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Anordnung Wohnungsdurchsuchung zur Durchsetzung der Beschlagnahme eines Führerscheins

AG Göppingen – Az.: 9 Gs 21/11 – Beschluss vom 11.10.2011

Gründe

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 22.12.2010 ordnete die Bußgeldstelle des Landratsamtes Göppingen gegen den Betroffenen wegen einer am 26.10.2010 um 12:45 Uhr in …, Ordnungswidrigkeit nach den §§ 41, 49 StVO, 24, 25 StVG (Überschreiten der außerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 48 km/h) neben einer Geldbuße von 190,00 Euro ein Fahrverbot von einem Monat an. Da in den zwei Jahren vor der Ordnungswidrigkeit ein Fahrverbot gegen den Betroffenen nicht verhängt worden ist und auch bis zur Bußgeldentscheidung ein Fahrverbot nicht verhängt wurde, wurde dem Betroffenen gemäß § 25 Abs. 2a StVG eine Frist zur Wirksamkeit des Fahrverbotes in der Gestalt eingeräumt, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft. Der Bußgeldbescheid wurde am 12.01.2011 rechtskräftig. Die Wirksamkeit des Fahrverbotes trat daher, da der Betroffene seinen Führerschein nicht in amtliche Verwahrung gab, am 12.05.2011 ein.

Die gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 StVG gesetzlich angeordnete amtliche Verwahrung konnte bislang nicht vollzogen werden, da der Betroffene sich bis jetzt geweigert hat, den Führerschein bei der zuständigen Bußgeldstelle in Göppingen abzugeben.

Daraufhin ordnete die Bußgeldstelle des Landratsamtes Göppingen am 16.05.2011 die Beschlagnahme des Führerscheins an. Am 26.05.2011 konnte der Betroffene von zwei Polizeibeamten in seiner Wohnung angetroffen werden. Er gab an, den Führerschein verloren zu haben. Dies wäre der Führerscheinstelle des Landratsamtes Göppingen bereits vor acht bis zehn Tagen gemeldet worden. Am 31.05.2011 teilte die Führerscheinstelle des Landratsamtes Göppingen mit, dass keine Verlustmeldung eingegangen sei. Auch zum 06.07.2011 hatte der Betroffene weder einen Ersatzführerschein beantragt noch eine Verlustmeldung aufgegeben.

Mit Schreiben vom 07.07.2011 wurde der Betroffene von der Bußgeldstelle des Landratsamtes Göppingen aufgefordert sich umgehend mit der Bußgeldstelle in Verbindung zu setzen. Am 08.07.2011 meldete sich der Betroffene telefonisch und wiederholte, dass er seinen Führerschein verloren habe. Er sagte zu, dass er bis spätestens 11.07.2011 die notwendigen Meldungen und Anträge stellen werde. Die vorläufige Fahrerlaubnis wolle er dann in Verwahrung geben. Ein Versuch zur Beantragung einer neuen Fahrerlaubnis sowie einer vorläufigen Fahrerlaubnis am 11.07.2011 durch den Betroffenen blieb, da der Betroffene keine Ausweispapiere bei sich führte, erfolglos.

Da auch in der Folgezeit nichts geschah und der Betroffene auf Telefonanrufe nicht reagierte, wurde dieser mit Schreiben vom 21.07.2011 auf den 26.07.2011 geladen. Dem kam er nicht nach. Bis zum 27.09.2011 war der Betroffene weder zu erreichen noch beantragte er einen neuen Führerschein. Das auf den Betroffenen gemeldete Fahrzeug wurde des Öfteren an bzw. bei der Wohnanschrift des Betroffenen angetroffen. Dabei wurde das Fahrzeug regelmäßig bewegt.

Die Bußgeldstelle des Landratsamtes Göppingen beantragte daraufhin am 05.10.2011 beim Amtsgericht Göppingen gemäß § 25 Abs. 2 Satz 4 StVG den Erlass eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses.

II.

Dem Antrag war stattzugeben und den begehrten Beschluss zu erlassen.

Entgegen einer Mindermeinung steht in Gestalt von § 25 Abs. 2 S. 4, Abs. 4 S. 1 StVG eine den verfassungsrechtlichen Vorgaben – insbesondere dem Gesetzesvorbehalt sowie dem Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG – entsprechende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die richterliche Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung beim Betroffenen zur Auffindung eines beschlagnahmten Führerscheins bei der Vollstreckung eines verwaltungsbehördlich verhängten Fahrverbots zur Verfügung (vgl. LG Lüneburg, DAR 2011, 275; LG Berlin, NZV 2006, 385; LG Limburg, BA 2004, 546; AG Berlin-Tiergarten, NZV 1996, 506; AG Leipzig, NZV 1999, 308; AG Karlsruhe, DAR 1999, 568; Göhler, 15. Auflage 2009, § 90 OWiG, Rn. 12 a, 29; Meyer- Goßner, 52. Auflage 2009, § 463 b StPO, Rn. 1; KK/ OWiG- Boujong, 2. Auflage 2000, § 90 OWiG, Rn. 22; Burhoff/ Gübner, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi- Verfahren, 2005, Rn. 1005; Krumm, Das Fahrverbot in Bußgeldsachen, 1. Aufl. 2006, S. 176; Waechter, NZV 1999, 273; Hentschel, NZV 1996, 507; Deutscher, NZV 2000, 105.) Nach Maßgabe des § 25 Abs. 2 S. 4 StVG ist der Führerschein des Betroffenen im Falle eines Fahrverbots zu beschlagnahmen, wenn er nicht freiwillig zum Zwecke der amtlichen Verwahrung herausgegeben wird. § 25 Abs. 4 S. 1 StVG wiederum sieht vor, dass der Betroffene auf Antrag der Vollstreckungsbehörde vor dem Amtsgericht die eidesstattliche Versicherung abzugeben hat, wenn der beschlagnahmte Führerschein bei dem Betroffenen nicht vorgefunden wird. Diese beiden Vorschriften stellen daher in ihrer Zusammenschau eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für eine richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung im Falle eines durch die Verwaltungsbehörde in einem rechtskräftigen Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbots i. S. d. § 25 Abs. 1 StVG dar. Dies ergibt sich insbesondere aus einer wörtlichen, systematischen, historischen und teleologischen Auslegung dieser Vorschriften.

In wörtlicher Hinsicht verkennt es das Gericht nicht, dass es § 25 Abs. 2 S. 4, Abs. 4 S. 1 StVG an der ausdrücklichen Anordnung einer richterlichen Zuständigkeit für die Entscheidung über eine derartige Wohnungsdurchsuchung ersichtlich mangelt. Hieraus den Schluss zu ziehen, dass die Vorschriften nur die Durchsuchung der Person des Betroffenen gestatten, wäre jedoch verfehlt. Denn zum einen hat das BVerfG bereits mehrfach entschieden, dass vergleichbare Vollstreckungsvorschriften, die einer ausdrücklichen richterlichen Entscheidungsanordnung zur Wohnungsdurchsuchung entbehren, von Verfassungswegen unmittelbar um eine entsprechende richterliche Anordnungszuständigkeit zu ergänzen sind (vgl. BVerfGE 51, 91; 57, 346.). Die zu konstatierende Unvollständigkeit des Wortlauts des § 25 Abs. 2 S. 4, Abs. 4 S. 1 StVG im Hinblick auf richterliche Anordnungen zur Wohnungsdurchsuchung lässt daher keinen zwingenden Schluss auf den Regelungsgehalt der Vorschriften zu (vgl. dazu Waechter, NZV 1999, 273). Dies vorausgesetzt, erlaubt der Wortlaut des § 25 Abs. 4 S. 1 StVG, wonach die eidesstattliche Versicherung abzugeben ist, wenn der Führerschein bei dem Betroffenen nicht vorgefunden wird, durchaus, dass hiervon eine amtliche Nachsuche sowohl bei der Person als auch in der Wohnung des Betroffenen umfasst ist.

Die Voraussetzungen der Norm sind vorliegend auch gegeben. Es liegt ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid mit Fahrverbot gegen den Betroffenen vor. Der Betroffene hat es auch versäumt seinen Führerschein binnen der eingeräumten Frist von vier Monaten ab Rechtskraft des Bußgeldbescheides bei der Bußgeldstelle in amtliche Verwahrung zu geben. Auch hat die Bußgeldstelle den Führerschein des Betroffenen mit Schreiben vom 16.05.2011 beschlagnahmt. Mildere Mittel als eine Durchsuchung sind überdies nicht ersichtlich bzw. erfolgversprechend. So hat die Verwaltungsbehörde in ihrer Rolle als gemäß § 92 OWiG zuständige Vollstreckungsbehörde zuvor alle ihr zur Verfügung stehenden milderen Mittel ausgeschöpft um das Führerscheindokument des Betroffenen in amtliche Verwahrung zu nehmen. Sie hat insbesondere den Betroffenen aufgefordert, das Dokument freiwillig herauszugeben, sodann die Beschlagnahme angeordnet und auch die Beschlagnahme erfolglos durch die Polizei zu vollstrecken versucht. An einer Wohnungsdurchsuchung, die der Betroffene jederzeit durch freiwillige Herausgabe seines Führerscheins abwenden kann, führt daher nunmehr kein Weg vorbei.

Hieran vermag auch der Vortrag des Betroffenen, er habe den Führerschein verloren, nichts zu ändern. Es bestehen vorliegend erhebliche Zweifel daran, ob dieser Vortrag tatsächlich der Wahrheit entspricht. So hat der Betroffene, abgesehen von einem untauglichen Versuch am 11.07.2011, weder seinen Führerschein als verloren gemeldet noch einen neuen Führerschein beantragt. Auch reagierte der Betroffene in den vergangenen Monaten weder auf Anrufe noch schriftliche Nachfragen. Zusagen des Betroffenen wurden konsequent nicht eingehalten. Hinzu kommt, dass das Fahrzeug des Betroffenen, nach Angaben der örtlichen Polizei, bewegt wird. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass der Betroffene seinen Führerschein nicht wie von ihm angegeben verloren hat, sondern weiterhin im Besitz des Führerscheins ist.

Die Durchsuchung ist auch verhältnismäßig. Hierbei ist in der vorliegenden Konstellation zunächst zu beachten, dass die Verhängung eines Fahrverbots nach § 25 StVG ohnehin nur im Falle einer groben und beharrlichen Verletzungen der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in Frage kommt, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass allein aufgrund einer Verkehrsbagatelle die Wohnung des Betroffenen durchsucht wird (so auch: LG Berlin, NZV 2006, 385). Es muss jedoch im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Verfahrensumstände geprüft werden, ob es der Betroffene tatsächlich bislang verweigert hat, den Führerschein freiwillig in amtliche Verwahrung zu geben und ob erfolglos versucht wurde, ihn dazu zu bewegen (vgl. LG Lüneburg, DAR 2011, 275.). Dies ist hier auch der Fall. Der Betroffene hat seinen Führerschein nicht freiwillig in amtliche Verwahrung gegeben. Auch hat er nicht die weiteren notwendigen Schritte unternommen, um seinen Vortrag der Verlustigkeit glaubhaft zu machen. So hat der Betroffene weder eine Verlustmeldung abgegeben noch einen neuen Führerschein beantragt. Demgegenüber hat die Bußgeldbehörde schriftlich, telefonisch und persönlich versucht Kontakt mit dem Betroffenen aufzunehmen, den Führerschein beschlagnahmt und dem Betroffenen mehrfach Fristen eingeräumt um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Dies alles blieb mangels Mitwirkung des Betroffenen erfolglos.

Auch der mögliche Einwand, dass der Betroffene, der die freiwillige Herausgabe des Führerscheins verweigert, sich bereits dadurch quasi selbst bestraft, weil er gem. § 25 Abs. 5 S. 1 StVG ein „Dauerfahrverbot“ auslöst und während der gesamten Zeit, in der er weiterhin im Besitz des Führerscheins bleibt, gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbewährt keinerlei Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr führen darf (so etwa AG Berlin-Tiergarten, NZV 1996, 506; AG Leipzig, NZV 1999, 308) trägt nicht. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der sich auf diese Weise verhaltende Betroffene bei lebensnaher Betrachtung wohl stets nur durch Zufall von der Polizei des Fahrens ohne Fahrerlaubnis überführt werden wird. Schließlich wird er bei jeder Straßenverkehrskontrolle ein Führerscheindokument vorweisen können, ohne dass für die Polizeibeamten im Einzelfall ein Anlass bestehen wird, das Vorliegen eines Fahrverbots durch weitere Überprüfung festzustellen (so auch LG Berlin, NZV 2006, 385). Mithin gebietet die Vermeidung des Missbrauchs beschlagnahmter, aber bei den Betroffenen verbliebener Führerscheine die hier vertretene Betrachtungsweise (so auch LG Lüneburg, DAR 2011, 275.).

Abschließend muss im Rahmen der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden, dass es der betroffenen Person in jedem Einzelfall unbenommen bleibt, der Wohnungsdurchsuchung durch eine freiwillige Herausgabe des Führerscheins zuvorzukommen, soweit sich das Dokument noch in ihrem Besitz befindet. Sollte dies nicht der Fall sein, so kann der Betroffene die Durchsuchung durch Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung im Sinne von § 25 Abs. 4 Satz 1 StVG abwenden.

Da eine taugliche Ermächtigungsgrundlage vorliegt, die Voraussetzungen gegeben sind und die Maßnahme verhältnismäßig ist, war die Durchsuchung bei dem Betroffenen zur Durchsetzung der Beschlagnahme des Führerscheins auszusprechen.

Einer vorherigen Anhörung des Betroffenen im Vollstreckungsverfahren bedurfte es nicht, da eine solche den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (vgl. Göhler, 15. Aufl. 2009, § 90 OWiG, Rn. 12 a.).

 

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