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Anwendung Jugendstrafrecht auf Heranwachsende

Jugendliche Hacker: Einbruch in ein Gymnasium und Diebstahl von Abituraufgaben

In einem bemerkenswerten Fall, der vor dem Amtsgericht Bamberg verhandelt wurde, standen drei Angeklagte im Mittelpunkt eines komplexen Verbrechens, das sowohl physische Einbrüche als auch digitales Hacking umfasste. Die Angeklagten, die kurz vor ihrer Volljährigkeit standen und noch keine abgeschlossene Berufsausbildung hatten, drangen wiederholt in ein Gymnasium ein, um Abituraufgaben zu stehlen und Daten auszuspähen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 12 Ls 2103 Js 7157/20 jug  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Jugendstrafrecht kann auf Heranwachsende angewendet werden, die kurz vor der Volljährigkeit stehen, keine abgeschlossene Berufsausbildung haben und noch im Elternhaus leben.

  • Anwendung des Jugendstrafrechts: Bei Heranwachsenden, die fast volljährig sind und bestimmte Kriterien erfüllen, kann das Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen.
  • Tatverlauf: Die Angeklagten nutzten einen nachgemachten Generalschlüssel, um in die Schule einzudringen und Daten sowie Abituraufgaben zu stehlen.
  • Zugriff auf Daten: Ein Angeklagter fand Passwortlisten und andere wichtige Dokumente auf einem PC und speicherte diese auf einem USB-Stick.
  • Ziel der Diebstähle: Hauptziel war es, die Abituraufgaben für das Jahr 2020 zu finden, zu kopieren und wieder unbemerkt zurückzulegen.
  • Sachschäden: Bei ihren Aktionen verursachten die Angeklagten mehrere Sachschäden, insbesondere durch das Aufbrechen von Möbeln und Tresoren.
  • Strafzumessung: Trotz der Schwere der Taten und der gezeigten kriminellen Energie wurde das Jugendstrafrecht als angemessen erachtet.
  • Begründung des Urteils: Das Gericht berücksichtigte die Geständnisse der Angeklagten, ihre bisherige strafrechtliche Unbescholtenheit und ihre positive Entwicklung.
  • Rechtsmittel: Es wird darauf hingewiesen, dass gegen Gerichtsentscheidungen Rechtsmittel eingelegt werden können

Einbruchsdetails und digitale Spionage

Anwendung Jugendstrafrecht auf Heranwachsende
(Symbolfoto: Anelo /Shutterstock.com)

Der Kern des Falles drehte sich um die wiederholten Einbrüche in das Gymnasium während der Nacht. Die Angeklagten hatten sich zuvor den Generalschlüssel der Schule ausgeliehen und Kopien davon angefertigt, um sich Zugang zu verschlossenen Räumen zu verschaffen. Ihr Hauptziel war es, die Abituraufgaben für das Jahr 2020 zu finden und zu kopieren. Bei einem dieser Einbrüche entdeckte einer der Angeklagten einen betriebsbereiten PC und fand darauf persönliche Passwortlisten und Dokumente, die er kopierte. Mit diesen Daten konnte er von zu Hause aus auf das „pädagogische Netzwerk“ der Schule zugreifen und Leistungsnachweise sowie Prüfungsaufgaben kopieren.

Rechtliche Herausforderungen und Urteil

Das rechtliche Problem in diesem Fall war die Anwendung des Jugendstrafrechts. Laut dem Leitsatz des Urteils wird das Jugendstrafrecht angewendet, wenn ein Heranwachsender die Volljährigkeit nur knapp erreicht hat, keine abgeschlossene Berufsausbildung vorzuweisen hat und sich noch nicht vom Elternhaus gelöst hat. Dies war bei den Angeklagten der Fall.

Das Gericht entschied, dass die Angeklagten schuldig des Ausspähens von Daten und der Sachbeschädigung in mehreren Fällen waren. Zwei der Angeklagten wurden auch des Diebstahls schuldig gesprochen. Sie wurden zu Jugendstrafen von 9 bzw. 6 Monaten verurteilt, wobei die Vollstreckung der Strafen zur Bewährung ausgesetzt wurde. Interessanterweise wurden die Kosten des Verfahrens nicht den Angeklagten auferlegt.

Auswirkungen und Bedeutung des Falles

Die Auswirkungen dieses Falles sind vielfältig. Erstens zeigt er die wachsende Bedrohung durch digitale Verbrechen und die Notwendigkeit für Schulen und andere Einrichtungen, ihre Sicherheitsmaßnahmen zu überprüfen. Zweitens hebt er die Herausforderungen hervor, die sich ergeben, wenn junge Täter kurz vor ihrer Volljährigkeit stehen und das Jugendstrafrecht angewendet wird.

Schlussfolgerung und zukünftige Überlegungen

Das Fazit dieses Urteils ist, dass trotz der Schwere der Verbrechen und der technischen Fähigkeiten der Angeklagten das Gericht das Jugendstrafrecht als angemessen erachtete. Dies könnte in zukünftigen Fällen, in denen junge Täter beteiligt sind, als Präzedenzfall dienen. Es unterstreicht auch die Notwendigkeit für Bildungseinrichtungen, sowohl ihre physische als auch ihre digitale Sicherheit zu überdenken.

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Jugendstrafrecht – kurz erklärt


Das Jugendstrafrecht in Deutschland ist ein Sonderstrafrecht für junge Täter. Ab dem Alter von 14 Jahren fallen Jugendliche unter das Jugendstrafrecht, wobei sie nur in Teilen strafmündig sind. Voll strafmündig ist man in Deutschland ab dem 18. Lebensjahr. Es gibt jedoch Ausnahmen: Auch ein Volljähriger kann bis zum Alter von 21 Jahren unter das Jugendstrafrecht fallen. Das Hauptziel des Jugendstrafrechts ist nicht Bestrafung, sondern Erziehung. Daher sind im Jugendstrafrecht spezielle Sanktionen wie Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel (z.B. Verwarnung, Auflage, Jugendarrest) und Jugendstrafen vorgesehen. Bei der Verhängung einer Jugendstrafe kann das Höchstmaß zehn Jahre Freiheitsstrafe betragen.


§ Relevante Rechtsbereiche für dieses Urteil sind u.a.:


  • Jugendstrafrecht: Das Jugendstrafrecht kommt zur Anwendung, wenn der Täter zur Tatzeit als Heranwachsender gilt und bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, wie im Fall des Heranwachsenden, der die Volljährigkeit nur knapp erreicht hat und noch nicht vom Elternhaus gelöst ist.
  • Strafrecht (Diebstahl und Sachbeschädigung): Die Angeklagten sind des Ausspähens von Daten, der Sachbeschädigung und des Diebstahls schuldig. Sie haben versucht, Abituraufgaben zu stehlen und dabei Sachschäden verursacht.
  • Strafprozessrecht: Es werden Aspekte des Strafverfahrens, wie die Beweiswürdigung, die Geständnisse der Angeklagten und die Erwägungen des Gerichts bei der Strafzumessung, behandelt.
  • Erwachsenenstrafrecht: Obwohl das Jugendstrafrecht angewendet wird, behalten die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts ihreBedeutung, da sie die Bewertung des Tatunrechts zum Ausdruck bringen. Das Gericht zieht das Erwachsenenstrafrecht heran, um den äußeren Unrechtsgehalt zu bewerten.


Das vorliegende Urteil

AG Bamberg – Az.: 12 Ls 2103 Js 7157/20 jug – Urteil vom 03.05.2021

Leitsatz:

Hat ein Heranwachsender die Volljährigkeit nur knapp erreicht, keine abgeschlossene Berufsausbildung vorzuweisen und sich noch nicht vom Elternhaus gelöst, ist Jugendstrafrecht anzuwenden.


1. Der Angeklagte … ist schuldig des Ausspähens von Daten, sowie der Sachbeschädigung in 4 Fällen, davon in 1 Fall zugleich mit Diebstahl. Der Angeklagte … ist schuldig der Sachbeschädigung in 4 Fällen, davon in 1 Fall zugleich mit Diebstahl. Der Angeklagte … ist schuldig der Sachbeschädigung in 4 Fällen.

2. Die Angeklagten … und … werden deswegen jeweils zu Jugendstrafen von 9 Monaten, der Angeklagte … zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten verurteilt.

3. Die Vollstreckung der Jugendstrafen wird jeweils zur Bewährung ausgesetzt.

4. Von der Auferlegung der Kosten auf die Angeklagten wird abgesehen.

Angewandte Vorschriften:

…: §§ 202a Abs. 1, 205 Abs. 1, 242 Abs. 1, 303 Abs. 1, 303c StGB, §§ 1, 3, 105 Abs. 1 Nr. 1 u. Abs. 3, 5 Abs. 2, 31 Abs. 1, 32, 17 Abs. 2, 18, 21 Abs. 1 JGG

…: §§ 242 Abs. 1, 303 Abs. 1, 303c StGB, §§ 1, 105 Abs. 1 Nr. 1 u. Abs. 3, 5 Abs. 2, 31 Abs. 1, 17 Abs. 2, 18, 21 Abs. 1 JGG

…: §§ 303 Abs. 1, 303c StGB, §§ 1, 105 Abs. 1 Nr. 1 u. Abs. 3, 5 Abs. 2, 31 Abs. 1, 17 Abs. 2, 18, 21 Abs. 1 JGG

Entscheidungsgründe

(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)

I.

Persönliche Verhältnisse …

II.

Sachverhalt

Vorbemerkung

Die Angeklagten drangen erstmals zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt im Sommer 2019 nachts unbefugt in das Gebäude des …-Gymnasiums in der …-Straße in … ein, um aus Neugier die Räumlichkeiten zu durchkämmen. In der Folgezeit stiegen sie zu unterschiedlichen Gelegenheiten in der Schule ein und fassten dabei den gemeinsamen Tatplan, sich auch Zugang zu verschlossenen Räumen zu verschaffen. Deshalb lieh sich der Angeklagte … zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt Anfang November 2019 unter einem Vorwand den Generalschlüssel im Sekretariat der Schule aus. Mit dem ausgeliehenen Generalschlüssel fertigten die Angeklagten … und … mit Wissen und Wollen des Angeklagten … auf der Schultoilette mittels eines Knetgummi-Abdruck-Sets einen Negativabdruck und Lichtbilder an. Da die durch den Angeklagten … mit dem Negativabdruck erstellten Schlüssel aus Blei beim Testen an einer Putzkammer im Schloss stecken blieben, bestellte dieser mit Hilfe des Fotos des Generalschlüssels am 28.11.2019 mit Wissen der anderen beiden Angeklagten über das Internet zwei nachgemachte Schlüssel. Damit war es den Angeklagten möglich, sich vom Treppenhaus der Schule zu allen Räumen Zugang zu verschaffen.

1. Der Angeklagte … gelangte zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 28.11.2019 und dem 01.02.2020 auf einem der nächtlichen Streifzüge durch die Schule unter Verwendung des nachgemachten Generalschlüssels in das sogenannte „Drucker-Büro“, welches ausschließlich vom Lehrer und System-Administrator … genutzt wurde. Der Angeklagte … entdeckte, dass der PC des Systemadministrators … betriebsbereit war, und fand bei der Durchsicht des Rechners persönliche Passwortlisten und Dokumente des …, die Passwortlisten für das WLAN und das sogenannte „pädagogische Netzwerk“ der Schule. Dabei handelte es sich um Daten und Datensätze, die nicht zum allgemeinen und öffentlichen Gebrauch bestimmt waren, sondern ausschließlich der Nutzung des Systemadministrator … und des Schulleiters … vorbehalten waren. Der Angeklagte … speicherte sich die aufgefundenen Datensätze und Dokumente auf einem mitgeführten USB-Stick. Er entdeckte in den kopierten Datensätzen zudem eine Anleitung zum Einrichten eines externen Zugriffs auf das „pädagogische Netzwerk“ der Schule und installierte sich diese Möglichkeit auf seinem privaten PC (sog. Cloud-Server-Lösung), so dass es ihm von diesem Zeitpunkt an möglich war, von zu Hause aus Zugriff auf das „pädagogische Netzwerk“ der Schule zu nehmen und sich Kenntnis von dort hinterlegten Leistungsnachweisen und Prüfungsaufgaben zu verschaffen. Der Angeklagte … griff in der Folgezeit auf das „pädagogische Netzwerk“ zu und konnte Leistungsnachweise und Unterrichtsmaterialien unterschiedlicher Lehrer kopieren. Die Klausurarbeiten und Lösungen sowie ganze Ordner gab er über „Threema“ oder mittels Freischaltung seiner privaten Cloud an seine Freunde … weiter.

Vorbemerkung 2 – 5

Die Angeklagten fassten zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 01.02.2020 und dem 03.05.2020 auf einem ihrer nächtlichen Streifzüge durch die Schule den gemeinsamen Tatplan, die Abituraufgaben für das Jahr 2020 auffinden, um dadurch Kenntnis von den abgefragten Themen zu erlangen. Dabei wollten sie an die Aufgabentexte und Lösungen gelangen, diese kopieren und fotografieren, sowie diese sodann wieder an den Verwahrort zurückzulegen, ohne dass jemand dies bemerken würde. Die Angeklagten drangen deshalb am 03.05.2020 gegen 23.52 Uhr in die Schule ein und suchten im Büro der Oberstufensekretärin … nach einem Tresor, in dem sie die Abituraufgaben vermuteten. Dabei fanden sie in einem Rollcontainer einen kleinen Metall-Tresor. Allerdings benötigten sie zu dessen Öffnung spezielles Werkzeug, weshalb der Angeklagte … in der Folgezeit einen Winkelschleifer mit passenden Trennscheiben erwarb.

2. Die Angeklagten drangen im Zeitraum vom 08.05.2020 gegen 19.47 Uhr bis zum 09.05.2020 gegen 0.12 Uhr mit dem nachgemachten Generalschlüssel erneut in das Büro der Oberstufensekretärin … ein, öffneten den Rollcontainer, entnahmen den Metalltresor und brachten diesen in den Werkstattraum des Hausmeisters …. Dort sägte der Angeklagte … den Metalltresor mit dem mitgebrachten Winkelschleifer auf. Entgegen den Erwartungen der Angeklagten befanden sich in diesem Tresor jedoch nicht die Abituraufgaben, sondern lediglich mehrere Beutel mit Hart- und Scheingeld, an welchem die Angeklagten jedoch kein Interesse hatten. Deshalb klebten die Angeklagten mit einem mitgebrachten schwarzen Klebeband die ausgesägten Metallstücke des Tresors wieder zusammen und brachten diesen an seinen Ursprungsort zurück. An dem Tresor entstand wie von den Angeklagten zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen ein Sachschaden in Höhe von mindestens 100,- €. Die Staatsanwaltschaft hat das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Amts wegen bejaht.

3. Die Angeklagten drangen im Anschluss mit dem nachgemachten Generalschlüssel in das Büro des Direktors … ein, um das dort befindliche Sideboard gewaltsam zu öffnen und an die dort vermuteten Abituraufgaben zu gelangen. Dazu verbrachten sie das linke Sideboard aus dem Büro des Direktors in einen nahe gelegenen Computerraum und öffneten dessen Seitenwand mit dem Winkelschleifer. Weil sich eine zweite Holzwand in dem Sideboard befand und deshalb die Sicht in das Innere des Sideboards verborgen blieb, brachen die Angeklagten das weitere Vorgehen ab und stellten das Sideboard wieder zurück in das Büro des Direktors. Am linken Sideboard entstand wie von den Angeklagten zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen ein Sachschaden in Höhe von mindestens 100,- €. Die Staatsanwaltschaft hat das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Amts wegen bejaht.

4. Die Angeklagten drangen im Zeitraum vom 14.05.2020 gegen 22.08 Uhr bis zum 15 05.2020 gegen 0.07 Uhr mit dem nachgemachten Generalschlüssel erneut in das Büro des Direktors … ein, um diesmal die Rückseite des linken Sideboards gewaltsam zu öffnen und an die dort vermuteten Abituraufgaben zu gelangen. Dazu verbrachten sie das Sideboard aus dem Büro des Direktors in einen nahe gelegenen Computerraum und öffneten dessen Rückwand mit dem Winkelschleifer. Als die Angeklagten entgegen ihren Erwartungen feststellten, dass sich in dem Sideboard kein Tresor mit den Abituraufgaben befand, setzten sie die Rückwand wieder ein, verklebten diese mit schwarzem Klebeband und brachten das Sideboard wieder an seinen Ursprungsort zurück. An der Rückwand des linken Sideboards entstand wie von den Angeklagten zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen ein Sachschaden in Höhe von mindestens 100,- €. Die Staatsanwaltschaft hat das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Amts wegen bejaht.

5. Die Angeklagten drangen im Zeitraum vom 16.05.2020 gegen 23.43 Uhr bis zum 17.05.2020 gegen 03.23 Uhr mit dem nachgemachten Generalschlüssel erneut in das Büro des Direktors … ein, um diesmal die Rückseite des rechten Sideboards gewaltsam zu öffnen und an die dort vermuteten Abituraufgaben zu gelangen. Dazu verbrachten sie das Sideboard aus dem Büro des Direktors in einen nahe gelegenen Computerraum und öffneten dessen Rückwand mit dem Winkelschleifer. Als die Angeklagten entgegen ihren Erwartungen feststellten, dass sich auch in diesem Sideboard kein Tresor mit den Abituraufgaben befand, setzten sie die Rückwand wieder ein, verklebten diese mit schwarzem Klebeband und brachten das Sideboard wieder an seinen Ursprungsort zurück. An der Rückseite des rechten Sideboards entstand wie von den Angeklagten zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen ein Sachschaden in Höhe von mindestens 100,- €. Die Staatsanwaltschaft hat das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Amts wegen bejaht.

Nach diesem Misserfolg verließ der Angeklagte … die Schule, während die Angeklagten … und … noch weiter im Büro des Direktors … nach den Abituraufgaben suchten. Nachdem sie den Tresor mit den Abituraufgaben im Wandschrank des Büros vermuteten, rüttelten sie so lang an diesem bis dessen Tür ohne Beschädigung aufsprang, und lösten mit Hilfe eines Schraubendrehers des Hausmeisters … die Verblendungen an dem dort eingebauten Stahl-Tresor. Den mindestens 50 Kilogramm schweren Stahl-Tresor verbrachten sie mit einem Rollcontainer in den Werkstattraum des Hausmeisters und sägten diesen in mehreren Schritten auf. Aus dem Stahl-Tresor entnahmen die Angeklagten … und … insgesamt 11 mit Siegeln versehene und verschlossene Kuverts mit den Abituraufgaben aus den Fächern Englisch, Deutsch und Latein, um diese ohne Berechtigung für sich zu behalten und für sich zu verwenden. Im Anschluss verklebten die Angeklagten … und … den Stahl-Tresor wieder mit schwarzem Klebeband, verbrachten diesen zurück in den Wandschrank und fügten auch die Verblendungen wieder ein. An dem Stahl-Tresor entstand wie von den Angeklagten … und … zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen ein Sachschaden in Höhe von 300,- €. Die Staatsanwaltschaft hat das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Amts wegen bejaht.

III.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den Angaben des Angeklagten, auf den Berichten der Jugendgerichtshilfe, sowie den in der Hauptverhandlung verlesenen Auszügen aus dem Bundeszentral- und Erziehungsregister jeweils vom 23.04.2021.

Der unter Ziffer II. festgestellte Sachverhalt steht fest auf Grund der Geständnisse sämtlicher Angeklagten. Die Feststellungen werden zudem von den Angaben der ermittelnden Kriminalbeamten … getragen, die den Gang der Ermittlungen, sowie die getroffenen Feststellungen zu den vorgefundenen Spuren und eingetretenen Schäden umfassend, detailliert und sachlich nachgezeichnet haben. Ergänzend wurden die in der Akte enthaltenen und die ergänzend vom Kriminalbeamten … zur Akte gereichten Lichtbilder in Augenschein genommen, sowie auszugsweise die molekulargenetischen Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 15.07.2020 und 29.07.2020, die daktyloskopischen Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamtes vom 03.07.2020 und 03.09.2020, sowie der Chatverlauf zwischen den Angeklagten … und … verlesen.

IV.

Rechtliche Würdigung

Der Angeklagte … hat sich mithin des Ausspähens von Daten, sowie der Sachbeschädigung in 4 Fällen, davon in 1 Fall zugleich mit Diebstahl gemäß §§ 202a Abs. 1, 205 Abs. 1, 242 Abs. 1, 303 Abs. 1, 303c StGB, der Angeklagte … der Sachbeschädigung in 4 Fällen, davon in 1 Fall zugleich mit Diebstahl gemäß §§ 242 Abs. 1, 303 Abs. 1, 303c StGB und der Angeklagte … der Sachbeschädigung in 4 Fällen gemäß §§ 303 Abs. 1, 303c StGB schuldig gemacht.

Die Angeklagten … und … haben in Ziffer 5 neben der durch sämtliche Angeklagten in Mittäterschaft begangenen Sachbeschädigung den Straftatbestand des Diebstahls verwirklicht, indem sie 11 mit Siegeln versehene und verschlossene Kuverts mit den Abituraufgaben Englisch, Deutsch und Latein mit nach Hause genommen und dort teilweise geöffnet haben, da insoweit die Wegnahme als vom Herrschaftswillen des Berechtigten getragene tatsächliche Sachherrschaft dieser Gegenstände in der Absicht, sich diese rechtswidrig zuzueignen, vollendet war. Zwar bestand anfänglich mangels Absicht zur endgültigen Entreicherung des Berechtigten trotz vorübergehender Absicht der Aneignung der Abituraufgaben keine Zueignungsabsicht, da sich der Vorsatz der Angeklagten unwiderlegt zunächst darauf richtete, an die Aufgabentexte und Lösungen zu gelangen, diese zu kopieren und sodann unversehrt und unbemerkt zurückzulegen (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 242, Rdn. 38 ff.). Ein anderer Geschehensablauf hätte für die Angeklagten nämlich nachvollziehbar keinen Sinn gemacht. Als die Kuverts mit den Abituraufgaben nach dem Ausscheiden des Angeklagten … jedoch von den Angeklagten … und … aufgefunden wurden, erkannten diese aufgrund der Unversehrtheit der Kuverts und den auf den Klebestreifen angebrachten Dienstsiegeln, dass sie die Kuverts bei Öffnung und Entnahme der Abituraufgaben zum Zwecke des Kopierens nicht mehr unversehrt zurücklegen konnten. Sie nahmen daher bei der Mitnahme der Kuverts ab diesem Zeitpunkt eine endgültige erhebliche Substanzverletzung und Wertminderung der entwendeten Kuverts mit den Abituraufgaben billigend in Kauf, was hinsichtlich der Enteignungs-Komponente ausreichend ist (Fischer, StGB, § 242, Rdn. 33 a.E., 41). Damit lag ab diesem Zeitpunkt keine straflose unbefugte Gebrauchsanmaßung mehr, sondern strafbarer Diebstahl vor.

V.

Strafzumessung

Das Gericht hat bei den zu den Tatzeiten zwischen 17 Jahren 8 Monaten und 18 Jahren 2 Monaten (…), 18 Jahre 1 Monat (…) bzw. 18 Jahre (…) alten Angeklagten, die jeweils knapp die Volljährigkeit erreicht haben, noch keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen können und sich noch nicht vom Elternhaus gelöst haben, Jugendstrafrecht angewandt, weil die Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass sie zu dieser Zeit i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung noch Jugendlichen gleichstanden. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten … als Jugendlicher ist gegeben (§ 3 JGG).

Trotz des erheblichen Gewichts der Taten, insbesondere der Mehrzahl der Fälle, dem planvollen Vorgehen und der beim Aufbrechen der Möbelstücke und Aufsägen der Tresore gezeigten kriminellen Energie konnten bei umfassender Betrachtung der Persönlichkeit der Angeklagten insbesondere aufgrund fehlender bisheriger Straffälligkeiten, der bereits eingetretenen erheblichen Folgen der Taten für die Angeklagten, dem zeitlichen Zurückliegen ohne Wiederholung einschlägiger Straftaten in der Folgezeit und der ansonsten positiven Entwicklung keine schädlichen Neigungen mehr in einem Umfang ausgemacht werden, die Jugendstrafen erforderlich machen. Jedoch erfordert die Schwere der Schuld die Verhängung von Jugendstrafen, nachdem ein besonders gravierendes Ausmaß von Strafzumessungsschuld gegeben ist. Zur Bestimmung der zurechenbaren Schuld der jugendlichen bzw. heranwachsenden Täter ist dabei zunächst das Tatunrecht am Maßstab der gesetzlichen Strafandrohungen des Erwachsenenstrafrechts heranzuziehen, denn die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts behalten insoweit ihre Bedeutung, als in ihnen die Bewertung des Tatunrechts zum Ausdruck kommt. Aus dem äußeren Unrechtsgehalt können dabei Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und auf das Maß der persönlichen Schuld gezogen werden können (BGHSt 15, 224). Bei den vorliegenden mehrfachen Sachbeschädigungen sämtlicher 3 Angeklagten und dem gravierenden Diebstahlsdelikt der Angeklagten … und …, das im Erwachsenenrecht mehrere Regelbeispiele des § 243 StGB verwirklichte, welche jeweils beim Aufsägen von Tresoren mit einem Winkelschleifer in einem fremden mit falschem Schlüssel betretenen Gebäude erhebliche kriminelle Energie offenbarten, hat sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit, sowie die Tatmotivation der Jugendlichen bzw. Heranwachsenden in erheblicher vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen, so dass bei Berücksichtigung der Taten einerseits, des Entwicklungsstands der Angeklagten andererseits, ein Absehen von Strafe zu Gunsten von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln, die auch „ahndende“ Funktion haben, in unerträglichem Widerspruch zum allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl stehen würde.

Bei der Bemessung der zu verhängenden Strafen, die sich jeweils gemäß §§ 18 Abs. 1, 105 Abs. 3 JGG in einem Rahmen zwischen 6 Monaten und 10 Jahren bewegen müssen, berücksichtige das Gericht zu Gunsten der noch jungen Angeklagten die jeweiligen umfassenden Geständnisse und die während der Tatausführungen eingetretene Gruppendynamik. Zudem haben sich die Angeklagten jeweils bei der Schulleitung entschuldigt und bereits Schadenswiedergutmachung geleistet. Alle Angeklagten sind bereits von den erheblichen Folgen der Taten durch Wiederholung der Abiturprüfungen bzw. … getroffen. Schließlich sind sämtliche Angeklagte bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Nachteilig wirkte sich aus, dass die Angeklagten mehrere gravierende Delikte begangen und hierbei erheblichen Sachschaden verursacht haben. Auch ist der eingetretene ideelle Schaden mit der Auswechslung der Abituraufgaben in ganz Bayern erheblich. Schließlich sind die Angeklagten über längere Zeit professionell, planvoll und mit erheblicher krimineller Energie vorgegangen. Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen erachtete das Gericht bzgl. der Angeklagten … und … jeweils die Verhängung von Jugendstrafen von 9 Monaten und beim Angeklagten … von 6 Monaten für notwendig, um hinreichend erzieherisch auf diese einzuwirken und das Unrecht ihres Handelns vor Augen zu führen.

Die Vollstreckung der verhängten Jugendstrafen konnte jeweils zur Bewährung ausgesetzt werden, da die Prognose für die Angeklagten derzeit günstig ist und die Vollstreckung auch nicht im Hinblick auf die Entwicklung der Angeklagten geboten ist (§ 21 JGG). Die Angeklagten leben sozial eingegliedert und gehen einer regelmäßigen Tätigkeit nach. Gegen sie musste bislang keine Jugendstrafe verhängt werden. In Kombination mit angemessenen ambulanten Maßnahmen besteht so die reelle Chance, dass die Angeklagten sich schon die Verurteilung zu Jugendstrafen zur Warnung dienen lassen und die Vollstreckung derselben nicht erforderlich ist, damit sie in Zukunft ein straffreies Leben führen können.

VI.

Kosten

Die Angeklagten erzielen derzeit kein Einkommen. Das Gericht hat daher bei ihnen von der Auferlegung der Kosten gemäß § 74 JGG abgesehen.

? FAQ zum Urteil


  • Was besagt der Leitsatz des Urteils des AG Bamberg vom 03.05.2021 bezüglich der Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende?
    Der Leitsatz besagt, dass wenn ein Heranwachsender die Volljährigkeit nur knapp erreicht hat, keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen kann und sich noch nicht vom Elternhaus gelöst hat, das Jugendstrafrecht anzuwenden ist.
  • Welche Straftaten wurden dem Angeklagten vorgeworfen?
    Dem Angeklagten wurde das Ausspähen von Daten sowie die Sachbeschädigung in mehreren Fällen vorgeworfen. In einem Fall wurde ihm zusätzlich Diebstahl zur Last gelegt.
  • Welche Strafen wurden den Angeklagten auferlegt?
    Zwei der Angeklagten wurden zu Jugendstrafen von jeweils 9 Monaten verurteilt, während ein weiterer Angeklagter zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten verurteilt wurde. Die Vollstreckung der Jugendstrafen wurde zur Bewährung ausgesetzt.
  • Was war das Hauptmotiv der Angeklagten für ihre Taten?
    Das Hauptmotiv der Angeklagten war, Zugang zu den Abituraufgaben für das Jahr 2020 zu erhalten, um Kenntnis von den abgefragten Themen zu erlangen. Sie wollten die Aufgabentexte und Lösungen kopieren und fotografieren, ohne dass dies bemerkt würde.
  • Wie wurde festgestellt, dass die Angeklagten schuldig waren?
    Die Feststellungen basierten auf den Geständnissen aller Angeklagten, den Angaben der ermittelnden Kriminalbeamten, verschiedenen Gutachten und dem Chatverlauf zwischen den Angeklagten. Alle Beweise und Aussagen wurden in der Hauptverhandlung detailliert geprüft und ausgewertet.

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