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Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum – Menge

OLG Frankfurt – Az.: 2 Ss 12/18 – Urteil vom 05.06.2018

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts – Schöffengericht – Marburg zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht Marburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 03. August 2017 von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf der unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge aus rechtlichen Gründen freigesprochen.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war der heute 5X-jährige Angeklagte im Dezember 1983 als Fußgänger von einem PKW erfasst worden. Durch den Unfall hatte er unter anderem Trümmerfrakturen an beiden Beinen und ein gedecktes Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Zudem wurde bei ihm ein linksseitiges Lungenödem diagnostiziert. In der Folgezeit musste er sich bis Ende der 1990-er Jahre zahlreichen orthopädischen Operationen unterziehen. Gleichwohl stellten sich bei ihm aufgrund von Fehlverheilungen im Hüft- und Kniebereich eine nicht mehr behebbare Fehlstellung mit dauerhafter Arthrose sowie eine Verkürzung des linken Beins ein. Als weitere Unfallfolge kam es bei ihm zu einer starken Schmerzsymptomatik, die über Jahre hinweg konservativ medikamentös behandelt wurde. Im Jahre 2011 wurde bei dem Angeklagten ein sog. Schuppenflechtenrheuma (…) festgestellt. Die ihm deswegen verabreichte Rheumamedikation führte zu einer staken Schwellung im Bereich der linken Achselhöhle, die im August 2014 als Lymphom diagnostiziert wurde. In der Folgezeit unterzog sich der Angeklagte wegen des Lymphoms einer Chemo- und Bestrahlungsbehandlung, die wiederum zusätzlich zu Wirbelsäulenproblemen führten. Für den Angeklagten stellt sich die Schmerzbelastung seither als „Mix“ in den Faszien, orthopädische Vorschäden sowie starken Hautproblemen im Bereich von Händen, Schultern und Hüften verbunden mit wiederkehrenden Aufreißen der Haut an den Händen dar, was letztlich einen dauerhaften Schmerz bei jedweder Bewegung hervorruft.

Aufgrund der sich stetig verstärkenden Schmerzproblematik begann sich der Angeklagte bereits ab dem Jahr 2004 über alternative Behandlungsmethoden zu informieren und stieß hierbei auf Cannabis und dessen Wirkstoff THC. Anfang des Jahres 2015 führte ein spezieller Schmerztherapeut bei dem Angeklagten einen Therapieversuch mit Dronabinol (Wirkstoff THC) durch und bescheinigte dem Angeklagten, dass er eine Therapie mit einem Cannabinoid für notwendig erachte. Den Antrag des Angeklagten auf Übernahme der (erheblichen) Kosten für eine solche Schmerzbehandlung lehnte seine Krankenkasse im April 2015 ab. Daraufhin entschloss sich der Angeklagte, selbst Cannabis anzubauen und erwarb in Umsetzung seines Vorhabens noch im April 2015 Samen vom Cannabispflanzen, die er sodann auf seinem Grundstück aussäte, ohne zu diesem Zeitpunkt im Besitz einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nach § 3 BtMG zu sein. Im Zeitraum des Pflanzenwuchses verschaffte sich der Angeklagte zur Linderung seiner Schmerzen immer wieder Cannabis auf dem Drogenmarkt, wobei er dies im Umfang von 3-4 Gramm je Tag mittels einer Cannabismühle zerrieb und sodann inhalierte.

Am 12. August 2015 wurden anlässlich einer Durchsuchungsmaßnahme von der Polizei auf dem Grundstück des Angeklagten 13 Cannabispflanzen sichergestellt. Das sodann getrocknete Blattwerk hatte ein Gesamtgewicht von 1052,60 Gramm und wies einen Wirkstoffgehalt von 1,2 % (=12,6 Gramm) auf.

Nach den Ausführungen des amtsgerichtlichen Urteils habe der Angeklagte zwar entgegen der Anklage nicht den Tatbestand des Herstellens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erfüllt, sondern habe den Unrechtstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 BtMG (Besitz) verwirklicht. Das in Rede stehende Handeln des Angeklagten sei aber durch Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt. Denn nach Überwindung seiner Erkrankung an Lymphdrüsenkrebs im Jahre 2014 als Folge langjähriger „konservativer“ Schmerz- und Rheumamedikation habe für die Gesundheit des Angeklagten, die auch beim Fortbestehen einer pathologischen Gesundheitsbeeinträchtigung vorliege, eine gegenwärtige Gefahr bestanden. Darüber hinaus sei das Vorgehen des Angeklagten auch von einem Rettungswillen als subjektivem Rechtfertigungselement getragen.

Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum - Menge
(Symbolfoto: Von bondgrunge/Shutterstock.com)

Gegen dieses amtsgerichtliche Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer (Sprung-)Revision. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Die Revision ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und ebenso begründet worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten zu Unrecht freigesprochen.

Zwar liegt – wie das Amtsgericht zutreffend ausführt – in dem Anbau der 13 Cannabispflanzen kein Herstellen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; vielmehr stellt sich dieses Verhalten des Angeklagten als unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge dar (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 14 ff).

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts war das Verhalten des Angeklagten nicht gemäß § 34 StGB gerechtfertigt.

Insoweit hat die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt in ihrer Zuschrift vom 26. Januar 2018 unter anderem wie folgt ausgeführt:

„Zwar sah sich der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung einer gegenwärtigen Gefahr für seine Gesundheit ausgesetzt. Diese Gefahr konnte aber auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen anders als durch den unerlaubten Besitz von Cannabis im Kilogrammbereich abgewendet werden. Ob die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut anders als durch die Vornahme der straftatbestandsmäßigen Handlung abgewendet werden kann, bestimmt sich anhand der Erforderlichkeit der Notstandshandlung. Die Notstandshandlung muss unter den konkreten Umständen des Einzelfalles zum Schutz des Erhaltungsguts nicht nur geeignet sein, es darf darüber hinaus auch kein milderes, gleichermaßen geeignetes Mittel vorhanden sein. Der unerlaubte Umgang mit Betäubungsmitteln zum Zweck der Eigenbehandlung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nicht im Sinne des § 34 StGB erforderlich, wenn die Lösung der Konfliktlage zwischen dem Erhaltungsgut und dem Eingriffsgut innerhalb des Rechtsregimes des Betäubungsmittelrechts gefunden werden kann, weil die Möglichkeit einer Erlaubnis des Einsatzes zur Selbstmedikation gemäß § 3 Abs. 2 BtMG besteht (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 – 1 StR 613/15, NJW 2016, 2818 Rn. 13). Dabei kommt es darauf, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis konkret vorlagen und zu welchem Ergebnis das Genehmigungsverfahren geführt hätte, nicht an. Denn das Betäubungsmittelgesetz nimmt eine abschließende Bewertung für den zulässigen Umgang mit Betäubungsmitteln vor, die den Zugriff auf § 34 StGB im Grundsatz ausschließt, auch wenn ein ansonsten unerlaubter Umgang mit erfassten Stoffen zu therapeutischen Zwecken erfolgt (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2015 – 1 StR 613/15, aaO, Rn. 14; BGH, Urteil vom 13. September 2017 – 2 StR 238/16 -, Rn. 22-24, juris; Hervorhebung durch Unterzeichner).

Auf das (zwischenzeitlich durch die Neuregelung der Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit von Cannabisarzneimitteln durch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtliche und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 (BGBl. I, 403) überholte) Erfordernis der Durchführung des Genehmigungsverfahrens nach § 3 Abs. 2 BtMG kommt es in der vorliegenden Konstellation nicht an. Eine Rechtfertigung der Tat scheidet vielmehr schon im Hinblick auf die festgestellte Menge des vom Angeklagten besessenen Cannabis aus (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2017 – 2 StR 238/16 -, Rn. 25, juris).

Unter dem Gesichtspunkt der geringstmöglichen Aufopferung des Eingriffsguts kommt nämlich bereits der Betäubungsmittelmenge entscheidende Bedeutung zu. Der Besitz von Cannabis kann nach § 34 StGB überhaupt nur in dem Umfang gerechtfertigt sein, der für den Konsum zur Linderung der Gesundheitsbeeinträchtigungen erforderlich ist (OLG Karlsruhe, NJW 2004, 3645, 3646 ; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., BtMG § 29 Teil 13 Rn. 62). Da Sinn und Zweck der Strafandrohung für den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln im Vergleich zum straflosen Konsum gerade darin bestehen, dass die Vorratshaltung die abstrakte Gefahr der Weitergabe an Dritte in sich birgt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 1996 – 3 StR 355/96, NStZ-RR 1997, 49, 50), scheidet eine Rechtfertigung jedenfalls im vorliegenden Fall aus. Bezogen auf den vom Amtsgericht zum Tatzeitpunkt festgestellten Tageskonsum von 3 bis 4 Gramm Cannabis täglich (UA S. 9) verfügte der Angeklagte über eine Menge (vgl. UA S. 17), die bei 4 Gramm täglich für 263 Tage und bei 3 Gramm täglich für 350 Tage ausgereicht und seinen Bedarf damit für fast ein Jahr gedeckt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2017 – 2 StR 238/16-, Rn. 26, juris; Hervorhebung durch Unterzeichner).

Aus vorgenannten Gründen (s. Hervorhebungen) scheidet auch ein Freispruch wegen teleologischer Reduktion der Normen der §§ 29 ff. BtMG, wie es der Verteidiger in der Gegenerklärung unter V. ausführt, vorliegend aus.“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts – Schöffengericht – Marburg zurückzuverweisen.

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