juristischen Fehler, wie der Unterschätzung der Wechselwirkung bei alkoholgewohnten Tätern, bleibt das Urteil häufig bestehen. Die Richter können die Strafmilderung ablehnen, wenn die Trunkenheit als selbstverschuldet gilt. Sie können auch von einer Milderung absehen, wenn Ihr Vorstrafenregister umfangreich ist, besonders bei früheren Aggressionsdelikten.
Nehmen wir an, Sie konsumierten Alkohol zusammen mit einem Medikament wie Pregabalin. Ihr Verteidiger muss nicht nur die stärkere Beeinträchtigung belegen. Entscheidend ist der Nachweis, dass Sie die spezifische Wechselwirkung zwischen dem Medikament und Alkohol nicht kennen konnten. Liegt keine ärztliche Warnung vor, oder fehlt ein deutlicher Hinweis im Beipackzettel, verbessert dies Ihre Position deutlich. Andernfalls wird der Konsum als leichtfertig und damit als selbstverschuldete Trunkenheit gewertet.
Sammeln Sie umgehend alle ärztlichen Anweisungen und den Beipackzettel des Medikaments, damit Ihr Anwalt nachweisen kann, dass Sie unzureichend über die Wechselwirkungen aufgeklärt wurden.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
BAK-Rückrechnung (Blutalkoholkonzentrations-Rückrechnung)
Eine Blutalkoholkonzentrations-Rückrechnung (BAK) ist das Verfahren, bei dem Gerichte mithilfe von Sachverständigen versuchen, den Promillewert eines Täters zum exakten Tatzeitpunkt mathematisch zu ermitteln. Dieser Wert bildet das zentrale Indiz für die Frage, ob eine Person aufgrund des Alkoholkonsums nur vermindert oder gar nicht schuldfähig war. Juristen müssen auf eine Berechnung verzichten, wenn keine verlässlichen Angaben zu Trinkmenge, Trinkbeginn und Trinkende vorliegen.
Beispiel: Im vorliegenden Fall scheiterte die BAK-Rückrechnung, da die Aussage des Angeklagten zur Menge des konsumierten Jim Beam zu vage und unbestimmt blieb.
Beruhen (auf Rechtsfehler)
Ein Urteil beruht auf einem Rechtsfehler, wenn die richterliche Entscheidung ohne diesen spezifischen Fehler ursächlich anders ausgefallen wäre. Dieses strenge Kriterium stellt sicher, dass höhere Instanzen ein Urteil nur dann aufheben, wenn der festgestellte juristische Mangel tatsächlich das Ergebnis der Verhandlung beeinflusst hat. Formelle Mängel ohne kausalen Zusammenhang zum Schuldspruch sind für die Revision irrelevant.
Beispiel: Obwohl das BayObLG einen Fehler in der Hauptbegründung des Landgerichts feststellte, beruhte das Urteil nicht darauf, da die zusätzlich erstellte Hilfsbegründung die Verurteilung eigenständig trug.
Hilfsbegründung
Eine Hilfsbegründung nutzen Gerichte, um eine Entscheidung vorsorglich auf eine zusätzliche, unabhängige juristische Argumentation zu stützen, falls die primäre Begründungskette in der Revision angefochten werden sollte. Diese doppelte Absicherung zielt auf die Stabilität des Urteils ab und verhindert eine Aufhebung bei Fehlern in der Hauptargumentation. Das Gericht führt die Hilfsbegründung nur dann aus, wenn sie für die Entscheidung nicht zwingend notwendig wäre.
Beispiel: Das Landgericht führte hilfsweise aus, dass es selbst bei Annahme einer verminderten Steuerungsfähigkeit wegen der selbstverschuldeten Trunkenheit und des Vorstrafenregisters von einer Strafmilderung absehen würde.
Psychodiagnostische Kriterien
Psychodiagnostische Kriterien sind die beobachtbaren Verhaltensweisen und Handlungsmerkmale des Täters, die Juristen heranziehen, um auf dessen geistigen und körperlichen Zustand zum Tatzeitpunkt zu schließen. Richter wenden diese Kriterien an, wenn die Berechnung des Blutalkoholwerts (BAK) aufgrund ungenauer Angaben unmöglich wird und sie dennoch die Steuerungsfähigkeit beurteilen müssen. Der Fokus liegt dabei auf der körperlichen Handlungskompetenz und der situativen Orientierung.
Beispiel: Die Richter nutzten psychodiagnostische Kriterien wie die Fähigkeit, über die Autos zu klettern und den Atemalkoholtest bewusst zu verweigern, um die Rest-Steuerungsfähigkeit des Angeklagten festzustellen.
Steuerungsfähigkeit
Die Steuerungsfähigkeit beschreibt im Strafrecht die Fähigkeit eines Täters, sein Handeln gemäß der Einsicht in das Unrecht der Tat kontrollieren und steuern zu können. Juristen prüfen diesen Zustand, um festzustellen, ob ein Täter trotz Rauschzustand noch in der Lage war, die Tat zu vermeiden. Ist diese Fähigkeit erheblich vermindert, kann das Gericht die Strafe nach § 21 StGB mildern.
Beispiel: Der Angeklagte argumentierte in seiner Revision, der kombinierte Konsum von Alkohol und dem Medikament Pregabalin habe seine Steuerungsfähigkeit stark vermindert.
Urteilsfremder Vortrag
Juristen bezeichnen eine Behauptung als urteilsfremden Vortrag, wenn sie in einem höheren Rechtszug (wie der Revision) vorgebracht wird, aber nicht Bestandteil des Tatsachenmaterials war, das die Vorinstanz für ihr Urteil festgestellt hat. Das Gesetz verbietet eine solche Einführung neuer Fakten, da das Revisionsgericht ausschließlich prüft, ob das Urteil der Vorinstanz juristisch fehlerfrei ist. Dies wahrt die Zuständigkeit der Tatsacheninstanzen (Amtsgericht, Landgericht).
Beispiel: Die spätere Präzisierung des Alkoholkonsums auf „mindestens eine halbe Flasche“ wies das BayObLG als unzulässigen urteilsfremden Vortrag zurück, da diese Angabe in der Hauptverhandlung nicht gefallen war.
Das vorliegende Urteil
BayObLG – Az.: 202 StRR 111/20 – Urteil vom 15.01.2021
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