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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Krankheit: Wann reicht ein Attest?

Ein Angeklagter versäumte seine Berufungsverhandlung wegen Gürtelrose und 38,7 °C Fieber und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Krankheit. Die Richter mussten entscheiden, ob schwere Schreibfehler das Attest ungültig machen, das 38,7 Grad Fieber und Gürtelrose als Verhandlungshindernis belegte.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Ws 11/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Kammergericht Berlin
  • Datum: 04.04.2025
  • Aktenzeichen: 3 Ws 11/25 – 161 GWs 41/25
  • Verfahren: Sofortige Beschwerde
  • Rechtsbereiche: Strafprozessrecht, Verhandlungsunfähigkeit

  • Das Problem: Eine Angeklagte fehlte wegen Gürtelrose und Fieber bei einem Berufungstermin. Das Landgericht lehnte ihre ärztliche Entschuldigung ab und verwarf daher ihre Berufung.
  • Die Rechtsfrage: Muss das Gericht eine Berufung wieder zulassen, wenn die Angeklagte wegen einer akuten Krankheit unverschuldet nicht zum Termin erscheinen konnte?
  • Die Antwort: Ja. Das Gericht muss die Berufung wieder zulassen, da ein zeitnahes Attest mit gemessenem Fieber und Diagnose die Unzumutbarkeit der Teilnahme beweist.
  • Die Bedeutung: Ein objektiver medizinischer Befund, der eine Verhandlungsunfähigkeit belegt, muss anerkannt werden. Formale oder orthografische Mängel in den ärztlichen Unterlagen dürfen die Entschuldigung dafür nicht grundsätzlich entkräften.

Kann ein ärztliches Attest mit Schreibfehlern eine Verhandlungsunfähigkeit beweisen?

Ein ärztliches Attest soll Klarheit schaffen, doch was passiert, wenn es selbst Fragen aufwirft? Wenn Diagnosen handschriftlich gekritzelt sind und die Rechtschreibung zweifeln lässt? Genau vor dieser Frage stand eine Angeklagte, deren Berufung verworfen wurde, weil sie krankheitsbedingt nicht vor Gericht erschien.

Nahaufnahme eines ärztlichen Protokolls mit kritisch gehaltener, fehlerhafter Handschrift, die einen Rechtschreibfehler in der Diagnose zeigt.
Gerichte prüfen Atteste streng: Formale Fehler können im Strafprozess zur Berufungsverwerfung führen. | Symbolbild: KI

Ihr Fall, der schließlich vor dem 3. Strafsenat des Kammergerichts Berlin landete, beleuchtet eine grundlegende Spannung im Strafprozessrecht: Wie viel formale Perfektion darf ein Gericht von einem Krankheitsnachweis verlangen, wenn es um die Frage geht, ob jemand unverschuldet einen Termin versäumt hat? Der Beschluss des Gerichts vom 4. April 2025 (Az.: 3 Ws 11/25 – 161 GWs 41/25) liefert eine bemerkenswert klare Antwort darauf, was wirklich zählt – der medizinische Befund oder der makellose Beleg.

Was war genau geschehen?

Die Geschichte beginnt mit einer Verurteilung durch das Amtsgericht Tiergarten. Eine Frau wurde wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Sie akzeptierte das Urteil nicht und legte Berufung ein. Das Landgericht Berlin I terminierte die entscheidende Verhandlung auf den 5. März 2025 um 9:30 Uhr.

Doch an diesem Morgen blieb der Platz der Angeklagten leer. Stattdessen ging um 6:52 Uhr ein Schreiben ihres Verteidigers beim Gericht ein. Die Nachricht war dringlich: Die Angeklagte leide an einer Gürtelrose (Herpes Zoster), verbunden mit starken Schmerzen, Fieber und Abgeschlagenheit. Sie könne nicht erscheinen. Als Beleg fügte der Anwalt ein ärztliches „Besuchsprotokoll“ von Ende Februar bei, das „starke Herpes am Geses[s]“ bescheinigte.

Das Landgericht zeigte sich unbeeindruckt. Es lehnte den Antrag auf Terminverlegung ab und fällte noch am selben Tag ein sogenanntes Verwerfungsurteil gemäß § 329 der Strafprozessordnung (StPO). Dieses Gesetz sieht vor, dass die Berufung eines Angeklagten ohne weitere Prüfung der Sachlage verworfen wird, wenn dieser ohne ausreichende Entschuldigung nicht zum Termin erscheint.

Drei Tage später unternahm die Angeklagte einen neuen Versuch. Sie beantragte „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“. Dies ist ein rechtlicher Rettungsanker für Personen, die eine Frist oder einen Termin unverschuldet versäumt haben. Diesem Antrag fügte sie ein weiteres ärztliches Dokument bei – ein Besuchsprotokoll vom Morgen des Verhandlungstages selbst. Ein Allgemeinmediziner hatte sie zwischen 7:30 Uhr und 8:50 Uhr untersucht und eine Körpertemperatur von 38,7 °C gemessen. Das Protokoll enthielt die Diagnose „Herpes Zoster“ sowie handschriftliche Notizen über Schmerzen im Lendenwirbelbereich und einen „blasigen Ausschlag“.

Doch auch dies überzeugte das Landgericht nicht. Mit Beschluss vom 13. März 2025 wies es den Antrag zurück. Die Begründung war scharf: Das Protokoll sei kaum lesbar und enthalte keine verbindliche Diagnose. Zudem sei der Arztbesuch um 8:50 Uhr beendet gewesen. Danach, so das Gericht, hätte die Angeklagte offenkundig die Möglichkeit gehabt, ihr Ausbleiben noch rechtzeitig und ausreichend zu entschuldigen. Die Angeklagte ließ nicht locker und legte gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde beim Kammergericht ein.

Welche rechtlichen Maßstäbe gelten für eine Wiedereinsetzung?

Im Zentrum dieses Falles stehen zwei zentrale Instrumente des Strafprozessrechts. Das erste ist das bereits erwähnte Verwerfungsurteil nach § 329 StPO. Es ist eine harte, aber effiziente Regelung, um Verfahren zu beschleunigen und zu verhindern, dass Angeklagte durch bloßes Fernbleiben die Justiz blockieren.

Das zweite, entscheidende Instrument ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, geregelt in den §§ 44 und 45 StPO. Dieser Mechanismus korrigiert eine übermäßige Härte. Er besagt: Wer ohne Verschulden daran gehindert war, eine Frist oder einen Termin einzuhalten, dem muss die Möglichkeit gegeben werden, das Versäumte nachzuholen. Der Schlüsselbegriff hier ist „ohne Verschulden“. Ein Angeklagter muss also glaubhaft machen, dass objektive Gründe vorlagen, die ihm die Teilnahme am Termin unmöglich oder unzumutbar machten. Eine plötzliche, schwere Erkrankung ist der klassische Fall eines solchen unverschuldeten Hindernisses. Die Beweislast dafür liegt beim Antragsteller – in diesem Fall bei der Angeklagten.

Warum gab das Kammergericht der Angeklagten Recht?

Das Kammergericht hob die Entscheidung des Landgerichts auf und gewährte der Frau die Wiedereinsetzung. Ihre Berufung wird nun also doch noch inhaltlich verhandelt. Die Richter des Kammergerichts zerlegten die Argumentation der Vorinstanz Punkt für Punkt und stellten dabei grundlegende Prinzipien klar.

Warum das Attest trotz Mängeln als ausreichend galt

Das Landgericht hatte sich stark an den formalen Schwächen der ärztlichen Protokolle gestoßen – der schlechten Lesbarkeit, den orthografischen Fehlern und der angeblich fehlenden Diagnose. Das Kammergericht sah dies fundamental anders. Für die Richter war nicht die äußere Form, sondern der medizinische Kern des Attests vom 5. März entscheidend.

Dieses Dokument enthielt zwei harte Fakten: die Diagnose „Herpes Zoster“ und eine gemessene Körpertemperatur von 38,7 °C. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein zeitnah zum Termin ausgestelltes ärztliches Attest, das Art und Schwere der Erkrankung benennt, grundsätzlich geeignet, eine Verhandlungsunfähigkeit zu belegen. Das Kammergericht stellte fest, dass eine akute Gürtelrose eine äußerst schmerzhafte Erkrankung ist. In Kombination mit Fieber von 38,7 °C sei die Annahme, dass die Teilnahme an einer mehrstündigen Gerichtsverhandlung unzumutbar ist, mehr als naheliegend.

Die vom Landgericht geäußerten Zweifel aufgrund der Schreibfehler wies das Kammergericht als nicht tragfähig zurück. Aus orthografischen Mängeln könne man nicht ohne Weiteres auf eine mangelnde Qualifikation des Arztes oder gar auf eine Fälschung des Attests schließen. Solche weitreichenden Folgerungen bedürften konkreter Anhaltspunkte, die das Landgericht aber nicht benannt hatte.

Objektiv verhindert oder nur schlecht entschuldigt? Der entscheidende Unterschied

Der zweite zentrale Punkt, in dem das Kammergericht dem Landgericht widersprach, betraf die Argumentation, die Angeklagte hätte sich nach ihrem Arztbesuch um 8:50 Uhr noch beim Gericht melden können. Hier arbeitete das Gericht einen feinen, aber entscheidenden juristischen Unterschied heraus.

Für eine Wiedereinsetzung nach § 44 StPO kommt es einzig und allein auf die Frage an, ob der Angeklagte objektiv und ohne Verschulden am Erscheinen gehindert war. Die Frage ist also: War die Frau um 9:30 Uhr so krank, dass sie nicht verhandlungsfähig war?

Die Frage, ob sie sich darüber hinaus auch ausreichend entschuldigt hat, also alle Kommunikationswege genutzt hat, um das Gericht rechtzeitig zu informieren, ist eine andere. Das Landgericht hatte diese beiden Ebenen vermischt. Es argumentierte, weil die Frau nach 8:50 Uhr theoretisch noch hätte anrufen können, sei ihr Fehlen verschuldet.

Das Kammergericht stellte klar, dass dies der falsche Maßstab ist. Die objektive, krankheitsbedingte Verhinderung bestand bereits. Ob sie ihre Situation nach dem Arztbesuch besser hätte kommunizieren können, ändert nichts an der Tatsache, dass sie zu krank für die Verhandlung war. Das Wiedereinsetzungsverfahren soll denjenigen schützen, der objektiv verhindert ist, nicht nur denjenigen, der seine Verhinderung perfekt kommuniziert.

Warum die Zweifel des Landgerichts nicht ausreichten

Letztlich basierte die Ablehnung durch das Landgericht auf einem generellen Misstrauen gegenüber den vorgelegten Belegen. Das Kammergericht machte jedoch deutlich, dass richterliche Zweifel auf einer soliden Grundlage stehen müssen. Ein Gericht kann ein ärztliches Attest nicht einfach deshalb zurückweisen, weil es unprofessionell wirkt oder Fragen aufwirft.

Wenn ein Gericht die Echtheit oder die inhaltliche Richtigkeit eines Attests ernsthaft infrage stellt, muss es diesen Zweifeln nachgehen – etwa durch eine Nachfrage beim ausstellenden Arzt oder durch die Anforderung weiterer Unterlagen. Pauschale Zweifel, die sich lediglich auf schlechte Lesbarkeit oder Rechtschreibfehler stützen, reichen nicht aus, um die glaubhaft gemachte Erkrankung zu widerlegen. Da das Landgericht keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Fälschung oder inhaltliche Unrichtigkeit des Attests vorbrachte, musste das Kammergericht von dessen Gültigkeit ausgehen. Die Angeklagte galt somit als ohne Verschulden verhindert.

Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?

Dieser Beschluss des Kammergerichts ist mehr als nur die Korrektur einer Einzelfallentscheidung. Er schärft den Blick für grundlegende Prinzipien, die das Verhältnis zwischen Bürgern und Justiz prägen, insbesondere wenn unvorhergesehene Lebensumstände wie eine Krankheit ins Spiel kommen.

Die erste zentrale Lehre lautet: Inhalt wiegt schwerer als Form. Ein Gericht darf sich bei der Bewertung eines Krankheitsnachweises nicht allein von dessen äußerem Erscheinungsbild leiten lassen. Ein ärztliches Attest ist kein juristischer Schriftsatz und muss keinen Schönheitswettbewerb gewinnen. Solange es die entscheidenden medizinischen Fakten – wie hier eine konkrete Diagnose und objektiv messbare Symptome wie Fieber – plausibel darlegt, erfüllt es seinen Zweck. Formale Mängel können zwar Anlass für Nachfragen sein, dürfen aber nicht per se zur Ungültigkeit des Nachweises führen.

Die zweite wichtige Erkenntnis betrifft den Fokus auf das unverschuldete Hindernis. Das Verfahren der Wiedereinsetzung schützt die materielle Gerechtigkeit. Es stellt sicher, dass niemand seine Rechte verliert, weil er durch Umstände, die er nicht zu vertreten hat, an der Wahrnehmung eines Termins gehindert war. Die Entscheidung des Kammergerichts betont, dass die Kernprüfung darauf abzielt, ob ein solches objektives Hindernis vorlag. Die Frage, ob die Kommunikation über dieses Hindernis optimal verlief, ist davon zu trennen und darf die objektive Entschuldigungslage nicht überschatten. Eine schwere Erkrankung bleibt eine schwere Erkrankung, auch wenn die Mitteilung darüber an das Gericht verspätet oder unvollkommen erfolgt.

Die Urteilslogik

Die Justiz muss die materielle Gerechtigkeit schützen und darf die Rechte eines Angeklagten nicht aufgrund formaler oder orthografischer Mängel eines Krankheitsnachweises beschneiden.

  • Medizinischer Inhalt über Formularfehler: Die Glaubhaftigkeit eines ärztlichen Nachweises beurteilt sich primär nach den dargelegten medizinischen Fakten (konkrete Diagnose, objektiv messbare Symptome) und nicht nach seiner äußeren Ästhetik oder formalen Mängeln wie schlechter Lesbarkeit oder Schreibfehlern.
  • Trennung von Verhinderung und Mitteilungspflicht: Bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist entscheidend, ob der Betroffene objektiv und unverschuldet am Erscheinen gehindert war; die Frage, ob die Kommunikation über dieses Hindernis optimal oder rechtzeitig erfolgte, ist von der tatsächlichen Verhandlungsunfähigkeit strikt zu trennen.
  • Ausschließende Funktion pauschaler Zweifel: Ein Gericht kann ein Attest nicht pauschal ablehnen, weil es Misstrauen erregt; ernsthafte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit oder Echtheit eines Nachweises erfordern konkrete Anhaltspunkte und müssen durch aktive Aufklärungsmaßnahmen (z.B. Rückfrage beim Arzt) begründet werden.

Die objektive, unverschuldete Verhinderung durch Krankheit stellt einen Rechtsschutzgrund dar, der gewährleistet, dass verfahrensrechtliche Härten durch die Korrekturmechanismen des Strafprozessrechts ausgeglichen werden.


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Experten Kommentar

Wer wegen Krankheit nicht zum Gerichtstermin erscheint, muss oft befürchten, dass das Attest penibel auseinandergenommen wird. Hier zieht das Kammergericht eine klare rote Linie: Der medizinische Kern – akute Erkrankung und Fieber – schlägt schlechte Handschrift oder Schreibfehler konsequent aus. Das Gericht trennt dabei strikt: Wenn die objektive Verhandlungsunfähigkeit nachgewiesen ist, zählt das mehr als eine perfekt getimte Mitteilung an die Geschäftsstelle. Das ist eine wichtige Beruhigung für Angeklagte im Strafverfahren: Bei der Wiedereinsetzung geht es um die tatsächliche Unmöglichkeit der Teilnahme, nicht um die Formalperfektion des ärztlichen Belegs.


Symbolische Grafik zu FAQ - Häufig gestellte Fragen aus dem Strafrecht" mit Waage der Gerechtigkeit und Gesetzbüchern im Hintergrund

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was muss ich tun, wenn meine Berufung wegen Nichterscheinens verworfen wurde?

Wenn Ihre Berufung durch ein Verwerfungsurteil nach § 329 StPO beendet wurde, weil Sie dem Termin fernblieben, ist schnelles Handeln zwingend erforderlich. Der einzige rechtliche Rettungsanker ist der formelle Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 44, 45 StPO. Sie müssen diesen Antrag sofort stellen, um Ihre Rechte nicht unwiderruflich zu verlieren. Dies ist der Weg, um zu beweisen, dass Sie die Terminversäumnis nicht verschuldet haben.

Diese Dringlichkeit ergibt sich aus der extrem kurzen Frist, die das Gesetz vorsieht. Die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung beträgt grundsätzlich nur sieben Tage und kann nicht verlängert werden. Die Frist beginnt zu laufen, sobald das Hindernis wegfällt oder Sie vom Verwerfungsurteil Kenntnis erlangt haben. Sie müssen zwingend nachweisen, dass das Versäumnis des Termins objektiv unverschuldet war. Eine schwere, plötzliche Erkrankung, die die Teilnahme unmöglich oder unzumutbar macht, ist der klassische Fall eines solchen Hindernisses.

Der Antrag muss alle notwendigen Beweise enthalten, um Ihre Verhinderung glaubhaft zu machen. Das bedeutet, Sie benötigen ein zeitnahes, detailliertes ärztliches Attest, das die Art und Schwere Ihrer Erkrankung zum Zeitpunkt der Verhandlung exakt beschreibt. Versuchen Sie nicht, die Entscheidung mit einem einfachen Entschuldigungsschreiben zu korrigieren. Der häufigste Fehler ist das Verpassen der kurzen Frist oder das Einreichen unpräziser ärztlicher Nachweise ohne spezifische Diagnose oder objektive Messwerte.

Kontaktieren Sie unverzüglich Ihren Rechtsanwalt, um die absolute Deadline für den Antrag zu berechnen, und beschaffen Sie parallel das detaillierteste ärztliche Attest.


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Wann gilt mein ärztliches Attest trotz Schreibfehlern als ausreichender Krankheitsnachweis?

Wenn Ihr ärztliches Attest Rechtschreibfehler oder schwer lesbare Handschrift aufweist, führt dies nicht automatisch zur Ungültigkeit. Gerichte legen den Fokus weniger auf die äußere Form, sondern prüfen den medizinischen Kern des Dokuments. Ein Nachweis gilt als ausreichend, solange er die Plausibilität Ihrer Verhandlungsunfähigkeit klar belegt. Die vom Gericht geforderte Glaubhaftmachung wird erreicht, wenn der Inhalt des ärztlichen Attests eine schwere Krankheit bestätigt.

Entscheidend ist stets die Schwere der Erkrankung, die Ihnen die Teilnahme am Gerichtstermin unmöglich oder unzumutbar machte. Das Dokument muss zwingend eine spezifische Diagnose (beispielsweise Herpes Zoster) nennen, nicht nur allgemeine Beschwerden. Pauschale Zweifel des Gerichts aufgrund orthografischer Mängel sind rechtlich nicht tragfähig, wenn die Diagnose nach allgemeiner Lebenserfahrung eine Verhandlungsunfähigkeit begründet. Das Gericht muss vielmehr von der Gültigkeit des Nachweises ausgehen, sofern keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fälschung vorliegen.

Gerichte verlangen zusätzlich zur Diagnose objektiv messbare Symptome. Konkret: Wenn der Arzt 38,7 °C Fieber oder einen massiven bläschenartigen Ausschlag dokumentierte, belegen diese harten Fakten die Schwere. Formfehler dürfen nur Anlass für eine Nachfrage beim ausstellenden Arzt sein, aber nicht ohne konkrete Anhaltspunkte zur pauschalen Ablehnung des ärztlichen Attests führen. Die Echtheit der medizinischen Fakten und die Schwere der Erkrankung stehen immer über der makellosen Lesbarkeit des Krankheitsnachweises.

Prüfen Sie Ihr Attest sofort auf die zwei harten Fakten: die spezifische Diagnose und die objektiv messbare Symptome, und lassen Sie diese gegebenenfalls durch den Arzt ergänzen.


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Welche Fristen gelten für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand?

Die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist extrem kurz und kann nicht verlängert werden. Nach § 44 Abs. 1 StPO haben Sie nur sieben Tage (eine Woche) Zeit, um das durch Nichterscheinen ausgelöste Verwerfungsurteil anzufechten. Weil dies eine absolute Notfrist ist, führt ihr Versäumnis unwiderruflich zum Verlust Ihres Rechtsmittels.

Der Startpunkt der Frist richtet sich nach dem Ereignis, das zuletzt eintritt: Sie beginnt am Tag, nachdem das Hindernis wegfiel, oder mit der Kenntnisnahme des Verwerfungsurteils. Ist die Krankheit überwunden, beginnt die Frist sofort zu laufen. Die juristische Praxis verlangt, dass Sie nicht auf die offizielle, schriftliche Zustellung des Beschlusses warten, da die Frist oft bereits durch eine telefonische Information über das Urteil zu laufen beginnt.

Innerhalb dieser kurzen Zeit müssen Sie die Wiedereinsetzung nicht nur beantragen, sondern auch die versäumte Handlung nachholen. Das bedeutet, dass die Begründung Ihrer Verhinderung sowie alle notwendigen Belege (wie das ärztliche Attest) zwingend beigelegt werden müssen. Im Fall des Kammergerichts unternahm die Angeklagte einen neuen Versuch, ihren Antrag bereits drei Tage nach dem Verwerfungsurteil einzureichen, wodurch sie die Frist sicher einhielt.

Notieren Sie sofort das genaue Datum, an dem Sie von Ihrer Handlungsfähigkeit oder dem Urteil erfahren haben, um mit Ihrem Anwalt die Berechnung der 7-Tage-Frist sekundengenau vorzunehmen.


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Darf das Gericht mein ärztliches Attest einfach ablehnen, wenn es Zweifel an der Lesbarkeit hat?

Nein, das Gericht darf Ihr ärztliches Attest nicht pauschal wegen schlechter Lesbarkeit oder Schreibfehlern ablehnen. Richterliche Zweifel an der Verhandlungsunfähigkeit müssen auf konkreten und belastbaren Anhaltspunkten beruhen. Das Gericht muss die Glaubhaftmachung der Erkrankung akzeptieren, sofern keine ernsthaften Verdachtsmomente für eine Fälschung vorliegen. Eine unsaubere äußere Form begründet allein noch kein Misstrauen.

Die Regel ist klar: Der medizinische Inhalt des Attests überwiegt jegliche formale Mängel. Das Kammergericht Berlin stellte in einem Fall fest, dass orthografische Mängel oder eine schlechte Handschrift kein ausreichender Grund für eine pauschale Ablehnung sind. Entscheidend sind vielmehr die benannte spezifische Diagnose und objektiv messbare Symptome, welche die Unzumutbarkeit der Verhandlungsteilnahme belegen. Der Fokus liegt auf der Art und Schwere Ihrer Krankheit, nicht auf der makellosen Form des Dokuments.

Entstehen bei einem Gericht ernsthafte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Attests, muss es diesen aktiv nachgehen. Das Gericht ist verpflichtet, eigene Ermittlungen durchzuführen, beispielsweise indem es beim ausstellenden Arzt nachfragt oder weitere Unterlagen anfordert. Es benötigt konkrete, belastbare Anhaltspunkte für eine Fälschung oder inhaltliche Unrichtigkeit, um die objektive Verhinderung des Angeklagten zu widerlegen.

Akzeptieren Sie die Ablehnung wegen formaler Mängel nicht, sondern legen Sie mit Ihrem Anwalt sofortige Beschwerde gegen den Ablehnungsbeschluss ein.


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Welche medizinischen Fakten muss mein Attest für eine glaubhafte Verhandlungsunfähigkeit zwingend enthalten?

Wenn Sie einen Gerichtstermin wegen Krankheit versäumen, genügt eine einfache Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) in der Regel nicht. Um eine glaubhafte Verhandlungsunfähigkeit nachzuweisen, verlangt die Rechtsprechung spezifische Details. Ihr ärztliches Attest muss zwingend die Art und die Schwere der Erkrankung konkret benennen. Fügen Sie außerdem objektiv messbare Symptome bei, die eine Teilnahme am Prozess unzumutbar machen.

Gerichte prüfen, ob objektive Gründe vorlagen, die eine Anwesenheit objektiv unmöglich oder unzumutbar machten (§§ 44, 45 StPO). Listen Sie daher unbedingt die spezifische Diagnose auf, beispielsweise „Herpes Zoster“ oder „akute Lungenentzündung“. Eine allgemeine Umschreibung wie „Krankheit“ oder „grippaler Infekt“ ist meist unzureichend, weil sie die nötige Schwere nicht eindeutig impliziert. Nur wenn die genaue Krankheitsbezeichnung genannt wird, kann das Gericht die Plausibilität der Verhinderung beurteilen.

Die Glaubhaftmachung erfordert zusätzlich objektive Messwerte, welche die Schwere der Erkrankung untermauern. Lassen Sie den Arzt festgestellte Daten wie gemessenes Fieber (zum Beispiel 38,7 °C), den Blutdruck oder sichtbare Befunde wie einen „blasigen Ausschlag“ dokumentieren. Entscheidend ist außerdem die zeitliche Passung: Das Attest muss zeitnah zum Verhandlungstermin ausgestellt sein. Idealerweise bestätigt der Arzt explizit die Unzumutbarkeit der Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung zu diesem Zeitpunkt.

Fordern Sie Ihren Arzt proaktiv auf, die spezifische Diagnose und die objektiv messbaren Werte aufzunehmen, um Ihr Dokument juristisch wasserdicht zu machen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glaubhaftmachung

Juristen nennen die Glaubhaftmachung einen abgeschwächten Beweismaßstab, bei dem Tatsachen nicht voll bewiesen, sondern lediglich überwiegend wahrscheinlich gemacht werden müssen. Im Gegensatz zum Vollbeweis reicht hier eine hohe Wahrscheinlichkeit aus, oft mithilfe von zeitnahen ärztlichen Attesten oder in Eilverfahren, um eine schnelle, aber fundierte Entscheidung zu treffen.
Beispiel: Die Angeklagte musste die Verhandlungsunfähigkeit lediglich glaubhaft machen, indem sie ein ärztliches Dokument mit der spezifischen Diagnose Herpes Zoster und objektiven Messdaten wie Fieber vorlegte.

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Tateinheit

Tateinheit, formal bekannt als Idealkonkurrenz (§ 52 StGB), liegt immer dann vor, wenn eine einzelne Handlung des Täters mehrere verschiedene Strafgesetze oder dasselbe Gesetz mehrmals verletzt. Das Gesetz sorgt dafür, dass der Täter nur einmal bestraft wird, wobei die Strafe aus dem Gesetz mit der höchsten Strafandrohung entnommen wird, um das gesamte Unrecht angemessen zu würdigen.
Beispiel: Im vorliegenden Fall wurde die Frau wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil beide Straftatbestände durch den identischen Handlungsakt verwirklicht wurden.

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Verhandlungsunfähigkeit

Eine Person gilt als verhandlungsunfähig, wenn sie aufgrund ihres körperlichen oder geistigen Zustands nicht in der Lage ist, den Gerichtsprozess sinnvoll zu verfolgen oder ihre Rechte ordnungsgemäß wahrzunehmen. Dieses Prinzip schützt die grundlegenden Rechte des Angeklagten, denn nur wer dem Verfahren in vollem Umfang folgen kann, hat auch eine faire Chance auf effektive Verteidigung.
Beispiel: Die akute Gürtelrose in Verbindung mit einer Körpertemperatur von 38,7 °C stellte für das Kammergericht eine so starke Beeinträchtigung dar, dass die Annahme der Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten als zwingend naheliegend galt.

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Verwerfungsurteil

Ein Verwerfungsurteil (§ 329 StPO) ist eine harte prozessuale Konsequenz im Strafverfahren, die ergeht, wenn ein Angeklagter der Hauptverhandlung in der Berufungsinstanz unentschuldigt fernbleibt. Dieses Instrument beschleunigt die Justiz und verhindert, dass Angeklagte Verfahren durch bloßes, grundloses Fehlen blockieren; der Sachverhalt der ursprünglichen Verurteilung wird dabei inhaltlich nicht erneut geprüft.
Beispiel: Das Landgericht fällte ein Verwerfungsurteil, als die Angeklagte am Verhandlungstermin nicht erschien und das eingereichte ärztliche Protokoll zunächst als unzureichende Entschuldigung gewertet wurde.

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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Der rechtliche Rettungsanker der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (geregelt in §§ 44 ff. StPO) ermöglicht es, eine versäumte Frist oder einen Termin nachträglich nachzuholen, wenn das Versäumnis objektiv unverschuldet war. Dieser Mechanismus korrigiert übermäßige Härte und stellt sicher, dass Prozessrechte nicht aufgrund unvorhergesehener, objektiver Hindernisse wie plötzlicher, schwerer Krankheit verloren gehen.
Beispiel: Nachdem ihr Antrag zunächst abgelehnt wurde, gewährte das Kammergericht der Frau die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wodurch ihre Berufung trotz des versäumten Termins doch noch inhaltlich verhandelt werden muss.

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Das vorliegende Urteil


KG Berlin – Az.: 3 Ws 11/25 – 161 GWs 41/25 – Beschluss vom 04.04.2025


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