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Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung – mündliche Anhörung des Sachverständigen

Ein verurteilter Straftäter muss weiter hinter Gittern bleiben, weil ein Gericht bei seiner Haftprüfung einen formellen Fehler begangen hat. Das Oberlandesgericht Celle hob die Entscheidung der Vorinstanz auf, da ein psychologisches Gutachten nicht mündlich in der Verhandlung erörtert wurde – obwohl Justizvollzugsanstalt und Gutachter unterschiedlicher Meinung über die Gefährlichkeit des Mannes waren. Nun muss neu verhandelt werden.

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Oberlandesgericht Celle
  • Datum: 29.04.2024
  • Aktenzeichen: 1 Ws 126/24
  • Verfahrensart: Strafvollstreckungsverfahren
  • Rechtsbereiche: Strafrecht, Strafvollstreckungsrecht

Beteiligte Parteien:

  1. Der Verurteilte: Wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zwei Drittel der Strafe sind bereits vollstreckt. Er hat auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet.
  2. Die Verteidigerin: Hat ebenfalls auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet.
  3. Sachverständiger (Diplom-Psychologe A. J.): Hat ein Gutachten erstellt, das die vorzeitige Entlassung des Verurteilten befürwortet.
  4. Staatsanwaltschaft: Hat keine Stellung zur Anhörung des Sachverständigen genommen und die sofortige Beschwerde gegen die Bewährungsentscheidung eingereicht.
  5. Generalstaatsanwaltschaft: Hat die Beschwerde der Staatsanwaltschaft unterstützt.

Um was ging es?

  • Sachverhalt: Der Verurteilte wurde für eine gefährliche Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach der Vollstreckung von zwei Dritteln der Strafe wurde die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung auf Bewährung geprüft. Ein Gutachten sprach sich für diese aus, während die Justizvollzugsanstalt eine andere Einschätzung hatte. Der entscheidende Punkt war, ob der Sachverständige mündlich gehört werden muss, obwohl Verurteilte und Verteidigung darauf verzichtet hatten.
  • Kern des Rechtsstreits: Der Streitpunkt war, ob die mündliche Anhörung des Sachverständigen zwingend erforderlich ist, obwohl darauf verzichtet wurde, und ob die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung gerechtfertigt war.

Was wurde entschieden?

  • Entscheidung: Der ursprüngliche Beschluss der Strafvollstreckungskammer, die Reststrafe zur Bewährung auszusetzen, wurde aufgehoben. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
  • Begründung: Die Aufhebung erfolgte wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers. Die Strafvollstreckungskammer hatte zu Unrecht auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet, obwohl die Staatsanwaltschaft nicht darauf verzichtet hatte. Das Schweigen der Staatsanwaltschaft konnte nicht als Verzicht gewertet werden.
  • Folgen: Die Strafvollstreckungskammer muss erneut über die Aussetzung der Reststrafe entscheiden, wobei nun die Anhörungen korrekt durchgeführt werden müssen. Die Kostenentscheidung bleibt ebenfalls zu klären.

Essenzielle Rolle der Sachverhaltsaufklärung bei gerichtlichen Anhörungen

In gerichtlichen Verfahren spielt die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung eine zentrale Rolle. Sie verpflichtet die Richter, alle relevanten Tatsachen zu ermitteln, um zu einer fundierten Entscheidung zu gelangen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Aufklärung ist die mündliche Anhörung von Sachverständigen, deren Expertise häufig entscheidend für die Beweisaufnahme ist. Die gerichtliche Befragung von Gutachtern und Zeugen ermöglicht eine transparente und argumentative Klärung der vorliegenden Beweismittel und trägt damit zur Tatsachenfeststellung bei.

Im Rahmen dieser rechtlichen Grundlagen gibt es zahlreiche Aspekte, die im Anhörungsverfahren berücksichtigt werden müssen. Die Compliance im Recht und die juristische Verantwortung der Verfahrensbeteiligten sind ebenfalls bedeutend. Im Folgenden wird ein spezifischer Fall vorgestellt, der die Herausforderungen und Abläufe bei der mündlichen Anhörung von Sachverständigen beleuchtet.

Der Fall vor Gericht


Mündliche Gutachteranhörung bei Haftentscheidungen erforderlich

Leerer Zeugenstuhl neben Richtertisch mit unbesprochenen Gutachten
Mündliche Anhörung von Sachverständigen bei Haftentscheidungen (Symbolfoto: Ideogram gen.)

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle hob die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zur vorzeitigen Haftentlassung eines Verurteilten auf. Grund war ein wesentlicher Verfahrensfehler bei der Beurteilung der Reststrafenaussetzung.

Unzulässiger Verzicht auf Sachverständigenanhörung

Ein wegen gefährlicher Körperverletzung Verurteilter hatte nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner dreijährigen Freiheitsstrafe einen Antrag auf vorzeitige Entlassung gestellt. Die Strafvollstreckungskammer holte dazu ein psychologisches Gutachten ein. Der Sachverständige befürwortete – im Gegensatz zur Justizvollzugsanstalt – eine vorzeitige Entlassung. Nach Verzicht der Verteidigerin und des Verurteilten auf die mündliche Anhörung des Gutachters wurde dieser von der Verhandlung abgeladen.

Fehlende Zustimmung der Staatsanwaltschaft

Das OLG stellte fest, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Gutachteranhörung nicht vorlagen. Nach § 454 Absatz 2 StPO darf auf die Anhörung nur verzichtet werden, wenn alle Beteiligten – also auch die Staatsanwaltschaft – zustimmen. Eine solche Zustimmung lag hier nicht vor. Die Staatsanwaltschaft hatte sich weder ausdrücklich noch konkludent mit einem Verzicht einverstanden erklärt.

Aufklärungspflicht des Gerichts

Das OLG betonte zudem, dass die Pflicht zur bestmöglichen Sachverhaltsaufklärung auch dann eine mündliche Anhörung des Gutachters erfordern kann, wenn diese nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben ist. Im vorliegenden Fall war eine Erörterung des Gutachtens besonders wichtig, da Justizvollzugsanstalt und Sachverständiger zu unterschiedlichen Prognoseeinschätzungen kamen. Die JVA hatte in einer ausführlichen Stellungnahme ihre ablehnende Haltung bekräftigt.

Weitreichende Konsequenzen des Verfahrensmangels

Das OLG stufte den Verfahrensfehler als so schwerwiegend ein, dass er auch im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden konnte. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen. Diese muss nun unter Beteiligung aller Verfahrensbeteiligten eine mündliche Anhörung des Gutachters durchführen, um eine fundierte Entscheidung über die Reststrafenaussetzung treffen zu können.

Fortgeltung der Pflichtverteidigung

Abschließend stellte das OLG klar, dass die Bestellung der Pflichtverteidigerin durch die Strafvollstreckungskammer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Aussetzungsverfahrens fortdauert. Eine erneute Bestellung für das Beschwerdeverfahren war daher nicht erforderlich.


Die Schlüsselerkenntnisse


„Das Oberlandesgericht stellt klar, dass bei Entscheidungen über eine vorzeitige Haftentlassung die mündliche Anhörung des Sachverständigen zwingend erforderlich ist, wenn nicht alle Verfahrensbeteiligten ausdrücklich darauf verzichten. Besonders wichtig ist die Anhörung, wenn Gutachter und Justizvollzugsanstalt zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Ein Verzicht auf die Anhörung kann nicht stillschweigend erfolgen, sondern muss eindeutig erklärt werden.“

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Wenn Sie oder Ihr Angehöriger eine vorzeitige Haftentlassung anstreben, haben Sie das Recht auf eine gründliche Prüfung durch einen Sachverständigen. Die Anhörung des Gutachters in Ihrer Anwesenheit gibt Ihnen die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Ihre Sicht einzubringen. Selbst wenn Ihr Verteidiger auf die Anhörung verzichten möchte, kann die Staatsanwaltschaft auf der Durchführung bestehen – dies dient Ihrem Schutz und einer fundierten Entscheidung. Besonders wichtig ist die persönliche Anhörung, wenn das Gutachten und die Stellungnahme der JVA voneinander abweichen. In diesem Fall muss das Gericht beide Standpunkte sorgfältig abwägen und kann nicht einfach auf die mündliche Erörterung verzichten.


Benötigen Sie Hilfe?

Die komplexen rechtlichen Anforderungen bei der vorzeitigen Haftentlassung erfordern eine sorgfältige Prüfung aller Verfahrensschritte. Unsere erfahrenen Anwälte begleiten Sie durch den gesamten Prozess und stellen sicher, dass Ihre Rechte – von der Gutachtenerstellung bis zur mündlichen Anhörung – gewahrt werden. In einem persönlichen Gespräch analysieren wir Ihre individuelle Situation und entwickeln eine maßgeschneiderte Strategie für Ihr Anliegen. ✅ Fordern Sie unsere Ersteinschätzung an!


Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was ist der Zweck einer mündlichen Gutachteranhörung bei Haftentscheidungen?

Die mündliche Anhörung eines Sachverständigen dient der umfassenden Wahrheitsfindung und ist ein elementarer Bestandteil des verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Direktes Fragerecht der Parteien

Wenn Sie als Verfahrensbeteiligter an einem Gerichtsprozess teilnehmen, haben Sie das Recht, dem Sachverständigen persönlich Fragen zu stellen. Dies ermöglicht es Ihnen, Unklarheiten direkt anzusprechen und Erläuterungen zu Zweifelspunkten einzuholen. Das Gericht muss diesem Anspruch nachkommen, selbst wenn es das schriftliche Gutachten für ausreichend und überzeugend hält.

Aufklärung komplexer Sachverhalte

Die mündliche Befragung ermöglicht eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Gutachten. Sie können als Verfahrensbeteiligter Ihre Bedenken vortragen und sich bestimmte Aspekte genauer erklären lassen. Dabei müssen Sie die beabsichtigten Fragen nicht im Voraus konkret formulieren – es genügt, wenn Sie allgemein angeben, in welche Richtung Sie durch Ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeiführen möchten.

Grenzen des Anhörungsrechts

Das Recht auf mündliche Anhörung findet seine Grenzen nur in zwei Ausnahmefällen: wenn der Antrag verspätet gestellt wird oder wenn er rechtsmissbräuchlich ist. Ein Rechtsmissbrauch liegt jedoch nicht vor, wenn Sie konkret darlegen, worin Sie Unklarheiten sehen und in welche Richtung Sie Ihr Fragerecht ausüben möchten.

Bedeutung für das Verfahren

Die Verweigerung einer beantragten mündlichen Anhörung kann schwerwiegende Folgen haben. Wird Ihr Antrag auf Anhörung des Sachverständigen abgelehnt, liegt darin ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör. Dies kann dazu führen, dass das Berufungsgericht die Sache neu verhandeln muss.


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Welche Folgen hat ein Verzicht auf die mündliche Gutachteranhörung?

Ein Verzicht auf die mündliche Anhörung eines Sachverständigen ist eine unwiderrufliche Prozesshandlung mit weitreichenden Konsequenzen. Wenn Sie auf die mündliche Anhörung verzichten, können Sie diese Entscheidung später nur noch in Ausnahmefällen rückgängig machen.

Rechtliche Bindungswirkung

Der Verzicht ist grundsätzlich nicht wegen Irrtums anfechtbar, auch wenn Sie die Tragweite Ihrer Entscheidung falsch eingeschätzt haben. Ein Widerruf ist nur möglich, wenn sich die Prozesslage nach der Verzichtserklärung wesentlich geändert hat.

Verfahrensrechtliche Auswirkungen

Wenn Sie auf die mündliche Anhörung verzichten, verlieren Sie die Möglichkeit, dem Sachverständigen direkte Fragen zu stellen. Dies ist besonders bedeutsam, da Sie im schriftlichen Verfahren weniger Möglichkeiten haben, auf unklare oder widersprüchliche Aussagen im Gutachten zu reagieren.

Voraussetzungen für die Wirksamkeit

Der Verzicht wird nur wirksam, wenn alle Verfahrensbeteiligten ausdrücklich zustimmen. Im Strafverfahren bedeutet dies konkret:

  • Der Verurteilte selbst
  • Sein Verteidiger
  • Die Staatsanwaltschaft

Ein Verzicht nur durch den Verteidiger oder die Staatsanwaltschaft ist nicht ausreichend. Fehlt die Zustimmung auch nur eines Beteiligten, liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der Entscheidung führen kann.

Prozessuale Konsequenzen

Bei einem wirksamen Verzicht entscheidet das Gericht ausschließlich auf Grundlage der schriftlichen Unterlagen. Dies kann problematisch sein, wenn sich später herausstellt, dass wichtige Aspekte des Gutachtens klärungsbedürftig gewesen wären. Eine nachträgliche Korrektur ist dann nur schwer möglich.


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Wer muss der mündlichen Anhörung eines Gutachters zustimmen?

Die mündliche Anhörung eines Sachverständigen erfordert keine Zustimmung der Verfahrensbeteiligten. Vielmehr besteht ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht jeder Prozesspartei auf Anhörung des Sachverständigen.

Gesetzlicher Anspruch

Gemäß §§ 397, 402 ZPO steht jeder Prozesspartei das Recht zu, einen gerichtlichen Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten mündlich zu befragen. Das Gericht muss diesem Antrag stattgeben, selbst wenn es das schriftliche Gutachten für ausreichend und überzeugend hält.

Ausnahmen vom Anhörungsrecht

Das Gericht kann die Anhörung nur in zwei Fällen ablehnen:

  • wenn der Antrag verspätet gestellt wurde
  • wenn der Antrag rechtsmissbräuchlich ist

Voraussetzungen für einen wirksamen Antrag

Für einen wirksamen Antrag auf mündliche Anhörung muss die antragstellende Partei:

  • konkret darlegen, worin sie Unklarheiten sieht
  • aufzeigen, in welche Richtung sie ihr Fragerecht ausüben möchte

Die Fragen müssen dabei nicht im Voraus formuliert werden. Es genügt, wenn aus dem Sachvortrag erkennbar wird, in welche Richtung eine Aufklärung gewünscht wird.


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Welche Rolle spielt die Staatsanwaltschaft bei der Gutachteranhörung?

Die Staatsanwaltschaft nimmt bei der Gutachteranhörung eine zentrale Steuerungsfunktion ein. Als eigenständiges Organ der Rechtspflege beauftragt sie häufig bereits im Vorverfahren den Sachverständigen und leitet dessen Tätigkeit.

Befugnisse und Pflichten

Die Staatsanwaltschaft gibt dem Sachverständigen die notwendigen Anknüpfungstatsachen vor und bestimmt, von welchem Sachverhalt dieser bei seiner Begutachtung ausgehen soll. Wenn Sie als Betroffener untersucht werden sollen, erfolgt die Einbestellung in der Regel durch den Sachverständigen selbst, wobei die Staatsanwaltschaft die Untersuchung auch zwangsweise durchsetzen kann.

Verzicht auf mündliche Anhörung

Stellen Sie sich vor, es soll auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet werden. In diesem Fall ist die ausdrückliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft zwingend erforderlich. Ein Verzicht ist nur wirksam, wenn neben der Staatsanwaltschaft auch der Verurteilte selbst und sein Verteidiger zustimmen.

Durchführung der Anhörung

Die Staatsanwaltschaft hat weitreichende Befugnisse bei der Durchführung der Gutachteranhörung. Sachverständige sind verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und ihr Gutachten zu erstatten. Bei unberechtigtem Ausbleiben oder Weigerung kann die Staatsanwaltschaft Zwangsmaßnahmen anordnen, wobei die Festsetzung von Haft dem zuständigen Gericht vorbehalten bleibt.


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Wann ist eine mündliche Gutachteranhörung zwingend erforderlich?

Eine mündliche Gutachteranhörung ist nach §§ 397, 402 ZPO zwingend durchzuführen, wenn eine Prozesspartei einen entsprechenden Antrag stellt. Das Gericht muss diesem Antrag auch dann stattgeben, wenn das schriftliche Gutachten aus seiner Sicht bereits ausreichend und überzeugend erscheint.

Voraussetzungen für den Antrag

Der Antrag auf mündliche Anhörung muss rechtzeitig gestellt werden. Dabei genügt es, wenn Sie in Ihrem Antrag die allgemeine Richtung angeben, in der Sie eine Aufklärung herbeiführen möchten. Eine konkrete Formulierung der beabsichtigten Fragen ist nicht erforderlich.

Ablehnungsmöglichkeiten

Das Gericht darf den Antrag auf mündliche Anhörung nur in zwei Ausnahmefällen ablehnen:

  • wenn der Antrag verspätet eingereicht wurde
  • wenn der Antrag rechtsmissbräuchlich gestellt wurde

Ein Rechtsmissbrauch liegt dabei nur vor, wenn sich aus der Antragsbegründung ergibt, dass die Fragen unter keinem Gesichtspunkt beweiserheblich sind.

Besonderheiten der Durchführung

Die Anhörungspflicht besteht auch dann, wenn:

  • Sie zunächst mit einer schriftlichen Ergänzung des Gutachtens einverstanden waren
  • das schriftliche Gutachten keine Mängel aufweist
  • das Gericht selbst keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht

Nach der mündlichen Erläuterung muss das Gericht den Parteien eine angemessene Frist zur weiteren Stellungnahme einräumen. Bei Bedarf kann sogar eine zweite mündliche Erläuterung angeordnet werden.


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Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Reststrafenaussetzung

Die vorzeitige Entlassung eines Gefangenen aus der Haft nach Verbüßung eines bestimmten Teils der Strafe unter bestimmten Voraussetzungen. Nach § 57 StGB kann das Gericht den Rest einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen, wenn zwei Drittel der Strafe verbüßt sind und die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht entgegenstehen. Dies erfordert eine positive Sozialprognose des Verurteilten. Beispiel: Ein zu 3 Jahren Haft Verurteilter kann nach 2 Jahren entlassen werden, wenn er sich gut geführt hat.


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Strafvollstreckungskammer

Ein spezieller Spruchkörper am Landgericht, der für Entscheidungen während der Strafvollstreckung zuständig ist (§ 78a GVG). Sie entscheidet unter anderem über vorzeitige Haftentlassungen, Bewährungsfragen und Beschwerden von Gefangenen gegen Maßnahmen der Justizvollzugsanstalt. Die Kammer setzt sich aus einem oder mehreren Berufsrichtern zusammen. Beispiel: Entscheidung über einen Antrag auf Reststrafenaussetzung nach zwei Dritteln der Haftzeit.


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Sachverhaltsaufklärung

Die gesetzliche Pflicht des Gerichts, alle entscheidungserheblichen Tatsachen und Umstände eines Falls von Amts wegen zu ermitteln (§ 244 Abs. 2 StPO). Das Gericht muss alle verfügbaren und geeigneten Beweismittel ausschöpfen, um den wahren Sachverhalt aufzuklären. Dazu gehören Zeugenvernehmungen, Gutachten und Urkundenbeweise. Beispiel: Anhörung eines psychiatrischen Gutachters zur Gefährlichkeitsprognose eines Häftlings.


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Strafsenat

Ein spezieller Spruchkörper am Oberlandesgericht, der sich mit Strafsachen befasst. Er entscheidet über Rechtsbeschwerden gegen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer und ist auch für bestimmte erstinstanzliche Strafverfahren zuständig (§ 120 GVG). Der Senat besteht in der Regel aus drei oder fünf Berufsrichtern. Seine Entscheidungen haben oft grundsätzliche Bedeutung für die Rechtsprechung.


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Pflichtverteidigung

Die vom Staat bestellte und bezahlte Strafverteidigung für Beschuldigte in bestimmten gesetzlich geregelten Fällen (§§ 140ff. StPO). Sie soll die Rechte des Beschuldigten wahren, wenn dieser sich keinen Wahlverteidiger leisten kann oder die Schwere des Falls einen Verteidiger erforderlich macht. Die Bestellung gilt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Beispiel: Bestellung eines Pflichtverteidigers bei Verbrechen oder längeren Freiheitsstrafen.


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Sachverständigengutachten

Ein fachliches Gutachten eines unabhängigen Experten zu speziellen Fragen, die besondere Fachkenntnisse erfordern (§§ 72ff. StPO). Im Strafvollstreckungsverfahren oft psychologische oder psychiatrische Gutachten zur Gefährlichkeitsprognose. Der Gutachter muss sein Gutachten in der Regel mündlich erläutern. Beispiel: Psychiatrisches Gutachten zur Frage der Resozialisierungsprognose eines Strafgefangenen.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 57 Abs. 1 StGB: Diese Vorschrift regelt die Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung. Sie ermöglicht es, den Strafrest unter bestimmten Voraussetzungen nicht in der Justizvollzugsanstalt zu verbringen, sondern unter Auflagen in die Freiheit zu entlassen. Im vorliegenden Fall wurde die Aussetzung des Restes der Freiheitsstrafe vom Landgericht Stade beantragt, was die Prüfung der persönlichen und allgemeinen Gefährlichkeit des Verurteilten erfordert.
  • § 454 Abs. 2 StPO: Gemäß dieser Vorschrift ist bei der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung eine mündliche Anhörung des Sachverständigen erforderlich, wenn ein Prognosegutachten eingeholt wurde. Die Regelung stellt sicher, dass der Richter alle verfügbaren Informationen zu den Chancen auf eine Bewährung erhält. Im vorliegenden Fall hat die Strafvollstreckungskammer auf eine mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt waren.
  • § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO: Dieser Paragraph ermöglicht es, von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen abzusehen, sofern sowohl der Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger darauf verzichten. Es verlangt eine ausdrückliche Erklärung des Verzichts, um eine informierte Entscheidung zu gewährleisten. Im vorliegenden Fall war dieser Verzicht nicht gegeben, da die Staatsanwaltschaft nicht auf die mündliche Anhörung verzichtet hat, was die Aufhebung der Entscheidung rechtfertigte.
  • § 311 StPO: Die Vorschrift bezieht sich auf die Verfahrensordnung und regelt die Voraussetzungen für den Zulass von Beschwerden gegen Entscheidungen der Instanzgerichte. Sie bezieht sich auf die rechtlichen Möglichkeiten, die im laufenden Verfahren zur Verfügung stehen. In diesem Fall wurde die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft als zulässig erachtet, weil die letzten Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer fehlerhaft waren.
  • Gerichtliche Aufklärungspflicht: Diese Pflicht besagt, dass das Gericht alle notwendigen Maßnahmen ergreifen muss, um die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen für eine Entscheidung klarzustellen. Im vorliegenden Fall wurde der Mangel an mündlicher Anhörung des Sachverständigen als gravierender Verfahrensfehler wahrgenommen, der einer sorgfältigen Aufklärungspflicht widerspricht und zur Aufhebung des Beschlusses führte.

Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Celle – Az.: 1 Ws 126/24 – Beschluss vom 29.04.2024


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