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Verwerfung der Berufung wegen Abwesenheit des Angeklagten – Genügende Entschuldigung

BayObLG Kippt Urteil: Positiver Corona-Test als Genügende Entschuldigung

Das Bayerische Oberlandesgericht (BayObLG) hob das Urteil des Landgerichts München I auf, welches die Berufung des Angeklagten wegen dessen Abwesenheit ohne genügende Entschuldigung verworfen hatte. Die Revision des Angeklagten war erfolgreich, da das Landgericht irrtümlich annahm, der Angeklagte sei ungenügend entschuldigt gewesen. Dies geschah trotz der Vorlage eines positiven Corona-Selbsttests. Das Urteil wurde aufgehoben und zur neuen Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 206 StRR 286/22 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Aufhebung des Urteils des Landgerichts München I durch das BayObLG.
  2. Die Revision des Angeklagten war erfolgreich.
  3. Unzulässige Verwerfung der Berufung des Angeklagten durch das Landgericht.
  4. Der Angeklagte war wegen eines positiven Corona-Tests abwesend.
  5. Das Landgericht hat den Begriff der „genügenden Entschuldigung“ fehlerhaft ausgelegt.
  6. Die Notwendigkeit einer weiten Auslegung dieses Begriffs zugunsten des Angeklagten.
  7. Die Entscheidung basiert auf der Schutzbedürftigkeit anderer Prozessbeteiligter vor einer Infektion.
  8. Neue Verhandlung des Falles an einer anderen Strafkammer des Landgerichts München I.

Die Bedeutung der „genügenden Entschuldigung“ bei der Verwerfung der Berufung wegen Abwesenheit des Angeklagten

Die Verwerfung der Berufung wegen Abwesenheit des Angeklagten ist in § 329 der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Gemäß Absatz 1 Satz 2 der StPO ist die Berufung zu verwerfen, wenn der Angeklagte ohne genügende Entschuldigung der Hauptverhandlung fernbleibt. Die genügende Entschuldigung ist dabei entscheidend, um eine Verwerfung der Berufung zu verhindern.

Eine genügende Entschuldigung liegt beispielsweise vor, wenn der Angeklagte aufgrund von Krankheit oder anderer unvorhersehbarer Umstände verhindert war, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. In solchen Fällen kann die Berufung nicht verwerfen werden, und es muss ein neuer Hauptverhandlungstermin anberaumt werden.

Die Auslegung des Begriffs der „genügenden Entschuldigung“ kann jedoch zu rechtlichen Herausforderungen führen, wie ein aktuelles Urteil des Bayerischen Oberlandesgerichts (BayObLG) zeigt. In diesem Fall hatte das Landgericht München I die Berufung des Angeklagten wegen dessen Abwesenheit ohne genügende Entschuldigung verworfen. Die Revision des Angeklagten war jedoch erfolgreich, da das Landgericht den Begriff der „genügenden Entschuldigung“ fehlerhaft ausgelegt hatte.

Das BayObLG hob das Urteil des Landgerichts München I auf und verwies den Fall zur neuen Verhandlung an eine andere Strafkammer. Dieser Fall verdeutlicht die Bedeutung einer korrekten Auslegung des Begriffs der „genügenden Entschuldigung“ und die möglichen Folgen einer fehlerhaften Anwendung.

Verwerfung der Berufung wegen Abwesenheit des Angeklagten

Das Bayerische Oberlandesgericht (BayObLG) setzte mit seinem Beschluss vom 25. Oktober 2022 ein klares Zeichen in der Rechtssprechung. Im Fokus stand die Verwerfung einer Berufung durch das Landgericht München I, die aufgrund der Abwesenheit des Angeklagten erfolgte. Dieser hatte sich auf einen positiven Corona-Selbsttest berufen, was das Landgericht jedoch nicht als genügende Entschuldigung ansah. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, die sich in Zeiten einer Pandemie für das Strafverfahrensrecht ergeben.

Die Rolle der Revision im strafrechtlichen Verfahren

Eine entscheidende Wendung nahm der Fall, als der Angeklagte gegen das Urteil des Landgerichts Revision einlegte. Mit der Revisionsbegründung, eingereicht am 02. August 2022, rügte der Verteidiger des Angeklagten die Verletzung formellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft München trat dieser Revision entgegen und forderte ihre Zurückweisung. Das BayObLG musste nun prüfen, ob das Landgericht mit seiner Entscheidung die Rechtsnormen korrekt angewandt hatte.

Die Auslegung des Begriffs „Genügende Entschuldigung“

Im Kern der rechtlichen Auseinandersetzung stand die Auslegung des Begriffs „genügende Entschuldigung“ nach § 329 Abs. 1 StPO. Das Landgericht hatte diese Entschuldigung als unzureichend betrachtet, obwohl der Angeklagte über seinen Verteidiger mitgeteilt hatte, positiv auf das Coronavirus getestet worden zu sein. Das BayObLG stellte jedoch fest, dass das Landgericht den Begriff der genügenden Entschuldigung zu eng ausgelegt hatte. Besonders in der Pandemiezeit müsse eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten erfolgen, insbesondere wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften das Fernbleiben von einer Gerichtsverhandlung rechtfertigen.

Aufhebung des Urteils und Weiterleitung an eine andere Kammer

Das BayObLG kam zu dem Schluss, dass die Verwerfung der Berufung ohne Verhandlung zur Sache auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung basierte. Daher hob es das Urteil des Landgerichts auf und verwies den Fall zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurück. Dieser Schritt unterstreicht die Bedeutung einer korrekten Auslegung juristischer Begriffe und die Notwendigkeit, den spezifischen Umständen eines jeden Falles gerecht zu werden.

✔ Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt

Was bedeutet eine genügende Entschuldigung für die Abwesenheit eines Angeklagten im Gerichtsverfahren?

Eine genügende Entschuldigung für die Abwesenheit eines Angeklagten im Gerichtsverfahren liegt vor, wenn objektive Gründe das Erscheinen des Angeklagten unzumutbar machen. Krankheit ist ein häufiger Grund, der eine genügende Entschuldigung darstellen kann. Ein ärztliches Attest, das die Unfähigkeit des Angeklagten zur Teilnahme an der Verhandlung bestätigt, muss so lange als ausreichende Entschuldigung anerkannt werden, bis die Unglaubwürdigkeit des Attestes nachgewiesen ist.

Das Gericht ist jedoch nicht an die Einschätzung des Arztes gebunden, sondern entscheidet selbstständig anhand des Attestes, ob der Angeklagte verhandlungsunfähig ist. Es ist also entscheidend, dass das Attest spezifisch für die Vorlage beim Gericht ausgestellt wird und die krankheitsbedingte Verhandlungsunfähigkeit klar und nachvollziehbar darlegt.

Nicht nur die Krankheit, sondern auch andere schlüssig vorgetragene Sachverhalte, die das Ausbleiben des Angeklagten rechtfertigen, können als genügende Entschuldigung anerkannt werden. Das Gericht hat die Pflicht, den vorgebrachten Gründen nachzugehen, sofern sie hinreichende Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung bieten.

Fehlt eine genügende Entschuldigung, kann das Gericht verschiedene Maßnahmen ergreifen, wie etwa die Anordnung eines Haftbefehls oder die Verwerfung der Berufung. In bestimmten Fällen kann das Gericht auch in Abwesenheit des Angeklagten verhandeln, wenn dieser bereits vollständig zur Sache vernommen wurde.

Zusammengefasst ist eine genügende Entschuldigung für die Abwesenheit eines Angeklagten im Gerichtsverfahren dann gegeben, wenn objektive und nachvollziehbare Gründe, wie etwa eine ärztlich bescheinigte Krankheit, das Erscheinen des Angeklagten unzumutbar machen und das Gericht diese Gründe als ausreichend erachtet.


Das vorliegende Urteil

BayObLG – Az.: 206 StRR 286/22 – Beschluss v. 25.10.2022

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 28. Juni 2022 aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht München hat den Angeklagten mit Urteil vom 30. September 2021 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 10 Monaten verurteilt und die Einziehung eines Elektroschockers und eines Faustmessers angeordnet.

Die gegen dieses Urteil vom Angeklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht München I mit Urteil vom 28. Juni 2022 ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte sei trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne genügende Entschuldigung zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Er habe über seinen Verteidiger vortragen lassen, dass er „positiv getestet“ sei. Diese Mitteilung und die Übersendung eines Fotos einer Testkassette mit einem positiven Ergebnis seien nicht ausreichend. Einer Aufforderung des Gerichts gegenüber seinem Verteidiger um 07:20 Uhr des Sitzungstages, bis zum Sitzungsbeginn um 09:00 Uhr ein Ergebnis eines offiziellen Schnelltestcenters vorzulegen, sei der Angeklagte nicht nachgekommen. Er habe erst gegen 09:16 über seinen Verteidiger mitteilen lassen, dass er jetzt zum Arzt gehen würde.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 05. Juli 2022 Revision eingelegt. Mit der Revisionsbegründung vom 02. August 2022 rügt er die Verletzung formellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Stellungnahme vom 19. September 2022, die Revision des Angeklagten kostenpflichtig als unzulässig zu verwerfen. Zur Begründung wird vorgebracht, die Rüge genüge nicht den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

II.

Die Revision des Angeklagten hat mit der formgerecht im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 StPO Erfolg, da das Landgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, der Angeklagte sei nicht genügend entschuldigt. Die Berufung hätte nicht ohne Verhandlung zur Sache verworfen werden dürfen.

1. Die erhobene Verfahrensrüge erweist sich als zulässig.

a) Bei § 329 StPO handelt es sich um eine Vorschrift des formellen Rechts, deren Verletzung nur mit einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrüge geltend gemacht werden kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 329 Rn. 48; Quentin in MüKoStPO, 1. Aufl. 2016, § 329 Rn. 100; je m.w.N.). Begründungs- und Aufklärungsmängel des angegriffenen Urteils stellen sich dabei unmittelbar als Verletzung der Verfahrensnorm des § 329 StPO dar, ohne dass insoweit eine Rüge von Verstößen gegen § 261 StPO oder § 244 Abs. 2 StPO geboten wäre (Quentin in MüKoStPO a.a.O.; BayObLG, Urteil vom 24. März 1999, 5 StRR 245/98, BayObLGSt 1999, 69, 70). Soll, wie hier, gerügt werden, das Berufungsgericht habe einen ihm bekannten Entschuldigungsgrund nicht zutreffend gewürdigt, muss der Revisionsführer grundsätzlich die aus seiner Sicht unzureichende Würdigung im Urteil anhand des konkreten und vollständigen Inhalts der vorgebrachten Entschuldigungsgründe sowie des Zeitpunkts ihrer Übermittlung an das Gericht darlegen. Ergibt sich der nicht oder nur unzureichend gewürdigte Entschuldigungsgrund bereits aus den Urteilsgründen, genügt regelmäßig die bloße Bezeichnung des Erörterungsmangels, womit sinngemäß auch auf die Urteilsfeststellungen Bezug genommen wird. Diese brauchen in der Revisionsbegründungsschrift nicht wiederholt zu werden (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 10. Januar 1996, 2 Ss 4/96, NStZ 1996, 249, 250; KG, Beschluss vom 19. Dezember 2001, (3) 1 Ss 149/01 (92/01), NStZ-RR 2002, 218; Quentin in MüKoStPO, 1. Aufl. 2016, § 329 Rn. 108).

b) Diesen Maßstäben wird die erhobene Verfahrensrüge noch gerecht.

aa) Sie bringt vor, dass dem Gericht zu Beginn der Verhandlung die Information vorlag, der Angeklagte habe „einen positiven Selbsttest auf Corona“ seinem Verteidiger gemeldet. Aus den Urteilsfeststellungen lässt sich ergänzend entnehmen, dass das Gericht hiervon um 07:20 Uhr des Terminstages in Kenntnis gesetzt wurde und dass – gemeint wohl: im Termin – ein Foto mit einer Testkassette vorgelegt wurde, die ein positives Ergebnis zeigte. Die Revision bringt weiter vor, dass der Angeklagte am Nachmittag desselben Tages in einer offiziellen Teststation positiv getestet worden sei und daraufhin durch das Landratsamt München eine Quarantäneverfügung gegen ihn ergangen sei.

bb) Zwar ist, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist, dann, wenn das Nichterscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung mit einer Erkrankung begründet wird, mit der Revision regelmäßig konkret darzulegen, welche Symptomatik und welche konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen beim Angeklagten zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorlagen (OLG Hamm, Beschluss vom 30. Oktober 2012, III-3 RVs 81/12, juris Rn. 3). Für den Fall, dass eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorgebracht wird, ist ein solches Vorbringen indessen nicht erforderlich, denn das Fernbleiben ist in diesem Fall nicht lediglich durch eine Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten, sondern bereits durch die Schutzbedürftigkeit anderer Prozessbeteiligter vor einer Infektion gerechtfertigt.

Eine Entschuldigung i.S.d. § 329 StPO ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betroffenen einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Betroffenen unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (BayObLG, Beschluss vom 6. September 2019, 202 ObOWi 1581/19, juris Rn. 6; st. Rspr.). Eine Infektion mit dem Coronavirus rechtfertigte und gebot zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung schon aufgrund bestehender öffentlich-rechtlicher Vorschriften auch ohne das Vorliegen von Krankheitssymptomen das Fernbleiben von einer Gerichtsverhandlung. Eine infizierte Person, hatte sich unverzüglich in Isolation zu begeben, wenn ein Test durch eine medizinisch geschulte Fachkraft oder vergleichbar hierfür geschulte Person durchgeführt oder überwacht war und ein positives Ergebnis aufwies (Vollzug des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 12. April 2022, BayMBl. 2022 Nr. 225 vom 12. April 2022, Nr. 1, Nr. 2). Vor diesem Hintergrund war es zum Schutz anderer Personen vor einer Infektion mit dem – wie allgemein bekannt ist – hochansteckenden Virus auch dann schon zwingend geboten, der Hauptverhandlung fernzubleiben, wenn (noch) kein Test im Sinne der Nr. 1 der Bekanntmachung vom 12. April 2022, sondern lediglich ein sog. Selbsttest mit positivem Ergebnis vorlag. Die Schilderung etwaiger Krankheitssymptome in der Revisionsbegründung erübrigt sich daher in diesem Fall.

2. Das Rechtsmittel ist auch begründet, denn das Landgericht hat den Begriff der genügenden Entschuldigung im Sinne von § 329 Abs. 1 StPO verkannt.

a) Nach § 329 Abs. 1 StPO hat das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache u.a. dann zu verwerfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins der Angeklagte nicht erschienen ist und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.

Der Begriff der „genügenden Entschuldigung“ darf nicht eng ausgelegt werden. Das Erfordernis einer einschränkenden Auslegung von § 329 Abs. 1 StPO, der eine Ausnahme von der Regelung enthält, dass ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden darf und deshalb die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich birgt, hat zur Folge, dass bei Prüfung der vorgebrachten oder vorliegenden Entschuldigungsgründe eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten angebracht ist.

aa) Eine genügende Entschuldigung im Sinne der Vorschrift ist anzunehmen, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf zu machen ist (BayObLG, Beschluss vom 6. September 2019, 202 ObOWi 1581/19, juris Rn. 6; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2013, 3 Ss 20/13, juris Rn. 8; st. Rspr; Paul in KK, StPO, 8. Aufl. 2019, § 329 Rn. 10 m.w.N.).

bb) Es kommt insoweit grundsätzlich nicht auf das Vorbringen des Angeklagten an, sondern auf die wirkliche Sachlage, also insbesondere auch nicht darauf, ob und in welcher Form der Angeklagte sich entschuldigt hat. Den Angeklagten trifft hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder gar zu einem lückenlosen Nachweis (BayObLG, Beschluss vom 11. Mai 1998, 1 ObOWi 169/98, juris Rn. 20; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2013, 3 Ss 20/13, juris Rn. 9 m.v.w.N.). Bloße Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Vorbringens dürfen nicht zu Lasten des Angeklagten gehen. Anders ist es erst dann, wenn die Unglaubwürdigkeit oder die Unbrauchbarkeit des vorgebrachten Entschuldigungsgrundes feststehen, oder wenn dieser aus der Luft gegriffen oder sonst ganz offensichtlich ungeeignet ist, das Ausbleiben zu entschuldigen. Bloßen Zweifeln hat das Gericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht, ggf. im Wege des Freibeweises, nachzugehen (st. Rspr.; OLG Bamberg a.a.O. Rn. 10).

b) Unter Anlegung dieser Maßstäbe rechtfertigen die Urteilsgründe des Berufungsurteils die Annahme, dass der Angeklagte nicht genügend entschuldigt gewesen sei, in rechtlicher Hinsicht nicht.

aa) Die Kammer stellt fest, dass der Verteidiger des Angeklagten, bereits um 07:20 Uhr des Terminstages, also vor Beginn der Hauptverhandlung um 09:00 Uhr, mitgeteilt hatte, dass der Angeklagte „positiv getestet“ sei; gemeint ist offensichtlich, so auch die Revisionsbegründung, dass der Angeklagten einen Selbsttest durchgeführt hatte. Es ist auch, soweit sich dies den knappen Urteilsgründen entnehmen lässt, sodann in der Hauptverhandlung ein dem Verteidiger übersandtes Foto einer Testkassette mit positivem Ergebnis vorgelegt worden. Damit hat der Angeklagte, was das Landgericht bereits verkannt hat, schlüssig einen Sachverhalt vorgetragen, der, zumindest aufgrund der Infektionsgefahren für die Öffentlichkeit und die Verfahrensbeteiligten, geeignet war, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen.

bb) Soweit die Kammer ausführt, die Vorsitzende Richterin habe um 07:20 Uhr angeordnet, dass bis zum Sitzungsbeginn um 09:00 Uhr das Ergebnis eines offiziellen Schnelltestcenters vorzulegen sei – was nicht geschah -, findet die Rechtmäßigkeit der Anordnung in den Urteilsgründen weder eine tatsächliche Stütze noch wird sie rechtlich begründet.

(1) Gründe dafür, dass der Entschuldigungsgrund aus der Luft gegriffen war oder ob und aus welchen Gründen das Landgericht möglicherweise von seiner Unrichtigkeit überzeugt war, sind nicht dargetan.

(2) Etwaige bloße Zweifel an der Richtigkeit sind ebenfalls nicht aufgezeigt und daher für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar.

Der bloße Verdacht, dass ein Entschuldigungsgrund nur vorgeschützt sein könnte, rechtfertigt es im Übrigen, wie bereits ausgeführt, nicht, den Angeklagten als nicht entschuldigt zu behandeln. Das Gericht darf nach § 329 StPO nur verfahren, wenn dessen Voraussetzungen nach seiner Überzeugung feststehen. Bleibt zweifelhaft, ob er genügend entschuldigt ist, dann sind die Voraussetzungen von § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht gegeben; solche Zweifel verpflichten vielmehr zu ihrer Klärung (Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 329 Rn. 26-28). Die Aufforderung der Vorsitzenden an den Angeklagten, bis 09:00 Uhr das Testergebnis eines „offiziellen Schnelltestcenters“ vorzulegen, mag als Mittel der Aufklärung gedacht gewesen sein, ihre Rechtmäßigkeit begegnet jedoch bereits wegen des Fehlens einer Mitwirkungspflicht des Angeklagten durchgreifenden rechtlichen Bedenken, zudem erscheint dem Senat die praktische Durchführbarkeit in zeitlicher Hinsicht zweifelhaft.

Da das Landgericht keine anderen geeigneten Ermittlungen (z.B. Nachschau durch die Polizei) ergriffen und das Ausbleiben des Angeklagten als nicht genügend entschuldigt angesehen hat, ist zu besorgen, dass es unzutreffend darauf abgestellt hat, der Angeklagte habe sich nicht ausreichend entschuldigt, ohne zu klären, ob er ausreichend entschuldigt war, oder aber, dass es, was rechtlich ebenfalls zu beanstanden wäre, etwaig bestehende Zweifel an der Richtigkeit der vorgebrachten Entschuldigung zu Lasten des Angeklagten gewertet hat.

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Mangel beruht, denn es besteht die Möglichkeit, dass das Landgericht von einer Verwerfung der Berufung ohne Verhandlung zur Sache abgesehen hätte, wenn es den Begriff der „genügenden Entschuldigung“ zutreffend ausgelegt hätte.

Der Senat hebt daher das Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) auf und verweist die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an eine andere Kammer des Landgerichts München I zurück.

 

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