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Impfausweise nachgemacht und verkauft – Urkundenfälschung?

Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 1 Ws 114/21 – Beschluss vom 27.01.2022

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 34, vom 22. Dezember 2021 unter Verwerfung der Beschwerde im Übrigen aufgehoben, soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Fälle 2 bis 9 und 11 der Anklage vom 22. November 2021 (Az.: 6150 Js 12/21) gegen den Angeschuldigten … abgelehnt wurde.

Auch insoweit wird die vorgenannte Anklage der Staatsanwaltschaft mit der Maßgabe zur Hauptverhandlung zugelassen, dass

a) in Fall 6 der Termin für die Erstimpfung „12.05.2021“ lautet,

b) im Fall 11 in tatsächlicher Hinsicht Gegenstand des Anklagevorwurfs ist, dass der Angeschuldigte … bis zum 9. September 2021 gegen 13:55 Uhr in der Wohnung in der …, 22147 Hamburg sechs Impfausweise mit von ihm zuvor mittels Label-Printer selbst ausgedruckten Aufklebern für Impfdosen des Vakzins „Cominarty“ des Herstellers BioNTec/Pfizer und mit verschiedenen Chargennummern, angeblichen Verabreichungsdaten sowie mit dem Stempel „Landkreis Harburg, Impfzentrum Buchholz, Richard-Schmidt-Straße 27, 21244 Buchholz i.d.N.“, der nachgemachten oder erfundenen Unterschrift eines Arztes und den Personalien der angeblich geimpften Personen versah, um die Impfausweise gewinnbringend an Dritte zu verkaufen.

Das Hauptverfahren wird auch insoweit vor dem Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 34, eröffnet.

Lesen Sie hier mehr über die Strafbarkeit bei gefälschten Impfausweisen.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die teilweise Nichteröffnung einer Anklage vom 22. November 2021 in Bezug auf zehn dem Angeschuldigten … zur Last gelegte Taten.

1. Den Angeschuldigten wird vorgeworfen, zwischen Juli und September 2021 gemeinschaftlich unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben (Fall 1 der Anklage vom 22. November 2021). Darüber hinaus wird dem Angeschuldigten … zur Last gelegt, in zehn Fällen gewerbsmäßig Urkundenfälschung begangen zu haben. Zur Begehung dieser Taten soll der Angeklagte jeweils in der Absicht, sich aus dem wiederholten Verkauf von gefälschten Impfpässen eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen, entweder an seiner Wohnanschrift in der … .., 22111 Hamburg, oder in einer Wohnung in der …, 22147 Hamburg (Blanko-) Impfpässe mit den Namen seiner jeweiligen Kunden versehen, Eintragungen über angeblich erfolgte Erst- und Zweitimpfungen gegen das Sars-CoV-2-Virus mit Daten der beiden Impfungen, dem Impfstoff „Comirnaty“ und jeweils einer Chargennummer eingetragen, das Dokument mit einem Stempel mit dem Aufdruck „Landkreis Harburg, Impfzentrum Buchholz, Richard-Schmidt-Straße 27, 21244 Buchholz i.d.N.“ versehen und die Eintragungen mit einer nachgeahmten bzw. erfundenen Unterschrift des angeblichen Impfarztes abgezeichnet und die so hergestellten Impfzertifikate für zumeist je 200,- € je Stück an seine – wie er wusste – nicht gegen das Sars-CoV-2-Virus geimpften Kunden übergeben haben, damit diese die Möglichkeit hatten, sich gegenüber Dritten, z.B. in Apotheken, bei Veranstaltungen, in der Gastronomie, beim Reisen oder beim Arbeitgeber als geimpfte Personen auszugeben (Fälle 2 bis 11 der Anklage vom 22. November 2021). In Fall 10 der Anklage enthielt der Impfausweis allerdings noch keine Angaben zu der angeblich geimpften Person. In Fall 9 soll die Abnehmerin den manipulierten Impfpass in einer Apotheke vorgezeigt haben, um sich auch ohne tatsächlich durchgeführte Vakzination ein digitales Impfzertifikat ausstellen zu lassen, was aber nicht gelang, weil die Fälschung erkannt wurde.

2. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2021 hat das Landgericht Hamburg das Hauptverfahren nur hinsichtlich des Falles 1 der Anklage vom 22. November 2021 eröffnet und die Eröffnung hinsichtlich der Fälle 2 bis 11 der Anklage vom 22. November 2021 aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich zwar bei einem Impfausweis um ein Gesundheitszeugnis i.S.d. § 277 StGB a.F. handele, es jedoch an einem Gebrauchmachen des Gesundheitszeugnisses fehle. Auch eine Strafbarkeit nach § 267 StGB scheide aus, da die Anwendung dieser Vorschrift durch § 277 StGB a.F. als speziellere Regelung gesperrt werde, obschon die weiteren Voraussetzungen der Strafbarkeit nach § 277 StGB a.F. nicht gegeben seien.

Gegen die teilweise Nichteröffnung durch das Landgericht Hamburg richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 23. Dezember 2021.

II.

Die nach § 210 Abs. 2 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde gegen die teilweise Nichteröffnung (§ 207 Abs. 2 Nr. 1 StPO) hat in der Sache ganz überwiegend Erfolg. Der Angeklagte … ist auch der ihm vorgeworfenen Taten der gewerbsmäßigen Urkundenfälschung in 9 Fällen (Fälle 2 bis 9 und 11 der Anklage vom 22. November 2021) hinreichend verdächtig. In Fall 10 besteht gegen ihn jedoch aus rechtlichen Gründen kein hinreichender Tatverdacht wegen Urkundenfälschung.

1. In tatsächlicher Hinsicht ergibt sich der hinreichende Tatverdacht in den Fällen 2 bis 11 der Anklage vom 22. November 2021 aus den in der Anklage bezeichneten Beweismitteln, namentlich der teilgeständigen Einlassung des Angeschuldigten …, den Angaben der Zeugin …, den Erkenntnissen aus der Observation, der Durchsuchung und der Überwachung der Telekommunikation sowie aus den sichergestellten Impfausweisen, dem sichergestellten Labeldrucker nebst Aufklebern und dem sichergestellten Stempel.

Impfausweise nachgemacht und verkauft – Urkundenfälschung?
(Symbolfoto: Ralf Geithe/Shutterstock.com)

Hinsichtlich des Falles 11 der Anklage vom 22. November 2021 weist der Senat klarstellend darauf hin, dass Gegenstand des Vorwurfs die Herstellung gefälschter Urkunden durch eigenhändiges Versehen von sechs Blanko-Impfausweisen mit den entsprechenden Eintragungen zur Erst- und Zweitimpfung nebst selbst hergestellten Aufklebern zum angeblich verwendeten Impfstoff einschließlich Chargen-Nummern, dem Stempelaufdruck und der nachgeahmten oder erfundenen Unterschrift des angeblichen Impfarztes sowie den Personalien der angeblich geimpften Personen ist. Auch wenn im konkreten Anklagesatz zu Fall 11 lediglich von „verfügen“ die Rede ist, ergibt sich in der Gesamtschau, insbesondere unter Berücksichtigung der allgemeinen Darstellung im konkreten Anklagesatz zu den Fällen 2 bis 11, dass dem Angeschuldigten das – hinreichend wahrscheinliche – eigenhändige Versehen der Impfausweise mit den entsprechenden Angaben vorgeworfen wird.

2. In den Fällen 2 bis 9 und 11 der Anklage wird der Angeschuldigte auf Basis des wahrscheinlichen Sachverhalts wegen gewerbsmäßiger Urkundenfälschung i.S.d. § 267 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB zu verurteilen sein.

a) Insbesondere handelte es sich bei den von ihm wahrscheinlich hergestellten vollständigen Impfdokumentationen um verkörperte Gedankenerklärungen, die zum Beweise geeignet und bestimmt waren und ihren Aussteller erkennen ließen und damit um Urkunden.

Scheinbarer Aussteller war der angebliche Impfarzt.

Den vollständig ausgefüllten Impfdokumentationen war die zum Beweise geeignete und bestimmte Gedankenerklärung des Impfarztes zu entnehmen, dass die genannte Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Datum erhalten habe (vgl. § 22 Abs. 2 IfSG) und dass hierbei das Vakzin einer bestimmten Charge verwendet worden sei.

Soweit die Impfdokumentationen dagegen nicht vollständig ausgefüllt waren, weil sie den Namen des Geimpften nicht enthielten, fehlt es an einer Gedankenerklärung und damit einer Urkunde. Ermangelt es an einer Eintragung der Personalien des Passinhabers, ergibt die Auslegung des Dokumentes keinerlei Erklärungsgehalt. Das gilt nicht nur für die Person des Geimpften, sondern auch hinsichtlich der Chargennummer. Denn ohne die Eintragung eines Namens kann ein Leser nicht davon ausgehen, dass überhaupt eine Impfung erfolgt ist. Damit bleibt trotz der Eintragung der Chargennummer auch offen, ob der bezeichnete Impfstoff wirklich verwendet worden ist.

Im Fall 11 besteht hiernach der hinreichende Tatverdacht wegen Urkundenfälschung nur hinsichtlich der sechs vollständig ausgefüllten und mit Personalien der angeblich geimpften Person versehenen Impfausweise. Bei den weiteren aufgefundenen Impfpässen handelt es sich wegen der fehlenden Eintragung von Personalien des Passinhabers mangels Gedankenerklärung nicht um Urkunden. Ausweislich des Zusatzberichts zu den aufgefundenen Impfpässen im Objekt … vom 13. September 2021 nebst zugehöriger Lichtbilder von den sichergestellten Impfpässen enthalten diese zwar teilweise Eintragungen zum Datum und zum angeblich verwendeten Impfstoff und in einigen Fällen auch den Stempelaufdruck und eine nachgeahmte oder erfundene Unterschrift des angeblichen Impfarztes, nicht jedoch die Personalien der angeblich geimpften Person.

b) Die Urkunden waren aufgrund der Täuschung über den Aussteller falsch.

3. Die Anwendung des Straftatbestandes der Urkundenfälschung wird in den genannten Fällen nicht durch § 277 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung ausgeschlossen.

a) Allerdings handelt es sich bei schriftlichen Impfdokumentationen i.S.d. § 22 Abs. 1 IfSG – zumindest auch – um Zeugnisse über einen Gesundheitszustand i.S.d. § 277 StGB a.F.. Dagegen spricht zwar auf den ersten Blick bei unbefangener und enger Wortlautbetrachtung, dass zum Gesundheitszustand primär das „gesundheitliche Befinden“ (vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 9. Aufl. 2019) zu rechnen ist. So verstanden würde die Impfung als solche nicht darunter fallen. Demgegenüber versteht die ganz herrschende Ansicht in Rechtsprechung (seit RGSt 24, 284, 285 ff.; vgl. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732-733/21 –, juris, Rn. 14) und Schrifttum (Heine/Schuster in Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 277 Rn. 2; Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 277 Rn. 2, Zieschang in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2009, § 277 Rn. 2, jeweils m.w.N.; Pietsch, Kriminalistik 2022, 21) unter Gesundheitszeugnissen zutreffend nicht nur Zeugnisse über den gegenwärtigen Gesundheitszustand eines Menschen, sondern u.a. auch Zeugnisse über die Aussichten, von bestimmten Krankheiten befallen oder von ihnen verschont zu werden, und rechnet dazu Impfnachweise (vgl. RGSt 24, 284, 285 ff.). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Eine Aussage über die Veränderung des Gesundheitszustandes wird auch durch die implizit in einem Impfnachweis enthaltene Feststellung getroffen, dass die Gesundheit – wahrscheinlich – durch Impfung geschützt ist.

b) Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit § 277 StGB a.F. in Bezug auf Gesundheitszeugnisse die Anwendung des § 267 StGB ausgeschlossen hat, kommt eine solche Verdrängung in den verfahrensgegenständlichen Fällen aber schon deswegen nicht in Betracht, weil die vom Angeschuldigten hergestellten Impfdokumentationen nicht in Gänze als Gesundheitszeugnisse anzusehen sind. Die Dokumentationen enthalten auch Tatsachenangaben, die keinen Bezug zum Gesundheitszustand i.S.d. § 277 StGB a.F. aufweisen. Das gilt jedenfalls für die Chargennummer des angeblich eingesetzten Impfstoffes (vgl. § 22 Abs. 2 Nr. 2 IfSG). Soweit die Impfpässe vollständig mit dem Namen des Geimpften ausgefüllt waren, steht neben der Erklärung, der Genannte sei geimpft worden, die hiervon zu trennende weitere Erklärung, der Unterzeichner habe den bezeichneten Impfstoff aus der genannten Charge verwendet.

Auch diese Information, die in keinem Zusammenhang mit dem Gesundheits-zustand des Geimpften steht, wird von der Ausstellergarantie mit erfasst. Hiernach weisen die vom Angeschuldigten hergestellten Impfpässe neben Gesundheitszeugnissen auch eine hiervon zu trennende Urkundeneigenschaft auf. Wären beide Erklärungen in getrennte Dokumentationen eingegangen, könnte § 277 StGB fraglos keine Sperrwirkung entfalten. Nichts anderes kann allerdings bei einer Zusammenführung gelten. Die Auswirkungen auf den Rechtsverkehr unterscheiden sich insoweit nicht.

c) Überdies wird die Anwendung des § 267 StGB in den vorliegenden Fällen auch insoweit, als es sich bei den Impfdokumentationen um Gesundheitszeugnisse handelte, nicht durch § 277 StGB a.F. verdrängt.

Eine Sperrwirkung durch die zur Tatzeit geltende Fassung des § 277 StGB konnte nach Ansicht des Senats allenfalls insoweit bestehen, als es sich um Gesundheitszeugnisse handelte, die ausschließlich zum Einsatz bei Behörden und Versicherungsgesellschaften bestimmt waren. Der Senat vermag insoweit der überwiegend vertretenen Gegenansicht nicht zuzustimmen. Im Einzelnen:

aa) Die überwiegende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung geht davon aus, dass es sich bei § 277 StGB a.F. im Verhältnis zu § 267 StGB um eine umfassende Privilegierung handelte. Im Ergebnis sollte der Umgang mit gefälschten Gesundheitszeugnissen hiernach ausschließlich von § 277 StGB a.F. erfasst werden. Lagen die Voraussetzungen des § 277 StGB a.F. nicht vor – etwa, weil es an einem Gebrauchmachen gegenüber Behörden oder Versicherungen fehlte –, wäre eine Bestrafung nach § 267 StGB hiernach ausgeschlossen gewesen (Erb a.a.O. § 277 Rn. 9, 11 m.w.N.; Zieschang a.a.O. Rn. 16; Hoyer in Systematischer Kommentar zum StGB, 9. Auflage 2017, § 277 Rn. 5; Lorenz, medstra 2021, 210 ff.; Gaede/ Krüger, NJW 2021, 2159, 2163; Pietsch, Kriminalistik 2022, 21, 22; Heinze, Jura 2021, 1252, 1255; OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732-733/21 –, juris, Rn. 16 ff.; LG Osnabrück, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 3 Qs 38/21 –, juris ; LG Karlsruhe, Beschluss vom 26. November 2021 – 19 QS 90/21 –, juris; LG Landau, Beschl. v. 21.12.2021 – 5 Qs 93/21 = BeckRS 2021, 39654; LG Kaiserslautern, Beschl. v. 23.12.2021 – 5 Qs 107/21 -; wohl auch Heger in Lackner/Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, § 277 Rn. 5; vgl. auch OLG Stuttgart NJW 2014, 482).

bb) Bei der Auslegung des Gesetzes erscheint der historische Wille des Gesetzgebers nicht nur angesichts des Alters der Normen und des seither erfolgten vielfältigen allgemeinen Bedeutungswandels des Strafrechtes in seinem Gewicht vermindert (vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 12. Aufl. 2018, S. 164; Larenz/ Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1995, S. 138 f.). Hinzu kommt, dass sich die Vorschrift des § 277 StGB auf die unreflektierte Übernahme einer Vorgängerregelung zurückführen lässt, der im Gesetzesgefüge im Zeitpunkt ihres Erlasses eine heute nicht mehr vorhandene Funktion zukam. Die Tatbestände der §§ 267, 277 StGB wurden aus dem RStGB übernommen. Bereits bei der Schaffung des RStGB hatte der seinerzeitige Gesetzgeber die Vorschriften der §§ 267, 277 StGB in ähnlicher Ausgestaltung (bei im Hinblick auf § 267 RStGB allerdings als zweiaktiges Delikt) nebeneinander gestellt. Anders als die Regelung des § 267 RStGB lässt sich der Ursprung des § 277 StGB indes noch weiter zurückverfolgen. Die Norm wurde übernommen aus dem preußischen Strafgesetzbuch (im Folgenden: pStGB), und zwar dem dortigen § 256 pStGB, in dem es hieß: „Wer unter dem Namen eines Arztes, Wundarztes oder einer anderen Medizinalperson ein Zeugnis über seinen oder eines Anderen Gesundheitszustand ausstellt, und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht, wird …bestraft…“. Die Funktion der Norm bestand jedenfalls auch gerade darin, die Strafbarkeit der Urkundenfälschung zu erweitern. Denn der Tatbestand der allgemeinen Urkundenfälschung war im Vergleich zu § 267 StGB deutlich eingeschränkt. § 247 Abs. 2 des pStGB verstand unter einer Urkunde lediglich solche „Schriften, welche zum Beweise von Verträgen, Verfügungen, Verpflichtungen, Befreiungen oder überhaupt von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit“ sind. Daneben war die Absicht erforderlich, mittels der Fälschung „sich oder anderen Gewinn zu verschaffen oder anderen Schaden zuzufügen“. Die allgemeine Urkundenfälschung stellte hiernach nicht alle Fälschungen unter Strafe (vgl. Georg Beseler, Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten und das Einführungsgesetz vom 14. April 1851 nach amtlichen Quellen, Leipzig 1851, S. 474/475; Theodor Goltdammer, Die Materialien zum Straf-Gesetzbuche für die Preußischen Staaten aus den amtlichen Quellen nach den Paragraphen des Gesetzbuches, Bd. 2, Berlin 1852, S. 587 ff.). Insbesondere wurden Gesundheitszeugnisse, deren Beweiseignung sich ausschließlich auf die Feststellung des Gesundheitszustandes beschränkte, nicht erfasst. Das führte etwa dazu, dass das Herstellen eines gefälschten ärztlichen Attestes nicht tatbestandsmäßig war (Beseler a.a.O. S. 474/475). Die Fälschung eines Impfzeugnisses dürfte hiernach ebenfalls, anders als heute infolge der aktuellen Fassung des § 267 StGB (s.o. 2.), nicht unter den Tatbestand gefallen sein. § 256 des pStGB erweiterte hiernach die Strafbarkeit für die genannten Fälle, indem er auf die an Urkunden gestellten Anforderungen verzichtete und vor allem auch nicht die in der allgemeinen Urkundenfälschung verlangte Gewinn- oder Schädigungsabsicht verlangte. Da § 277 StGB a.F. im Normengefüge des StGB die beschriebene Funktion der Strafbarkeitserweiterung nicht mehr zukommen konnte und die Vorschrift deswegen notwendig eine andere systematische Einordnung erhielt, kann der Ursprung der Norm im pStGB für die Bestimmung des Verhältnisses von § 267 StGB zu § 277 StGB a.F. – bei dem es eben gerade um eine systematische Frage geht – schon deswegen keine weiterführenden Erkenntnisse erbringen. Hinzu kommt, dass auch das pStGB keine eindeutige Aussage zum Verhältnis der allgemeinen Urkundenfälschung zu § 256 des pStGB traf. Insoweit erscheint lediglich gesichert, dass § 256 pStGB dann die Anwendung der allgemeinen Urkundenfälschung verdrängte, wenn seine Voraussetzungen vorlagen (vgl. Beseler a.a.O. S. 482). Ob dies angesichts der strafbarkeits-erweiternden Funktion auch dann der Fall war, wenn bei der Herstellung eines Gesundheitszeugnisses die weiteren Voraussetzungen des § 256 pStGB nicht vorlagen, wohl aber diejenigen der allgemeinen Urkundenfälschung, erscheint zweifelhaft (a.A. wohl Beseler a.a.O.).

cc) Die entscheidende Frage nach dem aus heutiger Sicht zu bestimmenden verobjektivierten Willen des Gesetzgebers muss mangels ausdrücklicher Bestimmung des Verhältnisses der §§ 267, 277 a.F. StGB zueinander vorwiegend aus der Systematik des zur Tatzeit geltenden Gesetzes heraus beantwortet werden.

dd) Auf Basis der Deutung der überwiegenden Ansicht würde sich nach alter Fassung des § 277 StGB eine Systematik ergeben, bei der Urkundenfälschung generell unter Strafe stand, mit Ausnahme speziell der Fälschung von Gesundheitszeugnissen. Die Fälschung von Gesundheitszeugnissen wäre grundsätzlich straflos gewesen, mit Ausnahme lediglich des Gebrauchs gefälschter Zeugnisse gegenüber Behörden und Versicherungen. Dieser Interpretation entsprechend hätte der Gesetzgeber den Rechtsverkehr grundsätzlich als nicht schützenswert im Hinblick auf gefälschte Gesundheitszeugnisse eingestuft. Eine – angesichts des Strafrahmens nur leichte – Überschreitung der Grenze zur Strafwürdigkeit hätte lediglich im Hinblick auf Behörden und Versicherungen vorgelegen. Die Begehung gegenüber Behörden und Versicherungen wäre hiernach als unrechtserhöhend zu begreifen gewesen.

Während es auf Basis der herrschenden Ansicht grundsätzlich keinen Schutz des Rechtsverkehrs vor gefälschten Gesundheitszeugnissen gegeben hätte, wäre das Beweisführungsrecht mit echten Gesundheitszeugnissen durch § 274 StGB geschützt gewesen. Insoweit wären Gesundheitszeugnisse nicht anders behandelt worden als andere Urkunden.

ee) Die vorgenannte systematische Einordnung des § 277 StGB a.F. vermag nicht zu überzeugen.

(1) Dem Gesetz ist in der systematischen Gesamtbetrachtung nicht zu entnehmen, dass gefälschte Gesundheitszeugnisse grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich der Urkundenfälschung herausfallen sollten. Die systematische Auslegung ergibt folgendes Bild: Der Tatbestand der Urkundenfälschung schützt – und schützte zur Tatzeit – den Rechtsverkehr umfassend vor Herstellung und Gebrauch unechter Urkunden. Eine Beschränkung auf Bereiche, die als besonders bedeutsam oder schützenswert angesehen werden, findet gerade nicht statt. Erforderlich ist lediglich eine Ausrichtung auf rechtserhebliches Verhalten, dessen Bedeutung und Auswirkungen gering sein können. Eine überwiegende Herausnahme der Gesundheitszeugnisse aus dem Anwendungsbereich der Urkundenfälschung wäre hiernach eine atypische Ausnahme und stünde in einem für jeden Rechtsanwender überraschend weitreichenden Gegensatz zur grundsätzlichen Regelung der Urkundendelikte. Auch nur ansatzweise Gründe hierfür lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen. Aufgrund der großen Anwendungsbreite des § 267 StGB steht außer Frage, dass die Norm eine Vielzahl von Urkunden mit Lebenssachverhalten erfasst, deren Bedeutung für den Rechtsverkehr geringer ist als diejenige von Gesundheitszeugnissen. Dass das Gesetz nicht den Themenbereich „Gesundheit“ atypisch behandeln wollte, zeigt sich hierbei bereits an dem Umstand, dass sonstige Urkunden mit Bezug zu Gesundheitsthemen, die nicht die Voraussetzungen eines Gesundheitszeugnisses erfüllen, nicht von § 277 StGB a.F. erfasst wurden. Ein sachlicher Differenzierungsgrund für die Ungleichbehandlung der Gesundheits-zeugnisse hätte hiernach allenfalls noch in der Ausstellereigenschaft als Arzt oder als andere approbierte Medizinalperson gefunden werden können. Der Schutz des Rechtsverkehrs gerade vor Täuschungen über den Aussteller eines Gesundheits-zeugnisses hätte vom Gesetz dann als geringer eingestuft worden sein müssen. Davon kann indes nicht ausgegangen werden. Inhaltlich betreffen ärztliche Zeugnisse häufig sensible Bereiche und Themen mit Potential für weitgehende rechtliche Auswirkungen. Rechtlich findet die Anerkennung der hohen Bedeutung ihren Niederschlag nicht zuletzt in §§ 203 Abs. 1 Nr. 1, 278 StGB, § 53 StPO. Der Person des Ausstellers kommt hierbei im Hinblick auf berufliche Stellung, Expertise und Titel besonderes Gewicht zu. Auch dies spiegelt sich in anderen Vorschriften, etwa § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB, wider.

Gegen eine (frühere) Gesetzessystematik, die Täuschungen mit Gesundheits-zeugnissen als generell weniger strafwürdig einstufte, spricht nicht zuletzt auch die erste Alternative des § 277 StGB a.F.. Insoweit wurde nämlich die Strafbarkeit im Verhältnis zu sonstigen Urkundendelikten gerade erweitert, und zwar um die Qualifikationstäuschung.

Gegen eine vom Gesetz in der alten Fassung gewollte generelle Sonderbehandlung von Gesundheitszeugnissen ist darüber hinaus anzuführen, dass Gesundheits-zeugnisse aufgrund des Fehlens diesbezüglicher Regelungen in den §§ 277 ff. StGB nicht anders als andere Urkunden der Urkundenunterdrückung des § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterfielen. Auch dies bestätigt die Annahme, dass das Gesetz in § 277 StGB a.F. nicht entscheidend an die Eigenschaft der Urkunde als Gesundheitszeugnis anknüpfte.

Nach allem kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Gesetz Gesundheits-zeugnisse grundsätzlich anders behandeln wollte als sonstige Urkunden.

Die gesetzliche Überschrift des § 277 StGB a.F. („Fälschung von Gesundheits-zeugnissen“) steht dieser Annahme nicht entgegen. Zwar mag diese auf den ersten Blick zunächst einen Anhaltspunkt dafür zu geben, dass jegliche Fälschungen von Gesundheitszeugnissen speziell und ausschließlich von § 277 StGB a.F. geregelt werden sollten. Der erste Eindruck täuschte indes. Dass die Norm entgegen dem ersten Eindruck nicht jegliche Fälschungen von Gesundheitszeugnissen regelte, zeigt sich schon daran, dass nur Gesundheitszeugnisse erfasst wurden, die unter dem Namen approbierter Medizinalpersonen ausgestellt worden waren. Die Funktion der Überschrift des § 277 StGB bestand hiernach erkennbar lediglich darin, den Blick schlagwortartig auf eine Sondernorm zu lenken, die bestimmte, aber eben nicht alle Fälle der Fälschung von Gesundheitszeugnissen erfasste. Für die genaue Bestimmung der Grenzen des Anwendungsbereiches lieferte die allgemein gehaltene Überschrift keine Informationen.

(2) Ebenso sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass das StGB seiner Systematik nach den Gebrauch falscher Gesundheitszeugnisse nach Gesetzeslage zur Tatzeit gerade gegenüber Behörden und Versicherungen als unrechtserhöhend einstufte.

Bei historischer Betrachtung ist zwar davon auszugehen, dass die Vorläuferregelung aus dem pStGB eben dies vornahm, da § 256 pStGB in seiner strafbarkeitserweiternden Funktion (oben c) bb)) hieran anknüpfte. Angesichts des Funktionswandels der Norm in der Fassung des § 277 StGB a.F. und ihrer notwendig neuen systematischen Einordnung kann der historischen Zweckbestimmung indes keine entscheidende Bedeutung mehr zuerkannt werden (vgl. oben c) bb)). Der objektivierte Wille des Gesetzgebers hinsichtlich der zur Tatzeit der Norm zukommenden Zweckbestimmung kann daher alleine der zur Tatzeit bestehenden Gesetzessystematik entnommen werden.

Hierbei fällt auf, dass das Gesetz angesichts der weitreichenden Erfassung von Fälschungen durch § 267 StGB keine Hinweise darauf enthält, die rechts-erheblichen Auswirkungen der Vorlage von Zeugnissen gegenüber Privatleuten oder privaten Unternehmen – etwa in Gestalt von Arbeitgebern – generalisierend als geringer einzustufen als die Vorlage bei Behörden oder Versicherungen. Auch tatsächliche Anknüpfungspunkte außerhalb des Gesetzes bestehen insoweit nicht. Gegen eine erhöhte Schutzwürdigkeit spricht, dass gerade Behörden und Versicherungen häufig die Möglichkeit haben, Gesundheitszeugnisse durch selbst beauftragte Sachverständige – etwa Amtsärzte im Auftrag einer Behörde – zu überprüfen. Hierin findet sich ein Ansatzpunkt, speziell die Vorlage gegenüber Behörden und Versicherungen als Grund für eine Privilegierung – und damit im Gegensatz zur herrschenden Meinung als verringertes Unrecht – zu begreifen. Hierfür spricht noch ein weiterer Grund: Gegenüber Versicherungen, vor allem aber auch gegenüber Behörden, wird der Täter häufig jedenfalls faktisch gezwungen sein, gesundheitliche Zeugnisse einzureichen. Damit wird häufig auch gerade der Zwang verbunden sein, sensible und grundsätzlich erhöhtem Geheimhaltungs-schutz auch gegenüber dem Staat (vgl. §§ 203 Abs. 1 Nr. 1, 278 StGB, § 53 StPO) unterliegende Informationen, die im Einzelfall nachteilig sein können, aktiv preiszugeben. Auch das Handeln aus dieser Zwangslage heraus vermag eine Privilegierung zu erklären.

ff) Zutreffend erscheint es hiernach, den Regelungsbereich des zur Tatzeit geltenden § 277 StGB a.F., bei dem es sich um eine atypische Ausnahmevorschrift handelte, einschränkend auszulegen. Die Norm regelte nicht jeglichen Umgang mit gefälschten Gesundheitszeugnissen. Vielmehr sollte nur gerade die Vorlage gefälschter Gesundheitszeugnisse bei Behörden und Versicherungen privilegiert werden (Puppe/Schumann in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 277 Rn. 13; Matt/Renzikowski, Strafgesetzbuch, 2. Auflage 2020, § 277 Rn. 12; Heinze, Jura 2021, 1252, 1258; vgl. auch Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 277 Rn. 11). Wurden Gesundheitszeugnisse hingegen in anderer Weise im Rechtsverkehr eingesetzt, wurde dies nicht von § 277 StGB a.F., sondern von § 267 StGB erfasst.

gg) Im Einklang mit einer solchen Sichtweise steht jedenfalls im Ergebnis Rechtsprechung, die die Fälschung von ärztlichen Rezepten als Urkundenfälschung i.S.d. § 267 StGB anerkannt (BGH, Urteil vom 02.11.2010 – 1 StR 579/09, Rn. 56 ff.) und dementsprechend nicht als von § 277 StGB ausgeschlossen angesehen hat. Ein entscheidender Unterschied zur hiesigen Fallkonstellation besteht insoweit nicht. Denn wenn in einen Impfnachweis die Erklärung über künftige Aussichten, von Krankheit verschont zu werden, hineingelesen wird, dann dürfte in eine Rezepterstellung erst recht der Anlass mit hineinzulesen sein, etwa in Gestalt einer akut medikamentös behandlungsbedürftigen Erkrankung (aA allerdings OLG Köln, MDR 2021, 363 ff.; wie hier LG Köln, Beschl. v. 7.7.2016 – 105 Qs 165/16 -, BeckRS 2016, 118308). Beinhaltet die Bestätigung einer Rezeptverwendung (die Impfdoku-mentation) eine Aussage über die Veränderung des Gesundheitszustandes („Gesundheit ist durch Impfung geschützt“), wird auch in der Rezeptausstellung eine Aussage zu der entsprechenden Thematik enthalten sein („Gesundheit muss durch Impfung geschützt werden“). Auch dieser Umstand ist für die Frage nach dem Gesundheitszustand erheblich (vgl. RGSt 24, 284, 286 zur Argumentation beim Impfnachweis).

hh) Der hier vertretenen Ansicht steht nicht entgegen, dass auf den ersten Blick die Privilegierung des § 277 StGB a.F. und seine tatbestandlichen Grenzen dadurch drohten unterlaufen zu werden, dass im Zeitpunkt der Herstellung eines gefälschten Gesundheitszeugnisses bereits der Tatbestand des § 267 StGB verwirklicht worden sein konnte, ohne, dass es noch auf einen Gebrauch gegenüber Behörden oder Versicherungen angekommen wäre. Dieser Problematik ist dadurch Rechnung zu tragen, dass Gesundheitszeugnisse, deren Zweckbestimmung zur Täuschung im Rechtsverkehr sich lediglich auf Behörden und Versicherungen bezog, insoweit aufgrund privilegierender Spezialität ausschließlich von § 277 StGB a.F. erfasst wurden. Die Herstellung alleine stand damit nicht unter Strafe.

ii) Das zuvor dargestellte, aus teleologischen und systematischen Erwägungen abgeleitete Auslegungsergebnis verstößt nicht gegen die Wortlautgrenze des Art. 103 Abs. 2 GG. Der Straftatbestand des § 267 StGB erfasst die Herstellung gefälschter Impfnachweise. Ausdrückliche Hinweise auf einen Anwendungsvorrang des § 277 StGB enthält das Gesetz nicht (LG Heilbronn, Beschluss vom 11. Januar 2022 – 1 Qs 95/21 –, juris, Rn. 11). Ein solcher drängt sich unmittelbar nur in Fällen auf, in denen die Voraussetzungen des § 277 StGB vorliegen. Ist dies nicht der Fall, führt nicht der Wortlaut, sondern führen Überlegungen zur Gesetzessystematik die überwiegende Ansicht zu dem Ergebnis eines Anwendungsvorranges (vgl. Puppe/Schumann a.a.O. Rn. 13). Mit den obigen Ausführungen wird indes aufgezeigt, dass die Gesetzessystematik in Fällen der vorliegenden Art gerade keinen Anwendungsvorrang des § 277 StGB gebietet.

d) Gemessen an den zuvor entwickelten Maßstäben ist der hinreichenden Verdachtslage nach in den vorliegenden Fällen die Anwendung des § 267 StGB nicht ausgeschlossen. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit lag die Zweckbestimmung der gefälschten Impfdokumentationen nicht ausschließlich darin, diese gegenüber Behörden oder Versicherungen vorzulegen, sondern zumindest auch gegenüber Dritten, etwa bei Veranstaltungen, in der Gastronomie oder gegenüber Arbeitgebern.

4. Ein hinreichender Tatverdacht wegen tateinheitlicher Beihilfe zum Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß §§ 279, 27 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung im Fall 9 der Anklage dadurch, dass der Angeklagte der Zeugin … die Vorlage der gefälschten Impfdokumentation bei einer Apotheke ermöglicht hat, besteht gegen den Angeschuldigten nicht.

a) Insoweit kann dahinstehen, ob die Anwendung der Norm – was naheliegt – durch die Strafbarkeit nach § 267 Abs. 1 StGB (oben 2.) verdrängt wird (vgl. BGH, NStZ 2013, 40; BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 156/08 – juris, Rn. 11; Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2022, § 267 Rn. 219).

b) Denn jedenfalls fehlt es bereits an einer entsprechenden Haupttat.

Durch die Vorlage des gefälschten Impfausweises durch die Zeugin … bei der Apotheke hat sich diese nicht des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse i.S.d. § 279 StGB a.F. hinreichend verdächtig gemacht.

aa) Zwar handelt es sich bei der Impfdokumentation um ein Gesundheitszeugnis der in § 277 StGB a.F. bezeichneten Art (s.o. 2. a)).

bb) Die Zeugin hat von diesem aber nicht zum Zwecke der Täuschung einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft Gebrauch gemacht, indem sie es bei der Apotheke vorlegte. Dem steht auch nicht entgegen, dass ihr Verhalten darauf ausgerichtet war, den für das Robert Koch-Institut handelnden Apotheker zu einer Ausstellung eines elektronischen Impfzertifikates zu bestimmen.

(1) Insoweit ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Das von der Zeugin erstrebte digitale Zertifikat (COVID-19-Impfzertifikat) war nach § 22 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 IfSG von dem Apotheker „zu bescheinigen“ und sollte die Durchführung der Schutzimpfung bestätigen. Nach § 22 Abs. 5 S. 3 IfSG hatte der Apotheker als die zur Bescheinigung der Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 verpflichtete Person zur Erstellung des von der Zeugin begehrten COVID-19-Impfzertifikats die erforderlichen Daten an das Robert Koch-Institut (RKI) und damit einer Behörde (§ 4 Abs. 1 S. 1 IfSG) zu übermitteln, das das COVID-19-Impfzertifikat „technisch zu generieren“ hatte. In tatsächlicher Hinsicht war es hiernach Aufgabe des Apothekers, die ihm vorgelegten Dokumente auf Echtheit und Plausibilität zu prüfen. War das Ergebnis dieser Prüfung die Echtheit und damit die Berechtigung zu einem Zertifikat, oblag es dem Apotheker, unter Nutzung vom RKI zur Verfügung gestellter Software und Datenaustausch mit Servern des RKI die Erstellung eines QR-Codes auf den Servern des RKI auszulösen, diesen entgegenzunehmen und dem Geimpften zugänglich zu machen. Im Einzelnen loggte sich der Apotheker auf einer Webseite des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) im dortigen Impfzertifikatsmodul ein und gab hier die erforderlichen Daten des Geimpften und der Impfung in eine Erfassungsmaske ein. Indem er dies – durch seine Entscheidung – zum Abschluss brachte, wurde automatisch ein QR-Code erstellt. Dies erfolgte durch Datenübertragung mittels eines kostenlos vom RKI zur Verfügung gestellten Onlinedienstes („Impfzertifikatsservice“ des RKI). Das RKI verarbeitete automatisiert im Rahmen des Impfzertifikatsservice die vom Apotheker eingegebenen Daten zur technischen Generierung der angeforderten Covid-19 –Zertifikate. U.a. wurde der Datensatz hierbei auf dem RKI-Server mit einer elektronischen Signatur versehen, die vor Manipulation und Fälschung schützen sollte. Anschließend wurden die Daten dem Apotheker in Gestalt eines QR-Codes zum Abruf bereitgestellt. Dieser konnte direkt angezeigt oder ausgedruckt werden. Durch das Einscannen des QR-Codes erhielt der Geimpfte sodann das Zertifikat des RKI auf seinem Handy. Eine weitere Prüfung durch Mitarbeiter des RKI fand in diesem Rahmen nicht statt. Die auf diese Weise erstellten „digitalen Covid-Zertifikate der EU“ benennen ausdrücklich als „Zertifikataussteller“ das „Robert Koch-Institut“. Ferner beinhalten sie die vom RKI erstellte „Zertifikatkennung“. Ein Hinweis auf den Apotheker befindet sich auf ihnen nicht.

(2) Ein gefälschtes Gesundheitszeugnis gebraucht nur derjenige, wer es demjenigen, der durch dieses getäuscht werden soll, so zugänglich macht, dass dieser es wahrnehmen kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1988 – 2 StR 613/88 –, BGHSt 36, 64-67, Rn. 16). Da § 279 StGB a.F. ausschließlich Täuschungen von Versicherungsgesellschaften und Behörden i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB erfasste, mussten gerade diese in die Lage versetzt werden, vom Inhalt Kenntnis zu nehmen, und zwar durch eigene Einsichtnahme (vgl. Erb a.a.O. § 267 StGB Rn. 198). Ein Gebrauchmachen lag hiernach nur vor, wenn der Einsatz des Gesundheitszeugnisses unmittelbar auf die Täuschung einer Behörde ausgerichtet war.

Eine Kenntnisnahme durch eine „Behörde“ setzt hierbei notwendig eine Zurechnung des Wissens einer natürlichen Person voraus. Mangels Vorschriften, die den Kreis der Wissenszurechnung bei einer Behörde bestimmen, hat sich diese nach Ansicht des Senats an den Vorschriften zu orientieren, die für die Handlungszurechnung bestehen. Abzustellen ist hiernach auf diejenigen Personen, durch die eine Behörde in einem Verwaltungsverfahren handlungsfähig ist, mithin Leiter, deren Vertreter (vgl. auch BGH a.a.O. Rn. 19) oder Beauftragte der Behörde, § 12 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG. Als Beauftragte in diesem Sinne werden ausschließlich aus der Organisationseinheit der Behörde stammende Mitarbeiter angesehen, denen intern bestimmte Aufgabenbereiche zugewiesen worden sind (Geis in Schoch/Schneider, VwVfG, Werkstand: Grundwerk Juli 2020, § 12 Rn. 21; vgl. auch Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 12 Rn. 18). Personen außerhalb der Behörde fallen nicht unter den Anwendungsbereich der Norm (Sennekamp in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Auflage 2019, § 12 Rn. 24).

Nach Ansicht des Senats hat im Rahmen des § 277 StGB a.F. keine über den in § 12 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG genannten Personenkreis hinausgehende Wissens-zurechnung zu erfolgen. Das gilt insbesondere für sonstige Vertreter (vgl. § 14 VwVfG, hierzu Sennekamp, a.a.O., Rn. 24 a.E.) oder Beauftragte (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 c) StGB) der Behörde, die nicht aus dem eigenen Mitarbeiterstab stammen. Dem steht nicht entgegen, dass das Wissen von Vertretern und sonstigen Repräsentanten nach § 166 BGB dem Vertretenen zugerechnet wird. Denn hierbei handelt es sich um eine Art der Wissenszurechnung, die nicht mit der oben angesprochenen vergleichbar ist. § 12 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG bestimmt letztlich, welcher Personenkreis tatsächlich „die Behörde“ ausmacht. Die genannten Mitarbeiter – nicht nur ihr Wissen – sind als Teil der Behörde aufzufassen. Die Vertretung durch eine außenstehende Person hingegen macht diese nicht zu einem Teil der Behörde, die aber dem Gesetzeswortlaut nach „getäuscht“ werden muss. Jedenfalls bei strafrechtlicher Auslegung des Begriffes der „Behörde“ können entsprechende Personen, obwohl sie für die Behörde handeln, nicht mit dieser gleichgestellt werden. Bei unbefangener Betrachtung von außen wird alleine das Handeln für die Behörde durch eine nicht dem Mitarbeiterstab der Behörde zuzurechnende Person für den Rechtsanwender nicht hinreichend deutlich machen, es mit einer „Behörde“ zu tun zu haben.

Dieser Überlegung steht es auch nicht entgegen, wenn eine von der Behörde beauftragte Person aufgrund ihrer Aufgabenwahrnehmung i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 c) StGB als dazu bestellt anzusehen ist, im Auftrag einer Behörde Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen (vgl. hierzu einschränkend BGH, Beschluss vom 29. März 2012 – GSSt 2/11 –, BGHSt 57, 202-218, Rn. 24). Sie wäre dann zwar aufgrund der Tätigkeit für die Behörde Amtsträger i.S.d. StGB. Indes ist damit nicht gesagt, dass sie als Teil der Behörde anzusehen ist. Dass die Behörde nicht aus der Gesamtheit aller für sie tätigen Amtsträger besteht, wird schon daran erkennbar, dass als Amtsträger auch Personen gelten, die bei einer – von der Behörde zu unterscheidenden – „sonstigen Stelle“ Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 c) StGB. Daneben zeigt auch § 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB, dass zu einer Behörde nicht die außerhalb ihrer Organisation liegenden Stellen gerechnet werden, die in das Verwaltungsverfahren eingeschaltet sind und hierbei Angaben für die Behörde entgegennehmen (vgl. Fischer a.a.O. § 264 Rn. 20).

(3) Auf Basis dieser Vorgaben hat die Zeugin … von dem gefälschten Impfnachweis durch die Vorlage in der Apotheke keinen auf die Täuschung einer Behörde ausgerichteten Gebrauch gemacht. Indem sie ihn bei der Apotheke vorgelegt hat, hat sie ihn nicht der Wahrnehmung von Mitarbeitern des Robert Koch-Instituts zugänglich gemacht. Der Umstand, dass der Apotheker für das RKI tätig war, dieses bei der Erstellung des Impfzertifikates möglicherweise vertreten hat und hierbei i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 c) StGB möglicherweise dazu bestellt war, Aufgaben des RKI wahrzunehmen, ändert nichts daran, dass die Vorlage des Impfnachweises nicht dazu führte, dass „die Behörde“ – das RKI – hätte Kenntnis nehmen können. Eine Zurechnung der Kenntnisnahme durch den Apotheker erfolgt insoweit nach obigen Ausführungen nicht. Darüber hinaus waren auch keine Mitarbeiter des RKI dafür abgestellt, zumindest in Einzelfällen innerhalb des Impfzertifikats-Erstellungsvorganges persönlich einzugreifen und etwa über eine Vermittlung durch den Apotheker Einsicht zu nehmen.

5. Durch die Ermöglichung der Vorlage der gefälschten Impfdokumentation bei der Apotheke durch die Zeugin …, die damit den Zweck verfolgte, ein digitales Impfzertifikat zu erlangen, hat sich der Angeschuldigte im Fall 9 auch nicht der tateinheitlichen Beihilfe zur versuchten mittelbaren Falschbeurkundung hinreichend verdächtig gemacht, §§ 271 Abs. 1, Abs. 4, 27 StGB.

a) Soweit die Zeugin damit einen digitalen Nachweis über eine tatsächlich nicht vorgenommene Impfung erstrebte, war ihr Verhalten nicht auf die Herstellung einer öffentlichen Datei i.S.d. § 271 Abs. 1 StGB gerichtet. Denn insoweit fehlte es dem digitalen Impfzertifikat an der erforderlichen öffentlichen Beweiskraft.

aa) Allerdings wird das digitale Impfzertifikat in Gestalt des RKI von einer Behörde ausgestellt. Dem steht die maßgebliche Einbindung der Ärzte/Apotheker in die Erstellung nicht entgegen. Denn entscheidend ist, dass das RKI ausdrücklich als Aussteller erkennbar ist und damit die Verantwortung (Garantie) übernimmt. Hiernach ist es ohne Relevanz, dass die in das Verfahren eingebundenen beteiligten Ärzte/Apotheker weder als Behörde aufzufassen noch dieser zuzuordnen sind (vgl. oben 4.). Nicht diese, sondern das RKI ist Aussteller des Zertifikates.

bb) Das digitale Impfzertifikat enthält auch die an jedermann gerichtete Information, dass der Inhaber geimpft sei (vgl. § 22 Abs. 5 IfSG, Art. 2 Nr. 2 der VO Verordnung (EU) 2021/953).

cc) Der entsprechenden Information kommt indes nicht die für § 271 StGB erforderliche öffentliche Beweiswirkung zu.

(1) Der strafrechtliche Begriff der öffentlichen Urkunde bzw. Datei erfordert eine erhöhte Beweiskraft (BGH, Urteil vom 11. Januar 2018 – 3 StR 378/17 –, juris, Rn. 11 m.w.N.). Die öffentliche Datei muss für den Verkehr nach außen bestimmt sein und dem Zweck dienen, volle Beweiswirkung für und gegen jedermann zu erbringen (vgl. BGH a.a.O.; BGH, Beschl. v. 2. Juli 1968 – GSSt 1/68, juris). Die der Datei innewohnende Beweiskraft muss hiernach deutlich über die mit einer einfachen Datei bzw. Urkunde verbundenen Beweismöglichkeiten hinausgehen. Es reicht nicht aus, dass die Datei ein Beweismittel liefert; vielmehr muss es sich um ein Beweisergebnis handeln. Der erkennbare Anspruch der Behörde muss darin liegen, nicht nur ein Beweismittel zur Verfügung zu stellen, sondern eine universelle Richtigkeitsgewähr übernehmen zu wollen (vgl. Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2022, § 271 Rn. 11 ff.). Diese wiederum muss sich an jedermann richten und darf nicht auf bestimmte Einsatzzwecke beschränkt sein (vgl. RGSt 28, 332, 334). Die Urkunde darf nicht nur für und gegen den Aussteller, sondern muss gegen jeden Dritten Beweis erbringen (vgl. Fischer, a.a.O., § 271 Rn. 5).

Ein solcher Aussagegehalt kann Mitteilungen und Informationen von Seiten einer Behörde nicht ohne weiteres unterstellt werden. In erster Linie ergibt sich ein universeller Beweisanspruch aus entsprechenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen (BGH, Urteil vom 11. Januar 2018 – 3 StR 378/17 –, juris, Rn. 12). Darüber hinaus ist anerkannt, dass er auch aus anderen Umständen folgen kann (Fischer a.a.O. Rn. 5; Weidemann in BeckOK-StGB, 51. Ed., § 271 Rn. 6 m.w.N.), etwa – unter Beachtung der Anschauung des Rechtsverkehrs – aus den Vorschriften, die für die Errichtung und den Zweck der Urkunde maßgeblich sind (BGH a.a.O. Rn. 12; BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 – 3 StR 128/16 –, juris, Rn. 5). Indes ist die Besonderheit universeller Beweiskraft in Fällen dieser Art nur anzunehmen, wenn sie für jedermann klar zutage liegt. Bei der Prüfung erhöhter Beweiskraft ist ein strenger Maßstab anzulegen. Eine Beweiswirkung für und gegen jedermann kann nur dann angenommen werden, wenn kein Zweifel besteht, dass dies unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspricht (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 – 3 StR 128/16 –, juris, Rn. 5). Bei dieser den Erklärungswert auslegenden Betrachtung spielen die Erkenntnismöglichkeiten der Behörde eine entscheidende Rolle. In der Regel – wenn auch nicht ausschließlich – wird beurkundeten Tatsachen nur dann volle Beweiskraft zuzuerkennen sein, wenn Behördenmitarbeiter oder diesen im Verfahren gleichstehende Personen über die betreffenden Vorgänge verlässliche Auskunft geben können, weil sie sie selbst wahrgenommen haben, vgl. § 415 ZPO (vgl. Erb, a.a.O. Rn. 14/15).

(2) Hieran gemessen fehlt den digitalen Impfzertifikaten die erforderliche öffentliche Beweiswirkung, soweit sie über erfolgte Impfungen Auskunft geben.

(a) Aus gesetzlichen Vorschriften lässt sich eine Beweiswirkung für und gegen jedermann nicht ableiten.

(aa) Das gilt zunächst für den europarechtlichen Rahmen, der den Hintergrund der Regelungen über Impfzertifikate bildet.

Soweit es bei grenzüberschreitenden Sachverhalten um die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der EU geht, sind die Mitgliedstaaten der EU verpflichtet, Impfzertifikate anderer Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen anzuerkennen. Das ergibt sich aus der Verordnung (EU) 2021/953 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2021 über einen Rahmen für die Ausstellung, Überprüfung und Anerkennung interoperabler Zertifikate zur Bescheinigung von COVID-19-Impfungen und -Tests sowie der Genesung von einer COVID-19-Infektion (digitales COVID-Zertifikat der EU) mit der Zielsetzung der Erleichterung der Freizügigkeit während der COVID-19-Pandemie. Die Grundidee der Verordnung besteht darin, ein vereinheitlichtes EU-Zertifikat im gesamten EU-Raum anzuerkennen. Die gegenseitige Anerkennung soll ihre Grundlage in einem berechtigten Vertrauen auf Mindeststandards finden, die insbesondere Fälschungen weitestgehend ausschließen. Nach Nr. 15 der Erwägungsgründe der VO muss deswegen u.a. Gewissheit bestehen, dass die Angaben in einem Zertifikat, das in einem Mitgliedstaat ausgestellt wurde, vertrauenswürdig sind, dass das Zertifikat nicht gefälscht wurde und dass sich das Zertifikat auf die Person bezieht, die es vorlegt (vgl. auch Art. 4 II der VO). Nr. 22 der Erwägungsgründe betont nochmals, dass „die Sicherheit, Echtheit, Gültigkeit und Integrität der Zertifikate, aus denen sich das digitale COVID-Zertifikat der EU zusammensetzt, …. unverzichtbare Voraussetzungen (sind), damit sie in allen Mitgliedstaaten anerkannt werden“. Vor diesem Hintergrund regelt Art. 5 Abs. 5 der VO die gegenseitige Anerkennung wie folgt: „Wenn Mitgliedstaaten Impfnachweise anerkennen, um …. Beschränkungen der Freizügigkeit zur Eindämmung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 aufzuheben, erkennen sie unter denselben Bedingungen auch gültige Impfzertifikate an, die von anderen Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung für einen COVID-19-Impfstoff ausgestellt wurden …“. Art. 11 Abs. 1 der VO ergänzt, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie Impfzertifikate akzeptieren, grundsätzlich davon absehen, zusätzliche Beschränkungen der Rechts auf Freizügigkeit wie zusätzliche reisebezogene Tests oder Quarantäne im Zusammenhang mit einer Reise zu verhängen.

Die vorstehenden Regelungen ordnen keine öffentliche Beweisfunktion der Impfzertifikate an. Denn aus ihnen ergibt sich nicht, dass Impfzertifikate überall dort, wo der Nachweis von Impfungen zu führen ist, notwendig Anerkennung finden müssen. Der Regelungsbereich ist von vornherein auf die grenzüberschreitende Freizügigkeit und den in diesem Kontext zu führenden Impfnachweis begrenzt.

Überdies wird auch innerhalb des erfassten Regelungsbereiches keine öffentliche Beweisfunktion vorgegeben. Die Verordnung schreibt den Mitgliedstaaten nicht vor, bei der Umsetzung des Rechts auf Freizügigkeit stets ein Impfzertifikat eines anderen Mitgliedstaates als inhaltlich zutreffend anzuerkennen. Dies gilt vielmehr nur dann, wenn und – vor allem – soweit der Mitgliedstaat eigene Zertifikate einsetzt. Nur wenn ein Mitgliedstaat in seinem Rechtssystem einem Zertifikat vollen Beweiswert zumisst, muss er dies auch anderen Zertifikaten zugestehen.

In der Gesamtbetrachtung zielt der europarechtlich vorgegebene Rahmen insoweit zwar auf Anforderungen an Zertifikate ab, die die Eignung aufweisen müssen, auch einer Vollbeweisfunktion zu genügen. Gleichwohl wird diese nicht vorgeschrieben. Auf Basis eines Vertrauensrahmens (Art. 4 der VO) soll zwar ein Impfnachweis geschaffen werden, dessen Verlässlichkeit so weit reicht, dass, wenn in einem anderen Mitgliedstaat entsprechende Regelungen für eigene Zertifikate vorgegeben sind, die in ihm enthaltene Information über eine erfolgte Impfung dort nicht in Frage gestellt werden darf. Damit ist aber nicht festgelegt, welchen Beweiswert der Mitgliedstaat im Einzelfall Zertifikaten zumisst.

(bb) Auch nationale Vorschriften ordnen keine Beweiswirkung für und gegen jedermann an (aA Heinze, Jura 2021, 1252, 1258). § 22 Abs. 5 IfSG gibt lediglich vor, wie und unter welchen Bedingungen Zertifikate zu erstellen sind. Darüber hinaus finden sich lediglich Normen, die für bestimmte Situationen die Vorlage (vgl. § 28a Abs. 1 Nr. 2a IfSG) oder Kontrolle von Impfnachweisen vorschreiben. Dagegen bestehen keine Regelungen, die eine Impfung verlangten (vgl. hierzu § 28c IfSG in der zur Tatzeit geltenden Fassung) und diesbezüglich digitalen Impfzertifikaten eine bestimmte Beweiskraft zubilligten. In den zur Tatzeit in Hamburg geltenden Regelungen zur Zugangskontrolle im 2G-Zugangsmodell etwa knüpften die §§ 10j Abs. 1, 2 Abs. 5 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO iVm § 2 Nr. 3 SchAusnahmV im Hinblick auf Freistellungen von den pandemiebedingten Einschränkungen nicht an eine Impfung als solche an, sondern direkt an die Vorlage oder Kontrolle eines Impfnachweises. Dabei wurde überdies auch nicht unterschieden zwischen Impfausweis und digitalem Impfzertifikat.

(b) Auch aus dem Zweck des digitalen Impfzertifikates, seinem Zustandekommen oder seinem im Rechtsverkehr anerkannten Einsatz lässt sich nicht auf eine öffentliche Beweiswirkung im Hinblick auf die Impfung selbst schließen. Dagegen spricht vielmehr entscheidend, dass die Person, die für das RKI die Zertifizierung veranlasst, bei der nachträglichen Erstellung nach § 22 Abs. 5 Nr. 2 IfSG nicht notwendig auch die Impfung selbst vorgenommen oder zumindest wahrgenommen haben muss. Die fehlende eigene Wahrnehmung des Arztes/Apothekers wird auch nicht durch andere Umstände hinreichend kompensiert. Insbesondere kommt den einzusehenden Impfdokumentationen schon mangels Fälschungssicherheit und fehlender Prüfungsmöglichkeiten der zur Bescheinigung verpflichteten Person kein Beweiswert zu, der einer Eigenwahrnehmung gleichstünde. Nach § 22 Abs. 5 IfSG unterliegt der bescheinigende Arzt/Apotheker nur rudimentär ausgestalteten Überprüfungspflichten: Er soll unter Verwendung geeigneter Maßnahmen zur Vermeidung der Ausstellung eines unrichtigen COVID-19-Impfzertifkats insbesondere die Identität der geimpften Person und die Authentizität der Impfdokumentation nachprüfen. Den Möglichkeiten des Arztes/Apothekers nach kann dies letztlich nur eine grobe Plausibilitäts- und Sichtprüfung des Impfausweises und die Vorlage eines Ausweisdokuments beinhalten. Diese lediglich groben Kontrollmöglichkeiten sprechen gegen eine besondere amtliche Richtigkeitsgewähr.

Hinzu kommt, dass sich Apotheker und Ärzte bei der nachträglichen Veranlassung der Zertifikatsausstellung sogar bei Vorlage einer echten, von einer anderen Person stammenden Impfdokumentation lediglich auf den Beweiswert einer einfachen Urkunde stützen können, die schon mangels Ausstellung im Namen einer Behörde keine öffentliche Beweiswirkung haben kann. Dass die Vorlage einer einfachen Impfdokumentation ohne öffentliche Beweiswirkung über die Datenaufnahme durch den Arzt/Apotheker zu einer digitalen Datenurkunde mit öffentlicher Beweiskraft führte, ließe sich lediglich bei entsprechender unmissverständlicher Anordnung durch das Gesetz annehmen (vgl. insoweit auch RGSt 28, 332, 335).

b) Jedenfalls aufgrund der fehlenden Prüfungsmöglichkeiten fehlt auch eine öffentliche Beweiswirkung im Hinblick auf den Beweis der Tatsache, dass dem Arzt/Apotheker eine echte Impfdokumentation vorgelegt worden sei.

c) Soweit die Zeugin … mit der Erstellung des Impfzertifikates eine Dokumentation alleine des Umstandes bezweckte, dass ihr vom RKI ein digitales Impfzertifikat ausgestellt worden sei, kann dies ebenfalls keine Strafbarkeit nach § 271 StGB begründen. Unabhängig von der Frage, ob der entsprechenden Information eine öffentliche Beweiskraft zukommt, wäre sie jedenfalls aufgrund der tatsächlichen Erstellung im Namen des RKI nicht falsch gespeichert gewesen.

6. Aus den oben unter 2.a. genannten rechtlichen Gründen ist der Angeklagte nicht der ihm in Fall 10 der Anklage vorgeworfenen Tat der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB hinreichend verdächtig. Der von ihm mit zwei Aufklebern von angeblich verabreichten Corona-Schutzimpfungen, Daten der Verabreichungen sowie Stempel und angeblicher Unterschrift des Impfarztes versehene Impfausweis enthielt ausweislich der Lichtbilder vom sichergestellten Impfausweis und in Übereinstimmung mit dem konkreten Anklagesatz keine Angaben zu der angeblich geimpften Person. Mangels Urkundenqualität des gefälschten und verkauften Impfausweises scheidet ein hinreichender Tatverdacht wegen eines täterschaftlich begangenen Urkundsdelikts gemäß §§ 267ff StGB nach den zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung geltenden Straftatbeständen aus. Ein hinreichender Tatverdacht wegen Beihilfe zur Urkundenfälschung gemäß §§ 267 Abs. 1, 27 StGB besteht ebenfalls nicht, da es hierfür an einer entsprechenden Haupttat fehlt. Der Impfausweis wurde ausweislich des Festnahmeberichts des Polizeibeamten … vom 9. September 2021 direkt nach der Übergabe an den anderweitig verfolgten … … sichergestellt; zu einer Eintragung der Personalien des angeblich Geimpften kam es nicht mehr.

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