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Verhandlungsunfähig: Wann ist man zu krank für einen Strafprozess?

Wird ein Strafprozess zur unerträglichen Belastung, kann die Verhandlungsunfähigkeit der letzte Ausweg sein. Das Gesetz schützt Angeklagte davor, ein Verfahren durchzustehen, das ihre Gesundheit dauerhaft und schwer schädigen würde. Die Hürden der Gerichte sind jedoch hoch: Sie verlangen meist ein detailliertes medizinisches Gutachten. Dieser Artikel erklärt, wann Sie als verhandlungsunfähig gelten und was das für den Prozess bedeutet.

Übersicht

Ein medizinisches Gutachten liegt auf einer Gerichtsakte in einem Gerichtssaal.
Symbolbild: KI

Auf einen Blick

  • Worum es geht: Ein Strafprozess kann gestoppt oder verschoben werden, wenn der Angeklagte zu krank ist. Das Gesetz verhindert, dass ein Verfahren die Gesundheit dauerhaft zerstört. Dies wird relevant, wenn Sie dem Prozess im Gerichtssaal nicht mehr folgen oder angemessen kommunizieren können.
  • Das größte Risiko: Ein Gericht verschiebt die Verhandlung nur, wenn die Krankheit durch ein unabhängiges medizinisches Gutachten belegt ist. Täuschen Sie eine Krankheit vor, läuft der Prozess weiter. Ein solches Verhalten kann sich später negativ auf die Strafhöhe auswirken.
  • Die wichtigste Regel: Der Schutz von Leben und Gesundheit wiegt schwerer als das staatliche Interesse an einer schnellen Strafverfolgung. Um diesen Schutz in Anspruch zu nehmen, müssen Sie Ihre gesundheitlichen Probleme lückenlos und detailliert durch Fachärzte dokumentieren lassen. Ohne professionelle medizinische Beweise wird das Gericht den Prozess fortsetzen.
  • Typische Situationen: Relevant wird das Thema bei Krebserkrankungen im Endstadium, weit fortgeschrittener Demenz oder schweren psychischen Störungen, die rationale Entscheidungen blockieren. Entscheidend ist immer, ob eine Person den Prozess intellektuell nicht mehr verfolgen oder dem extremen psychischen Druck nicht standhalten kann.
  • Erste Schritte: Beauftragen Sie einen erfahrenen Strafverteidiger und sammeln Sie alle ärztlichen Unterlagen. Unsere Rechtsanwälte für Strafrecht prüfen Ihre Situation und stellen auf dieser Basis den formellen Antrag auf Prüfung der Verhandlungsunfähigkeit.
  • Häufiger Irrtum: Viele verwechseln Verhandlungsunfähigkeit mit der Schuldfrage. Ob Sie zur Tatzeit schuldunfähig waren, ist eine andere Frage als die, ob Sie heute gesund genug sind, um vor Gericht zu stehen.

Wann platzt ein Prozess wegen Krankheit?

Ein Strafverfahren ist eine extreme Belastung, besonders für einen schwerkranken Angeklagten. Das deutsche Recht setzt hier eine klare Grenze: Niemand muss an einem Prozess teilnehmen, den er gesundheitlich nicht durchstehen kann. An diesem Punkt greift der Begriff der Verhandlungsunfähigkeit.

Hier werden oft zwei wichtige Begriffe verwechselt: Verhandlungsunfähigkeit hat nichts mit der Schuldfrage zu tun. Ob jemand zur Tatzeit wegen einer psychischen Störung schuldunfähig war (§ 20 StGB), ist eine separate Frage. Sie entscheidet darüber, ob die Person für ihre Tat bestraft werden kann.

Die Verhandlungsunfähigkeit ist dagegen ein reines Hindernis für den Prozessablauf. Sie beschreibt nur den aktuellen Zustand: Ist der Angeklagte heute gesund genug, um am Prozess teilzunehmen und seine Verteidigungsrechte wirksam zu nutzen?


Was ist der Unterschied zwischen Verhandlungsunfähigkeit und Schuldunfähigkeit?

MerkmalVerhandlungsunfähigkeitSchuldunfähigkeit (§ 20 StGB)
FragestellungKann der Prozess HEUTE fair durchgeführt werden?War der Täter ZUM TATZEITPUNKT schuldfähig?
Zeitpunkt der PrüfungAktueller Gesundheitszustand während des VerfahrensPsychischer Zustand zum Zeitpunkt der Tat
RechtsnaturVerfahrenshindernis (prozessuale Frage)Materielles Recht (Frage der Strafbarkeit)
Folge bei FeststellungAussetzung oder endgültige Einstellung des VerfahrensFreispruch (keine Strafe, evtl. Maßregelvollzug)

Was genau bedeutet „verhandlungsfähig“ vor Gericht?

Ein faires Verfahren verlangt, dass der Angeklagte dem Prozess nicht nur passiv beiwohnt. Er muss fähig sein, aktiv an seiner Verteidigung mitzuwirken. Dieses Grundrecht (Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention) ist der Grund, warum Gerichte präzise definiert haben, was Verhandlungsfähigkeit bedeutet.

Verhandlungsfähig ist, wer seine Interessen vor Gericht angemessen vertreten kann. Sie müssen die Verteidigungsstrategie nachvollziehen, mitgestalten und Erklärungen des Gerichts verstehen sowie eigene abgeben können. Zur Prüfung dienen dem Gericht drei Kernfähigkeiten:

Das klingt vielleicht abstrakt. Im Kern prüft das Gericht aber drei ganz konkrete menschliche Fähigkeiten.

Illustration der drei Säulen der Verhandlungsfähigkeit: Verstand, Kommunikation und Wille.
Die 3 Säulen der Verhandlungsfähigkeit: Verstand, Kommunikation und Wille. – Symbolbild: KI

An welchen 3 Fähigkeiten wird gemessen?

  1. Die kognitive Fähigkeit: Sie müssen den Gang des Verfahrens intellektuell nachvollziehen können. Dazu gehört, den Inhalt der Anklage zu verstehen, den Aussagen von Zeugen zu folgen und die Bedeutung von Beweismitteln oder Anträgen Ihres Verteidigers zu erfassen.
  2. Die kommunikative Fähigkeit: Sie müssen in der Lage sein, mit Ihrem Verteidiger zu kommunizieren, ihm Ihre Sicht der Dinge zu schildern und gemeinsam eine Strategie zu entwickeln. Ebenso müssen Sie fähig sein, auf Fragen des Gerichts zu antworten oder von Ihrem Schweigerecht Gebrauch zu machen.
  3. Die emotionale und willentliche Fähigkeit: Sie müssen dem psychischen Druck einer Hauptverhandlung standhalten können, ohne dass Ihr Wille dadurch gebrochen wird. Eine panische Angststörung, die jede rationale Entscheidung blockiert, kann diese Fähigkeit ebenso einschränken wie eine schwere Depression, die zu völliger Apathie führt.

Kann mein Anwalt mich einfach vertreten?

Wichtig: Ihr Verteidiger kann diese Fähigkeiten nicht ersetzen. Er ist Ihr juristischer Beistand, aber nicht Ihr Stellvertreter. Grundlegende Prozessentscheidungen müssen Sie selbst treffen oder zumindest nachvollziehen können. Ein Verteidiger kann einen handlungsunfähigen Angeklagten nicht wie in anderen Rechtsgebieten vertreten.

Ein konkretes Beispiel: Ihr Anwalt kann Ihnen raten, zu schweigen. Die Entscheidung, ob Sie tatsächlich schweigen oder eine Aussage machen, müssen Sie aber selbst treffen können. Das kann Ihnen niemand abnehmen.

Welche Stufen der Verhandlungsunfähigkeit gibt es?

Nicht jede Krankheit führt automatisch zur Verhandlungsunfähigkeit. Ein Schnupfen oder Kopfschmerzen genügen nicht, um eine Hauptverhandlung abzusagen. Die Rechtsprechung, allen voran der Bundesgerichtshof (BGH) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), hat über Jahrzehnte hohe Hürden entwickelt und unterscheidet zwei Stufen.

Wann ist eine Verteidigung absolut unmöglich?

Absolute Verhandlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Angeklagter die geistigen Mindestanforderungen für einen Prozess nicht mehr erfüllt. Dies ist der Fall, wenn er einfache Fragen zu seiner Person nicht mehr beantworten, dem Kern der Anklage nicht mehr folgen oder die Erklärungen des Gerichts nicht mehr verstehen kann.

Ein Mensch im Koma, ein Patient mit weit fortgeschrittener Demenz oder jemand in einem akuten psychotischen Zustand, der die Realität völlig verkennt, ist absolut verhandlungsunfähig. In diesen Fällen ist eine faire Verteidigung objektiv unmöglich, und das Verfahren kann nicht stattfinden.

Wann ist ein Prozess für die Gesundheit unzumutbar?

Viel häufiger sind die Fälle der relativen Verhandlungsunfähigkeit. Hier ist der Angeklagte geistig zwar in der Lage, dem Prozess zu folgen. Die Teilnahme am Verfahren wäre aber eine so extreme körperliche oder psychische Belastung, dass sie unzumutbar ist. Sie könnte zu einem schweren und dauerhaften Gesundheitsschaden führen.

Die Grundlage dafür liefert das Grundgesetz: Das Recht auf Leben und Gesundheit wiegt schwerer als das staatliche Interesse an einer Strafverfolgung. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass ein Verfahren gestoppt werden muss, wenn die konkrete Gefahr eines Todesfalls oder eines irreparablen Gesundheitsschadens besteht.

Führt jede schwere Krankheit zum Prozess-Stopp?

Die Anforderungen sind jedoch extrem hoch. Ein vorübergehendes Unwohlsein oder eine leichte Erkrankung müssen meist hingenommen werden. Beispiel Corona-Pandemie: Die bloße Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe reichte nicht aus. Stattdessen mussten die Gerichte die Ansteckungsgefahr durch strenge Hygieneregeln minimieren.

Stellen Sie sich diese Abwägung wie eine Notbremse vor. Das Gericht fragt sich: Ist die Gefahr für Ihre Gesundheit so groß, dass man den Prozess anhalten muss? Diese Bremse wird bei einem einfachen Diebstahl eher gezogen als bei einem Gewaltverbrechen, bei dem das Aufklärungsinteresse des Staates höher wiegt.

Was sind „milde Mittel“ vor Prozess-Stopp?

Bevor ein Gericht ein Verfahren wegen relativer Verhandlungsunfähigkeit aussetzt oder einstellt, muss es prüfen, ob der Prozess durch besondere Vorkehrungen für den Angeklagten erträglich gestaltet werden kann. Das Gesetz verlangt, dass erst alle weniger einschneidenden Maßnahmen (sogenannte „milde Mittel“) ausgeschöpft werden. Die Verhandlungsfähigkeit wird also nicht als reiner An-Aus-Zustand, sondern als graduelles Konzept betrachtet.

Ein Gerichtssaal, in dem als mildes Mittel der Verhandlungstag verkürzt wurde, symbolisiert durch eine Uhr.
Symbolbild: KI

Zu diesen Schutzmaßnahmen gehören zum Beispiel:

  • Verkürzte Verhandlungstage: Statt eines vollen Verhandlungstages kann die Verhandlung auf wenige Stunden pro Tag begrenzt werden.
  • Regelmäßige Pausen: Es können häufige und längere Pausen zur Erholung angeordnet werden.
  • Medizinische Betreuung: Das Gericht kann die ständige Anwesenheit eines Arztes oder von medizinischem Personal im Gerichtssaal anordnen, um im Notfall sofort eingreifen zu können.
  • Angepasste Verhandlungsführung: Der Vorsitzende Richter kann angewiesen werden, besonders langsam und verständlich zu sprechen, Fragen zu wiederholen oder wichtige Erklärungen schriftlich festzuhalten.

Erst wenn all diese Schutzmaßnahmen nicht ausreichen, um eine schwere Gesundheitsgefahr abzuwenden, kann das Gericht den Prozess unterbrechen oder endgültig einstellen.

Wer entscheidet über die Verhandlungsfähigkeit – und wie?

Die Entscheidung über die Verhandlungsfähigkeit trifft allein das Gericht. Da Richter keine Mediziner sind, stützen sie sich dabei fast immer auf ein externes Gutachten. Dieser Prozess folgt klaren Regeln.

Wann wird ein Gutachten angeordnet?

Im Strafprozess gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 244 Abs. 2 StPO): Das Gericht muss allen wichtigen Tatsachen von Amts wegen nachgehen. Sobald begründete Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit bestehen, muss es diese prüfen. Auslöser kann ein Antrag der Verteidigung, ein ärztliches Attest oder der persönliche Eindruck des Gerichts sein.

Meist beauftragt das Gericht dann einen unabhängigen Sachverständigen – je nach Krankheitsbild etwa einen Psychiater, Kardiologen oder Onkologen. Dessen Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand des Angeklagten zu untersuchen und eine fundierte Einschätzung abzugeben.

Was muss im Gutachten stehen?

Ein einfaches Attest reicht dem Gericht nicht. Es braucht eine klare „Übersetzung“ Ihrer medizinischen Situation in die juristische Sprache. Deshalb muss das Gutachten vier Kernfragen präzise beantworten:

  1. Diagnose: Welche konkrete Krankheit liegt vor und wie schwer ist sie ausgeprägt?
  2. Auswirkungen: Wie genau beeinträchtigt diese Krankheit die kognitiven, kommunikativen und emotionalen Fähigkeiten des Angeklagten, die für den Prozess notwendig sind?
  3. Prognose: Handelt es sich um einen vorübergehenden oder einen dauerhaften Zustand? Gibt es Behandlungsmöglichkeiten, die die Verhandlungsfähigkeit wiederherstellen könnten? Wenn ja, wie lange würde das voraussichtlich dauern?
  4. Belastbarkeit: Kann der Angeklagte einer Verhandlung unter besonderen Bedingungen beiwohnen (z. B. verkürzte Verhandlungstage, regelmäßige Pausen, Anwesenheit eines Arztes)?

Das Gericht ist zwar nicht an das Gutachten gebunden, kann es aber nicht einfach ignorieren. Will ein Richter von der Einschätzung des Experten abweichen, muss er dies umfassend begründen. In der Praxis folgt das Gericht daher fast immer dem medizinischen Gutachten.

Was tun, wenn das Gutachten falsch ist?

Wenn Sie oder Ihr Verteidiger der Meinung sind, dass das vom Gericht bestellte Gutachten fehlerhaft ist, gibt es mehrere Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Zunächst kann Ihr Verteidiger den Sachverständigen im Gerichtstermin kritisch befragen, um Widersprüche oder Schwächen in der Argumentation aufzudecken. Es kann auch ein Befangenheitsantrag gegen den Gutachter gestellt werden, wenn es Anzeichen gibt, dass dieser nicht neutral ist.

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, ein privates Gegengutachten bei einem anderen Facharzt in Auftrag zu geben. Obwohl ein solches Privatgutachten formell nicht den gleichen Stellenwert hat, kann es das Gericht zwingen, sich mit den Gegenargumenten auseinanderzusetzen. Stellt es die Mängel des gerichtlichen Gutachtens überzeugend dar, kann dies das Gericht veranlassen, ein neues Obergutachten anzuordnen.

Was passiert mit dem Prozess bei Verhandlungsunfähigkeit?

Die Feststellung der Verhandlungsunfähigkeit ist kein Freispruch. Die prozessualen Konsequenzen hängen entscheidend von der Prognose des Sachverständigen ab: Ist der Zustand vorübergehend oder von Dauer?

Was passiert, wenn die Krankheit heilbar ist?

Kommt der Sachverständige zu dem Schluss, dass die Krankheit heilbar ist oder sich der Zustand in absehbarer Zeit bessern wird, spricht man von vorübergehender Verhandlungsunfähigkeit. Das kann etwa bei einer akuten Infektion, einer psychischen Krise oder nach einer Operation der Fall sein.

Das Gericht hat dann zwei Möglichkeiten:

  • Unterbrechung der Hauptverhandlung (§ 228, § 229 StPO): Bei kurzfristigen Erkrankungen während eines laufenden Prozesses kann das Gericht die Verhandlung in der Regel für bis zu drei Wochen unterbrechen. Unter bestimmten Voraussetzungen, beispielsweise wenn die Hauptverhandlung schon länger andauert, sind auch längere Unterbrechungen möglich.
  • Aussetzung des Verfahrens (§ 205 StPO): Ist eine längere Pause notwendig, setzt das Gericht das Verfahren aus. Der Prozess wird quasi „eingefroren“ und erst dann fortgesetzt, wenn der Angeklagte wieder verhandlungsfähig ist.

Läuft die Verjährung während der Aussetzung weiter?

Nein, und das ist ein entscheidender Punkt. Wird der Prozess wegen vorübergehender Verhandlungsunfähigkeit ausgesetzt, ruht auch die Verjährung. Man spricht hier von einer „Hemmung“ – die Verjährungsfrist wird also angehalten.

Wichtiger Hinweis: Die Verjährung wird gestoppt!

Ein häufiges Missverständnis ist, dass eine lange, krankheitsbedingte Unterbrechung des Verfahrens automatisch zur Verjährung der Tat führt. Das ist falsch. Wird ein Verfahren nach § 205 StPO wegen vorübergehender Verhandlungsunfähigkeit ausgesetzt, wird der Lauf der Verjährungsfrist gehemmt. Die „Verjährungsuhr“ wird also angehalten und läuft erst weiter, wenn der Prozess wieder aufgenommen wird. Der Staat stellt so sicher, dass die Strafverfolgung nicht durch eine heilbare Krankheit unterlaufen wird.

Wann wird der Prozess endgültig eingestellt?

Stellt der Gutachter dagegen fest, dass eine Besserung nicht oder zumindest nicht in absehbarer Zeit zu erwarten ist, liegt eine dauernde Verhandlungsunfähigkeit vor. Typische Fälle sind schwere chronische Krankheiten im Endstadium, fortgeschrittene Demenz oder irreparable Hirnschäden.

Dauernde Verhandlungsunfähigkeit ist ein unüberwindbares Verfahrenshindernis. Das Gericht muss das Verfahren dann nach § 206a StPO endgültig einstellen. Diese Einstellung wirkt wie ein rechtskräftiges Urteil und beendet die Strafverfolgung in dieser Sache.

Es gibt jedoch eine Einschränkung: Sollte sich der Gesundheitszustand des Angeklagten unerwartet bessern, kann das Verfahren wieder aufgenommen werden. Dies ist allerdings nur möglich, solange die Tat noch nicht verjährt ist. In der Praxis geschieht dies extrem selten.


KriteriumVorübergehende VerhandlungsunfähigkeitDauernde Verhandlungsunfähigkeit
Medizinische PrognoseBesserung des Gesundheitszustands ist absehbarKeine Besserung zu erwarten (chronisch, terminal)
Juristische FolgeAussetzung des VerfahrensEndgültige Einstellung des Verfahrens
Gesetzliche Grundlage§ 205 StPO§ 206a StPO
ErgebnisDer Prozess wird "pausiert" und später fortgesetztDer Prozess wird beendet (wirkt wie ein Urteil)

Welche Sonderfälle gibt es bei Verhandlungsunfähigkeit?

Infografik zeigt den Verfahrensablauf: Aussetzung (Pause) vs. Einstellung (Stopp).
Symbolbild: KI

Der Weg zur Feststellung der Verhandlungsunfähigkeit ist oft schwierig, da Gerichte und Sachverständige mit komplexen medizinischen Situationen konfrontiert sind.

Was passiert, wenn ich eine Krankheit vortäusche?

Gerichte müssen stets wachsam sein, ob eine Krankheit möglicherweise nur vorgetäuscht oder übertrieben dargestellt wird, um sich dem Verfahren zu entziehen. Dieses Verhalten wird als Simulation (oder Malingering) bezeichnet. Erfahrene forensische Sachverständige setzen spezielle Testverfahren ein, um Inkonsistenzen aufzudecken.

Welche Krankheiten führen oft zur Prüfung?

  • Demenz und schwere psychische Störungen: Bei Krankheiten, die die kognitiven Fähigkeiten direkt angreifen, wie fortgeschrittene Demenz oder akute psychotische Zustände, ist der Nachweis der Verhandlungsunfähigkeit oft eindeutig.
  • Terminale Erkrankungen: Bei Krebserkrankungen im Endstadium oder anderen unheilbaren Krankheiten steht die relative Verhandlungsunfähigkeit im Vordergrund. Hier geht es nicht mehr darum, ob der Angeklagte dem Prozess folgen kann, sondern ob es ihm aus Gründen der Menschenwürde und des Schutzes seiner verbleibenden Lebenszeit noch zugemutet werden kann.
  • Suchterkrankungen: Hier muss man unterscheiden. Ein akuter Rausch kann zu einer vorübergehenden Unfähigkeit führen. Chronische Schäden durch langen Alkohol- oder Drogenkonsum (z. B. das Korsakow-Syndrom) können dagegen eine dauernde Verhandlungsunfähigkeit zur Folge haben.

Wie kann ich meine Verhandlungsunfähigkeit nachweisen?

Die Feststellung der Verhandlungsunfähigkeit ist ein komplexer Prozess mit hohen juristischen und medizinischen Hürden. Ein ärztliches Attest bei Gericht einzureichen, reicht nicht aus. Wenn Sie oder ein Angehöriger betroffen sind, sind zwei Schritte entscheidend:

  1. Ziehen Sie frühzeitig einen spezialisierten Verteidiger hinzu: Sie benötigen einen Anwalt, der Erfahrung mit den Schnittstellen von Strafrecht und Medizinrecht hat. Er kann die richtigen Anträge stellen, die Kommunikation mit Ärzten und Sachverständigen koordinieren und die Argumentation vor Gericht professionell führen.
  2. Sorgen Sie für eine lückenlose medizinische Dokumentation: Alle Arztbesuche, Diagnosen, Befunde und Behandlungsverläufe müssen sorgfältig gesammelt und dokumentiert werden. Diese Unterlagen bilden die unverzichtbare Grundlage für jedes Sachverständigengutachten und die finale Entscheidung des Gerichts.

Wichtig: Verhandlungsunfähigkeit ist kein juristischer Trick, sondern ein im Grundgesetz verankertes Schutzrecht. Es stellt sicher, dass der staatliche Strafanspruch dort seine Grenze findet, wo Würde und Gesundheit eines Menschen auf dem Spiel stehen. Der Weg dorthin erfordert jedoch eine sorgfältige, gut dokumentierte und juristisch professionell begleitete Argumentation.

Die Grundregeln

Der staatliche Strafanspruch findet seine zwingende Grenze im grundgesetzlich garantierten Schutz der körperlichen Unversehrtheit und der Verfahrensgerechtigkeit des Angeklagten.

  • Trennung der Rechtsgebiete: Gerichte unterscheiden streng zwischen der Verhandlungsfähigkeit (eine reine Prozessfrage) und der Schuldunfähigkeit. Letztere klärt, ob der Täter für seine Tat überhaupt bestraft werden kann.
  • Aktive Prozessbeteiligung: Der Angeklagte muss geistig in der Lage sein, dem Prozess zu folgen. Er muss auch die Kraft haben, seine Verteidigungsrechte selbstständig und verständlich auszuüben.
  • Abwägung bei Gesundheitsgefahr: Eine relative Verhandlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Prozess eine unzumutbare Gefahr für Leben oder Gesundheit darstellt. In diesem Fall ist das Schutzrecht des Einzelnen wichtiger als das Strafverfolgungsinteresse des Staates.

Das Gericht darf die Verhandlungsunfähigkeit nur nach sorgfältiger medizinischer Sachverständigenprüfung feststellen und muss jede Abweichung von der fachkundigen Expertenmeinung detailliert begründen.


Experten-Einblick

Verhandlungsunfähigkeit ist kein medizinischer Befund, sondern ein juristischer Zustand mit extrem hohen Hürden. Die Herausforderung ist, die ärztliche Diagnose für das Gericht zu „übersetzen“. Es muss klar werden, wie genau die Krankheit die Fähigkeit zur Verteidigung einschränkt. Ohne ein top Gutachten, das diesen Punkt beweist, bleibt der Schutz für den Angeklagten oft nur Theorie.


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Symbolische Grafik zu FAQ - Häufig gestellte Fragen aus dem Strafrecht" mit Waage der Gerechtigkeit und Gesetzbüchern im Hintergrund

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wann gilt man im Strafprozess wegen Krankheit als verhandlungsunfähig?

Verhandlungsunfähigkeit ist eine hohe Hürde. Sie liegt in zwei Fällen vor: Entweder fehlen Ihnen die geistigen Fähigkeiten, um am Prozess teilzunehmen (absolute Unfähigkeit). Oder die Teilnahme stellt eine ernste Gefahr für Ihr Leben oder Ihre Gesundheit dar, die zu dauerhaften Schäden führen könnte (relative Unfähigkeit).

Die absolute Form liegt vor, wenn Sie dem Kern der Anklage nicht mehr folgen können, etwa bei Koma oder fortgeschrittener Demenz. Bei der relativen Unfähigkeit können Sie dem Prozess zwar geistig folgen, die Belastung wäre aber unzumutbar. Hier wiegt Ihr Recht auf Leben und Gesundheit schwerer als das Strafverfolgungsinteresse des Staates.

Das Gericht prüft nicht nur die Diagnose. Es prüft, wie die Krankheit Ihre Verteidigung behindert. Konkret geht es um drei Fähigkeiten: Verstehen Sie den Prozessablauf? Können Sie mit Ihrem Anwalt eine Strategie besprechen? Und halten Sie dem psychischen Druck der Verhandlung stand? Eine allgemeine Belastung reicht dafür nicht aus.

Unsere auf das Strafrecht spezialisierten Rechtsanwälte können Ihre Situation einschätzen und die nötigen Schritte für Sie einleiten.


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Wann führt meine Verhandlungsunfähigkeit zur endgültigen Einstellung des Verfahrens?

Eine endgültige Einstellung des Verfahrens erfolgt nur unter strengen Bedingungen. Voraussetzung ist eine negative Zukunftsprognose des Gutachters: Das Verfahren wird erst dann beendet (§ 206a StPO), wenn Sie als dauernd verhandlungsunfähig gelten, eine Besserung also medizinisch ausgeschlossen ist.

Der Unterschied liegt in der Dauer der Erkrankung. Ist der Zustand nur vorübergehend, etwa nach einer Operation, wird der Prozess lediglich ausgesetzt (§ 205 StPO) und wieder aufgenommen, sobald Sie genesen sind. Nur bei schweren, chronischen Krankheiten ohne Heilungsaussicht kommt eine endgültige Einstellung infrage.

Dauernde Verhandlungsunfähigkeit ist ein unüberwindbares Prozesshindernis. Die Einstellung beendet die Strafverfolgung und wirkt ähnlich wie ein Urteil. Theoretisch könnte das Verfahren bei einer unerwarteten Genesung wieder aufgenommen werden, was in der Praxis aber äußerst selten geschieht.

Ihr Verteidiger sollte den Gutachter gezielt bitten, eine klare Prognose abzugeben. Diese Einschätzung ist die Grundlage für eine mögliche Einstellung des Verfahrens.


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Wer entscheidet über meine Verhandlungsunfähigkeit und brauche ich ein Gutachten?

Die endgültige Entscheidung trifft immer allein das Gericht. Da Richter keine Mediziner sind, müssen sie den Sachverhalt aufklären lassen. Bei begründeten Zweifeln an Ihrer Gesundheit wird das Gericht daher ein unabhängiges Gutachten anordnen; ein einfaches Hausarztattest genügt nicht.

Das Gericht bestellt einen externen Facharzt (z.B. einen Psychiater), um eine neutrale Bewertung zu erhalten. Ihr behandelnder Arzt ist für Ihre Heilung da. Der Gutachter prüft dagegen nach rechtlichen Kriterien. Er untersucht genau, wie die Krankheit Ihre Fähigkeit zur Verteidigung einschränkt.

Das Sachverständigengutachten muss den Zusammenhang zwischen Krankheit und Verteidigungsunfähigkeit klar belegen. Es reicht nicht, dass Sie krank sind. Das Gutachten muss zeigen, warum Sie dem Prozess nicht mehr folgen oder mit Ihrem Anwalt sprechen können. Daran orientiert sich das Gericht bei seiner Entscheidung.

Legen Sie über Ihren Verteidiger eine lückenlose medizinische Dokumentation vor. Das hilft dem Gericht, einen Gutachter mit dem passenden Fachgebiet zu beauftragen.


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Welche Folgen hat die Verwechslung von Verhandlungsunfähigkeit und Schuldunfähigkeit für meine Strafe?

Die Verwechslung dieser Begriffe hat gravierende Folgen, da sie zwei verschiedene Fragen beantworten. Verhandlungsunfähigkeit ist ein Prozesshindernis: Kann der Prozess HEUTE gesundheitsbedingt stattfinden? Schuldunfähigkeit klärt dagegen, ob Sie für die Tat bestraft werden können.

Verhandlungsunfähigkeit soll sicherstellen, dass Sie sich im Prozess wirksam verteidigen können. Sind Sie zu krank, wird der Prozess pausiert oder eingestellt. Entscheidend ist Ihr Gesundheitszustand heute, während der Verhandlung.

Die Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) ist eine Frage des materiellen Strafrechts. Sie prüft, ob Sie zum Zeitpunkt der Tat wegen einer psychischen Störung wussten, was Sie taten. Wird dies bejaht, führt das zu einem Freispruch – im Gegensatz zur Einstellung wegen Verhandlungsunfähigkeit.

Klären Sie mit Ihrem Strafverteidiger genau, ob es um Ihre Prozessfähigkeit (heute) oder Ihre Schuldfähigkeit (zur Tatzeit) geht. Nur die Schuldunfähigkeit kann direkt zur Straffreiheit führen.


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Wie muss ich meine Krankheit dokumentieren, damit das Gericht die Verhandlungsunfähigkeit anerkennt?

Sie brauchen eine lückenlose und objektive Dokumentation. Damit verhindern Sie den Verdacht, dass Sie eine Krankheit nur vortäuschen (Simulation). Legen Sie dem Gutachter alle Befunde und Behandlungsnachweise vor. Diese müssen belegen, wie Ihre Krankheit Ihre Fähigkeit zur Verteidigung einschränkt.

Der Fokus liegt auf objektiven Beweisen. Die reine Behauptung, Schmerzen zu haben oder müde zu sein, genügt nicht. Sammeln Sie stattdessen klinische Daten wie Laborwerte, MRT-Bilder, OP-Berichte oder Arztbriefe, denn diese Unterlagen bilden die Grundlage für jedes aussagekräftige Gutachten.

Die Dokumente müssen zeigen, wie die Krankheit Ihre Verteidigungsfähigkeit konkret beeinträchtigt. Belegen Sie zum Beispiel Konzentrationsmangel durch Nebenwirkungen von Medikamenten. Fehlende Nachweise oder Lücken im Behandlungsverlauf können dazu führen, dass Ihr Antrag abgelehnt wird.

Erstellen Sie eine möglichst genaue Chronologie Ihres Krankheitsverlaufs. Sichern Sie zudem alle Belege, die für das Gutachten relevant sein könnten.


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